Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion hat diesen Antrag am 24. November 1950 aus zwei Gründen eingebracht. Der eine Grund war der, den hungernden Kriegsopfern in etwa wenigstens zu Weihnachten eine kleine Beihilfe zu geben.
— Nein, den bei uns hungernden. Oder wollen Sie das bestreiten? Dann sind Sie ein weißer Rabe selbst in diesem Hause. Das wagt Ihre eigene Fraktion nicht öffentlich zu bestreiten. —
Und zweitens, um zu klären, welche Gründe hinter der eigenartigen Behandlung dieses Gesetzentwurfs durch den Herrn Finanzminister stecken.
Ich fange bei der letzteren Geschichte an. Am 19. Oktober ist das Gesetz hier in diesem Hause verabschiedet worden. Am 25. November, also einen Tag nachdem wir diesen Antrag und eine dazugehörige Anfrage gestellt hatten, ist es von dem Herrn Finanzminister — bzw. von dem Herrn Arbeitsminister, die Frage ist offen — an die Hohe Kommission weitergeleitet worden. Nicht nur wir Kommunisten haben uns Gedanken gemacht, wie diese lange Verschleppung zu erklären ist. Eine große Organisation der Kriegsopfer, die Organisation, die sich sonst gern rühmt, die größte zu sein, hat auf einer offiziellen Tagung, an der ihr Sozialpolitischer Ausschuß und ihr Vorstand teil- genommen haben, in Koblenz ausdrücklich darauf hingewiesen, wie unerklärlich es sei, daß dieses Gesetz so lange in der Schublade des Herrn Bundesfinanzministers liegt, und gefragt, welche Gründe dahinter steckten. Ich sage das an die Adresse der Kreise, die mir nachher in der Diskussion eventuell vorhalten werden, daß nur agitatorische Gründe diesen Antrag veranlaßt hätten. Sie, Herr Kollege Leddin, haben gestern einen Versuch in dieser Richtung gemacht.
— Ja, das war intern, und da kann man manches erzählen.
Am 19. Oktober ist das Gesetz verabschiedet; wenige Tage später hat es der Bundesrat verabschiedet. Dann lag es in der Schublade des Herrn Finanzministers. Gestern ist uns durch den Herrn Arbeitsminister Storch gesagt worden, wie das zu erklären sei. Er sagte wörtlich: Wir haben uns dann, nachdem es vom Bundesrat zurückkam und nachdem wir die schriftliche Bestätigung der Annahme hatten, noch einmal im Kabinett mit dem Gesetzentwurf und der Deckungsfrage beschäftigt, und. nachdem sich in der Zwischenzeit ergeben hatte, daß die Deckung vorhanden ist, haben wir uns entschlossen, das Gesetz in Kraft zu setzen. — So war es doch wohl, Herr Kollege Leddin?
Nun ist der springende Punkt: Was hat die Frage der Deckung mit der Zurückhaltung des Gesetzes zu tun? Hinterher wurde uns die kleine Zeitspanne zwischen dem 25. November und der Klärung der Deckungsfrage so erklärt, daß man in dem Ministerium - man bedenke: in jedem Ministerium gibt es einen Stab von Übersetzern — Schwierigkeiten gehabt habe, diesen Gesetzentwurf in die zwei vorgeschriebenen Fremdsprachen zu übersetzen. Das ist nur ein Grund mehr, zu wünschen, daß die Besatzungsmächte uns bald verlassen.
— Nun, russisch ist schwerer. Es ist immerhin nur eine Fremdsprache, während wir uns mit drei oder vier herumzuschlagen haben. Aber es ist immerhin nicht so schwer, daß auch Sie vielleicht es nicht noch lernen könnten.
Nun zur Sache. Als das Gesetz hier verabschiedet wurde, hat der Herr Bundesfinanzminister erklärt, daß die Frage der Deckung noch zu klären sei. Er hat ein offizielles Veto nach dem Recht, das ihm das Grundgesetz bedauerlicherweise zugesteht, nicht eingelegt. Aber für jeden, der Ohren hat zu hören, war es ganz klar: er war der Auffassung, daß das Gesetz erst dann weitergeht und dann in Kraft tritt, wenn er seine Deckung hat.
