Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zweifelsohne kann der Bundesregierung nicht der Vorwurf erspart werden, daß sie durch eine psychologisch sehr ungeschickte Behandlung des Kriegsopferproblems die heutige Aussprache heraufbeschworen hat.
Zunächst war es die sehr unglückliche Verbindung der Kriegsopferversorgung mit Steuerabsichten auf einem der problematischen Gebiete, nämlich dem der Verkehrssteuern. Zum andern war es das Schweigen der Bundesregierung zu den Gerüchten im Lande, daß das Bundesversorgungsgesetz von der Bundesregierung unabdingbar mit diesen Steuerabsichten verknüpft worden sei, daß es nicht verkündet und in Kraft gesetzt werden könne, ehe nicht der Bundestag neue Steuern beschlossen habe.
Es war notwendig, eine Behandlung des gesamten Komplexes im Kriegsopferausschuß durchzuführen, um diese offenen Fragen zu klären, weil der soziale Frieden, der durch die Verabschiedung des Bundesversorgungsgesetzes erzielt werden sollte, empfindlich gestört war.
Es ist mir, der ich selbst Kriegsbeschädigter bin, als Vertreter einer großen deutschen Kriegsopferorganisation ein aufrichtiges Bedürfnis, hier zu erklären, daß die nunmehrige Behandlung des Komplexes im Kriegsopferausschuß und die Erklärungen, die der Herr Bundesarbeitsminister seitens der Regierung dort abgegeben hat, den Tatbestand sehr günstig beeinflußt und eine Wendung in der öffentlichen Diskussion des Problems herbeigeführt haben.
Auf der andern Seite müssen die Fragen, die mit der Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zusammenhängen, denkbar nüchtern und sachlich und losgelöst von der Atmosphäre der parteipolitischen Spannungen diskutiert werden. Das Bundesversorgungsgesetz ist nicht vergleichbar mit dem früheren Reichsversorgungsgesetz und auch nicht mit den Gesetzen, die zur Zeit noch in den Ländern gelten. Es ist wesentlich differenzierter und wird an die Durchführungsbehörden sehr hohe Anforderungen stellen, wenn befriedigende Ergebnisse erzielt werden sollen. Ich bin deshalb der Überzeugung, daß es notwendig sein wird, zunächst einmal auf dem Weg über Abschlagszahlungen die geldlichen Leistungen dieses Gesetzes dem von sozialen Gefahren besonders bedrohten Personenkreis zugänglich zu machen und in der Zwischenzeit die Versorgungsstellen aufzubauen sowie das Personal zu schulen, um dann Zug um Zug an die endgültige Erteilung von Bescheiden heranzugehen. Wenn wir bedenken, daß ein großer Teil der Versorgungsbeamten der alten Zeit entweder aus Gründen der Entnazifizierung oder altershalber ausgeschieden ist, daß auf der anderen Seite die Behandlung der vier Millionen Anträge wenig Spielraum für eine Personalschulung ließ, kommen wir zu dem Ergebnis, daß hier eine Reform an Haupt und Gliedern durchgeführt werden muß. Ich möchte mich hier über die Frage einer Reform bei den Gliedern nicht auslassen. Dazu ist heute nicht der Zeitpunkt. Man wird allerdings bei der Beratung des sogenannten Organisationsgesetzes darüber sehr viel sagen müssen. Was das Haupt angeht, so glaube ich dem Herrn Bundesarbeitsminister doch sagen zu müssen, daß auch hier einiges grundsätzlich geändert werden muß. Es ist ausgeschlossen, daß die beiden riesigen Komplexe Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung von einem Herrn seines Ministeriums leitend bearbeitet werden. Dazu reicht nun einmal die rein physische Arbeitskraft eines Menschen nicht aus, um sich mit diesem wohl größten sozialen Problem unserer Gegenwart ständig auseinanderzusetzen und dabei die wichtigsten Gesichtspunkte nicht miteinander zu vermischen bzw. durch diese Behandlung nicht das eine hinter das andere treten zu lassen. Das Ministerium muß gestützt auf die zu erwartenden Beschlüsse des Haushaltsausschusses danach streben, rein personell für den Komplex der Kriegsopferversorgung einen Personalstand zu erreichen, der in der Lage ist, wesentlich schneller zu arbeiten, als das seither der Fall war. Ich will damit den Herren im Ministerium des Herrn Arbeitsministers keinen Vorwurf machen; denn für sie hat der Tag auch nur 24 Stunden. Immerhin wäre es bei Berücksichtigung der von mir dargestellten Sachlage schon zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt möglich gewesen, das Bundesversorgungsgesetz in das Haus zu bringen und zu verabschieden sowie auch die notwendigen Durchführungsverordnungen so rechtzeitig vorzubereiten, daß wir uns nicht wieder zum Weihnachtsfest mit einem Antrag der Kommunisten auseinanderzusetzen haben.
