Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich kann die Begründung dieses Antrages kurz machen. Denn es vergeht keine Sitzung in diesem Hohen Hause, in der wir uns nicht mit der Not unserer Mitbürger zu befassen haben, die auf die Nazis und namentlich ihre Führer zurückzuführen ist. In der Zeit, als die Nazis, angefangen bei Hitler, der sich selbst reichlich segnete, bis herunter zu den kleinen SS-, SA- und sonstigen Führern das Geld des deutschen Steuerzahlers mit vollen Händen ausstreuten, haben sich gerade die Leute tüchtig gesegnet, die das Unheil verschuldet haben, an dem wir jetzt tragen müssen. Diese Leute haben es im allgemeinen sogar verstanden, sich wunderbar durch die Kriegs- und Nachkriegszeit hindurchzusteuern. Nur in einem Teil von Westdeutschland, nämlich in der amerikanischen Zone, haben ein allgemeines Wiedergutmachungsgesetz und die Bestimmungen über die Entnazifizierung einiges dazu beigetragen, ihnen diese ungerechtfertigten Bereicherungen aus der Nazizeit wieder abzujagen. Dagegen ist in der britischen Zone eine große Zahl gerade von diesen Leuten immer noch im Besitz der Vermögenswerte, die ganz erheblich sind, und erfreuen sich in einer Zeit, in der die Opfer des Krieges darben, noch in Saus und Braus ihrer Gewinne aus der Zeit ihrer verflossenen Herrlichkeit.
Daß ich nicht übertreibe, will ich nur an einem einzigen Beispiel erläutern; ich will es mir versagen, auf die zahlreichen Fälle gleicher Art einzugehen. Aber dieses Beispiel ist so flagrant, daß die Empörung darüber weite Kreise im südlichen und südwestlichen Hannover und im nördlichen Westfalen immer wieder dazu getrieben hat, darauf hinzuweisen, daß hier dringend etwas geschehen muß. Da ist die Witwe des früheren Stabschefs der SA, Paula Lutze, die zur Zeit auf den zwei Gütern, die der Stabschef für seine „verdienstvolle" Tätigkeit in den kurzen Jahren nach seiner Tätigkeit als Postangestellter in Bevergern oder Rheine an Land gezogen hat, und erfreut sich mit Reitpferden, Kaffeebesuchen und großen Empfängen
nach wie vor des Vermögens, das ihr Mann an Land gezogen hat. Der Saltenhof, ein Gut von ungefähr 300 Morgen, und der Luisenhof in einer Größe von ungefähr 60 Morgen oder umgekehrt — ich weiß nicht, ob die Morgenzahl zu dem einen oder zu dem andern gehört — sind vollständig neu hergerichtet worden. In der Zeit, als das geschah, verkündete Viktor Lutze den Leuten, wenn der Führer nicht durch einen Scheck von 100 000 RM ausgeholfen hätte, wäre er nicht in der Lage gewesen, weiter zu bauen und den Besitz völlig mit neuem Inventar und neuen Gebäuden zu versehen. Diese Güter befinden sich nach wie vor im ungeschmälerten Eigentum und Besitz der Witwe Lutze. In der ersten Zeit der Besatzung wurde ein Verwalter eingesetzt. Heute bemüht sich Frau Lutze darum, samt ihrem Sohn entnazifiziert und den Verwalter loszuwerden, da sie selbst ja nicht gerade zu der Führerschaft der NSDAP gehört hat, damit sie völlig ungestört sich dieser Güter erfreuen kann. Jetzt hat sie — diese arme Frau — eine Schadensanmeldung beim Landkreis eingereicht. Sie meldet sich als Besatzungsgeschädigte zu Wort.
Denn diese armen Leute sind ja wirklich zu bedauern: es ist nicht geradezu alles, was sie an Land gezogen hatten, erhalten geblieben. Sie hat 32 834 DM als Besatzungsschäden angemeldet.
Damit sich nun die übrigen, die hier um die Pfennige ringen müssen, die bitter notwendig sind und die ihnen wirklich zustehen, trösten können — es geht auch bedeutenden Personen aus dem Dritten Reich so —, will ich einige der Einzelheiten bekanntgeben. Es ist der ehrenwerten Dame ein Pelzmantel abhanden gekommen, der 2400 DM kosten soll und in Rechnung gestellt ist. Es sind Tageskleider im Werte von 1000 DM und Leib-und Bettwäsche im Werte von 3000 DM und Gesellschaftskleider im Werte von 2690 DM abhanden gekommen.
Es sind Kunstgegenstände, Gemälde und Porzellan im Werte von 3000 DM abhanden gekommen. Ich könnte so weiter aufzählen.
Das sind nun alles die wertvollen, in Generationen ersparten Besitztümer der Familie Lutze! Der Vater war ein kleiner ehrenwerter, ehrsamer Handwerker, der es aber in seinem Leben nicht zu Ersparnissen über 1000 Mark hinaus gebracht hat. Und die Unterschlagungen des Herrn Lutze an der Post in Rheine, Bevergern oder wo es gewesen ist — ich weiß es nicht genau — haben diese großen Beträge auch nicht sicherstellen können. Er hat sie aber sicher nicht von seinen Einnahmen als Stabschef allein erübrigen können. Es ist ganz offenbar so gewesen, daß es namhafte Dotationen aus Mitteln der deutschen Steuerzahler gewesen sind. Sie
erinnern sich sicher noch an den damals in der Bevölkerung kolportierten Witz. Man hatte in seiner außerdem noch vorhandenen Villa in Berlin erhebliche Mengen Silber gestohlen. In einem Anschlag wurden dem 1000 Mark versprochen, der die gestohlenen Werte im Gesamtbetrage von 20 000 RM wieder beschafft. Es erschien dann ein Anschlag, in dem es hieß: Viktor Lutze, woher hast Du die 20 000 Mark? — Hinterher war eine Belohnung ausgeschrieben für den, der den Täter dieser Anschläge ausfindig machen würde, und zwar von 1000 RM.
Danach stand dann an der Wand geschrieben: Viktor Lutze, wo hast Du die 21 000 RM her?
Also, meine Damen und Herren, Scherz beiseite! Diese Forderung dieser Witwe des früheren Stabschefs ist grotesk. Dieser Zustand, daß die Vertriebenen, Ausgebombten, die Opfer des Krieges, die Hinterbliebenen wie die Versehrten kaum notdürftig zufriedengestellt werden können, daß das deutsche Volk unter den Lasten und Folgen dieses Krieges noch auf Generationen seufzen, darunter leiden wird und daß gleichzeitig die, die den Krieg veranstaltet haben, im ungeschmälerten Besitz aller Güter bleiben sollen, die sie sich ungerechtfertigterweise damals zugeschrieben haben. Dieser Zustand ist unerträglich, und ihm muß ein Ende gemacht werden.
Diesem Zweck dient der Antrag Drucksache. Nr. 1592. Ich bitte, ihm Ihre Zustimmung zu geben.