— Wieso natürlich? Die Deckung haben Sie ihm heute mit der Erhöhung der Mineralölsteuer bewilligt, und bei der Begründung der Erhöhung dieser Mineralölsteuer wird ganz klar das Junktim sichtbar, also die Verbindung der Bewilligung dieser einseitigen Belastung eines Teils der Bevölkerung mit dem Bundesversorgungsgesetz. Hier heißt es:
Mangels jeglicher Reserven im Bundeshaushalt 1950/51 war nach der Verabschiedung des Bundesversorgungsgesetzes die Gefahr entstanden, daß entgegen der zwingenden Vorschrift .... der bis dahin ausgeglichene Haushaltsplan 1950/51 nicht mehr abgeglichen werden könnte.
Also hier liegt das Junktim. Die ganze Last der Erhöhung der Versorgungsaufwendungen wird hier auf einen Teil der Bevölkerung abgewälzt
mit dem Ergebnis, das dieser Teil der Bevölkerung auf die Kriegsopfer automatisch gehetzt wird. So liegen die Dinge.
Ich stelle hier fest, daß dieser Teil unserer Anfrage und unseres Antrages immerhin dazu geführt hat, daß der Herr Bundesarbeitsminister und auch sein Kollege, der Herr Bundesfinanzminister, persönlich in den Ausschuß geladen wurden.
In einem Punkt hat der Bundesarbeitsminister dem Ausschuß eine gewisse Beruhigung gegeben, indem er sagte: Kommt. das Gesetz jetzt vom Petersberg herunter, dann wird der Herr Bundeskanzler es unterschreiben und in Kraft setzen. Damit ist eine Sorge aus der Welt geschafft, aber nicht die andere mindestens ebenso große Sorge, die Sorge nämlich, wann der letzte Kriegsbeschädigte in den Genuß der zum Teil wenigstens erhöhten Rente kommen wird und was in der Zwischenzeit mit denen wird, die auf Grund der derzeitigen Hungerrenten nicht leben und nicht sterben können. Da hat sich gestern in der Aussprache einiges sehr Erstaunliche herausgestellt. Die Herren Landesarbeitsminister sind für Januar kommenden Jahres nach Bonn geladen. Man will mit ihnen weitere Besprechungen wegen der Durchführung dieses neuen Gesetzes in den einzelnen Ländern führen. Die Formulare für die Neuanträge liegen nach wie vor —
ich hatte wenigstens so den Eindruck, und ich bitte mich zu korrigieren, wenn ich mich irre — noch bei uns in Bonn. Sie sind nicht einmal an die Länder hinausgegangen.
Die zweite Frage: Wie lange dauert die Durchführung dieses neuen Gesetzes bei dem derzeitigen Stab der Beamten, die es zu praktizieren haben? Als das Reichsversorgungsgesetz im Jahre 1920 durchgeführt wurde, dauerte es fast viereinhalb Jahre, bis der letzte Rentenberechtigte seinen endgültigen Bescheid in der Tasche hatte. Heute bei dem zersplitterten Versorgungsapparat, bei den nach förderalistischen Prinzipien ländermäßig aufgezogenen Versorgungsapparaten, in denen es an Fachmännern fehlt, denen zum Teil sogar nicht einmal die baulichen Voraussetzungen für die Unterbringung der Behörden gegeben sind, darf man, ohne irgendwie an der Wahrheit vorbeizureden, feststellen, daß die Durchführung der neuen Rentenversorgungsgesetzgebung drei oder vier Jahre in Anspruch nehmen wird.
Was soll in der Zwischenzeit geschehen? In der Zwischenzeit muß doch irgendwie weiter gezahlt werden. Sollen die derzeitigen Renten weiter gezahlt werden, sollen Teile der derzeitigen Renten gezahlt werden? Was soll in der französischen Zone gezahlt werden, wo in einer großen Anzahl der Fälle die alten Renten höher sind als die neuen? Das sind alles ungeklärte Dinge. Darum waren wir der Meinung, daß zur Klärung all dieser Fragen, ob das Gesetz Rechtskraft hat, und der Frage, in welcher Form die Kriegsopfer ihre neuen Bezüge oder Teile ihrer neuen Bezüge in die Hand bekommen sollen, eine gründliche Aussprache stattfinden muß. Und die hat stattgefunden und hat mit der Feststellung geendet, daß man auch die Zuschüsse für den Ausbau des Versorgungsapparates in etwa erhöhen sollte. Der Herr Berichterstatter hat davon gesprochen. Aber das, was in dem derzeitigen Etat für diesen Zweck vorgesehen ist, wird, soweit es nicht von Bayern absorbiert wird, das in diesem Fall einmal sehr wachsam gewesen ist, so gering sein, daß auch nicht ein Bruchteil der notwendigen baulichen Veränderungen und personellen Verstärkungen in den Versorgungsbehörden der Länder erzielt werden kann. So lingen doch wohl die Dinge.