Zu dem Antrag der Kommunisten selber möchte ich folgendes sagen. Durch die ständige Wiederholung dieser Anträge fällt es einem langsam schwer, überhaupt sachlich zu ihnen noch Stellung zu nehmen. Ich glaube, man muß diese Dinge langsam humoristisch betrachten.
Herr Kollege Renner, es steht mir an sich auf
Grund meiner Jahre nicht an, Ihnen in puncto Lebenserfahrung in irgendeiner Form etwas zu sagen. Aber wenn ich sehe, wie verzweifelt Sie Ihre Liebesbezeugungen den Kriegsopfern gegenüber in diesem Hause machen, dann glaube ich, daß auf dem Gebiet der Liebeserklärungen mein Lebensalter mich mit diesen Dingen vielleicht vertrauter macht als das Ihre.
Wissen Sie, Herr Kollege Renner, wenn man nämlich spürt — und ich glaube, die letzten Wahlen hätten Ihnen das zeigen müssen —, daß auf der andern Seite
so wenig Gegenliebe zu verspüren ist, dann bewirkt eine Forcierung dieser Gefühle genau das Gegenteil von dem, was man beabsichtigt.
— Herr Kollege Renner, ich darf Ihnen versichern,
daß das draußen bei den Kriegsbeschädigten genau so ist wie bei den gewöhnlichen Beziehungen der Menschen untereinander. Wenn Sie Ihre Liebesbeteuerungen hier noch so feurig gestalten, sie wirken langsam auf die Kriegsopfer nur lächerlich. Und das, Herr Kollege Renner, beruhigt uns so, daß wir es gar nicht notwendig haben, uns immer wieder hier mit Ihnen auseinanderzusetzen.
Die Kriegsopfer haben nämlich selber ein sehr feines Gefühl dafür, wem es sachlich ernst ist mit ihren Anliegen
und wer dieses Anliegen nur als einen geschickten Köder benutzt, um damit propagandistische Erfolge zu erzielen.
Wenn Sie am 24. November einen Antrag einbringen, daß man den Kriegsopfern nach dem Bundesversorgungsgesetz Vorschußzahlungen leisten solle, und zwar einer Zahl von 4 Millionen Versorgungsberechtigten — und diese Zahl ist in dieser Höhe zum Teil auch durch das Verhalten Ihrer Freunde jenseits des Eisernen Vorhangs, durch die Behandlung unserer Kameraden in der Gefangenschaft, so hoch angestiegen —,
Herr Kollege Renner, dann müßte Ihnen eigentlich Ihr nüchterner Menschenverstand sagen, daß man bis zum 24. Dezember — auch nach Ihrem scheinbar so einfachen Modos — nicht Zahlungen leisten kann. Sie haben damit Ihren Antrag selbst ad absurdum geführt und bewiesen, daß es Ihnen nicht um das konkrete Anliegen der Kriegsopfer geht, sondern lediglich darum, hier im Hause wieder einmal den Anschein zu erwecken, als hätten die Kriegsopfer lediglich in den Kommunisten die eigentlichen und wahren Vertreter ihrer Interessen in der Bundesrepublik.