Hinzu kommt noch ein dritter Tatbestand. Im Haushalts-Voranschlag 1950/51, mit dem sich jetzt der Haushaltsausschuß beschäftigt, steht unter „Soziale Kriegslasten" ein Betrag für die Rentenversorgung. Dieser Betrag lautet auf 2,3 Milliarden DM.
— Diese Berichtigung war Schwindel. Ich habe mir in der Zwischenzeit den Etat noch einmal angesehen und festgestellt, daß ich recht hatte. 2,3 Milliarden stehen da für die eigentliche Rentenversorgung. Diese Zahl muß uns aber irgendwie bekannt vorkommen. Das ist die Zahl, die in der ganzen Periode der Vorbesprechung dieses Gesetzes hier immer weder als die Zahl genannt wurde, die heute schon fällig ist oder fällig wird durch die Rentenleistungen der Länder auf Grund der bisher noch geltenden differenzierten Rentenversorgungsgesetze und auf Grund des im Früh-
fahr dieses Jahres hier beschlossenen sogenannten Rentenverbesserungsgesetzes. Im Etat steht also nur der Betrag, der damals hier als Gegenwert für die damaligen Verpflichtungen angemeldet worden war. Wie kommt es denn, daß in dem Etat nicht die Mehrausgabe steht? Warum steht hier im Etat nicht die Summe, die man uns damals als angebliche Gesamtkosten für die Finanzierung des Bundesversorgungsgesetzes genannt hatte? Damals sprach man doch von über mehr als 3 Milliarden DM. Wo ist denn die Differenz? Sehen Sie, weil diese Frage sogar nicht einmal im Haushaltsvoranschlag geklärt ist, werden Sie verstehen können, daß die Kriegsopfer draußen mit einer gewissen Sorge die Entwicklung dieser Angelegenheit verfolgt haben.
Nun zu dem Beschluß des zuständigen Ausschusses. Der Herr Berichterstatter, der Herr Kollege Arndgen, hat gesagt, der KPD-Antrag sei „umgeformt" worden. Das stimmt zwar nicht ganz, aber ich freue mich insofern, als er damit zugegeben hat, daß ein Prinzip, das in unserem Antrag gefordert wird, in diesem Antrag zum Teil wenigstens realisiert ist, nämlich die Anerkennung der Notwendigkeit, Rentenvorschüsse zu zahlen.
Das ist anerkannt.
Über die Frage, was blind ist, sind sich sogar die Gelehrten nicht einig. Und, Herr Kollege Arndgen, noch weniger ist man sich einig über den Begriff soziales Empfinden. Man kann christlich-sozial sein und bar jeder Spur von sozialem Mitgefühl.
Nun das Schlußwort, damit Sie gleich drankommen, Herr Kollege Arndgen! Wir haben mit unserem Antrag nicht das erreicht, was wir wollten. Wir haben nur erreicht, daß klargestellt ist, daß der Herr Bundeskanzler endlich gezwungen ist, das Gesetz durch seine Unterschriftvollziehung zur Rechtswirksamkeit zu bringen. Wir haben ferner erreicht, daß durch einen einstimmigen Beschluß der beiden Ausschüsse anerkannt ist, daß Rentenberechtigte aus diesem neuen Bundesversorgungsgesetz einen Anspruch auf Zahlung von Vorschüssen haben. Das ist kein voler Erfolg, aber wir freuen uns dieses Teilerfolges, und wir sind der Überzeugung, daß die Kriegsopfer uns dankbar sind, daß wir diese Klarheit geschaffen haben.