Rede von
Konrad
Wittmann
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Ihre Geduld nur wenige Minuten in Anspruch nehmen und bitte um gütiges Gehör. Über die Dringlichkeit des Problems der Umsiedlung brauchen wir kein Wort . mehr zu verlieren. Ich darf aber kurz auf die Darlegungen des Herrn Flüchtlingsministers hinweisen, ohne ihm unlautere Absichten zu unterschieben oder an seinem guten Willen zu zweifeln. Ich bitte nur, daß er als Minister dieses Ressorts und die anderen Herren, wenn es auch wenig Kohlen gibt, trotzdem ein bissel mehr Dampf darauf zu lassen, damit zu dem guten Willen nun auch die guten Werke kommen und damit das, was versäumt wurde, nun beschleunigt durchgeführt wird.
Die Hemmungen, die der Umsiedlung entgegenstehen, sind nicht nur wirtschaftlicher Natur. Ich bringe ein Beispiel, nur um das geistige und seelische Hindernis, das hier an allen Orten herrscht, kurz aufzuzeigen und auf die Gefahr hinzuweisen, die von dem Herrn Kollegen Reitzner angeschnitten wurde und wobei sich von dieser Seite großer Widerspruch ergab: auf ,die Verbitterung und Radikalisierung dieser Ärmsten und Notleidenden, die letzten Endes zur Revolution und zum Bürgerkrieg hinneigt. Ein Beispiel: In einem größeren Ort des mittelfränkischen Kreises Neustadt äußerte sich ein Gemeindeschreiber:
Wenn nur erst mal die Besatzungsmächte fort sind, dann werden wir die Zugereisten schon herausbringen;
dann werden wir sie schon heraustreiben. Und dazu wurde damals von diesem Herrn ohne Wissen des Bürgermeisters ein Formblatt in Druck gegeben, deutsch und tschechisch, das die Heimatvertriebenen meines Kreises ausfüllen sollten. Ich bin gerade noch zur rechten Zeit dahinter gekommen und konnte diesem Mann das Handwerk legen. Ich will damit sagen: Wir müssen alles daran setzen, um eine weitere Radikalisierung zu verhindern, wir müssen die inneren Schwierigkeiten bei uns vermindern und dürfen sie für die Aufnahmeländer nicht vergrößern.
Ich will nicht hinweisen auf die Diffamierungen in dieser oder jener Form, von denen wir heute gehört haben und wie sie das Leben uns tausendfach bringt. Diffamiert darf niemand werden, nirgends und niemals.
Wir Heimatvertriebenen wären dankbar, wenn alle Instanzen in dieser Hinsicht im Volke wirken würden. Wir Heimatvertriebenen, auch vom Sudetengebiete, fühlen uns als gleichberechtigte und auch als gleichwertige Staatsbürger des Bundes und verbitten es uns, irgendwie in dieser Form diffamiert zu werden.
Weiter wollen wir nicht immer nur darauf hinweisen, daß wir den Krieg verloren haben und daß das gesamte Volk für den verlorenen Krieg haftet. Praktisch haben wir uns ja darüber nicht zu unterhalten. Aber, sind denn die demokratischen Siegermächte nicht dafür verantwortlich, daß sie im Jahre 1945 nach der bedingungslosen Kapitulation, als sie begannen; uns umzuerziehen und zu bestrafen, selber neue, ähnliche und noch größere Verbrechen an ca. 18 Millionen Menschen begangen haben!
Diese Gedanken müssen wir der Welt immer wieder vorhalten. Es wurde heute gleicherweise von der Seite ganz links angeschnitten, — auch die Besatzungsmächte des Westens weisen immer wieder darauf hin — das Flüchtlingsproblem sei eine Folge des verlorenen Hitler-Krieges. Hierin widerspreche ich! Nein! Es ist nicht nur eine Folge des verlorenen Hitlerkrieges, sondern auch ihrer undemokratischen, unchristlichen Haltung gegenüber 18 Millionen Heimatvertriebenen? Siegerdemokraten haben dieses veranlaßt, niemand hat sie hierzu gezwungen!
Eine weitere Bemerkung: Herr Dr. Seelos hat erwähnt — ich will es nicht kleinlich auffassen und hoffe, es richtig verstanden zu haben —, wesentlich sei in der Frage der Umsiedlung, daß die Heimatvertriebenen alle einmal Arbeit bekämen und in zweiter Hinsicht handele es sich um die Wohnraumbeschaffung. In dieser Hinsicht wollten Sie, Herr Dr. Seelos, grundsätzliche Ausführungen machen, wenn ich es recht verstanden habe: wenn jeder Heimatvertriebene Arbeit habe und die Wohnraumbeschaffung annähernd oder ganz gelöst sei, dann sei das Flüchtlingsproblem gelöst. Nach meiner Auffassung ist das Flüchtlingsproblem damit noch nicht gelöst.
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Es ist nur sistiert. Es ist nur der Anfang zur Lösung gemacht. Es ist .dem Problem eine der gefährlichsten Spitzen genommen. Die Lösung des Problems als solches wird auch nicht nach der Umsiedlung beendet sein, sondern das Problem ist erst gelöst, wenn nach der Umsiedlung die Heimsiedlung durchgeführt wird. Wir wollen die geraubte Heimat wieder haben. Bis dahin müssen der Einzelne, die Länder und der Bund alles tun und dürfen nichts unversucht lassen, damit unsere Heimatvertriebenen am Körper gesund, arbeitsfähig und einsatzfähig bleiben. Dort ist alles verwüstet. Mit neuer, unvorstellbarer Arbeit werden wir beginnen müssen, die verwüstete, nun jahrelang brach liegengebliebene, verödete, verwilderte Heimat neu zu bebauen und wieder neu erstehen zu lassen. Ein Übermaß an Arbeit wartet dann in der zurückgegebenen Heimat auf uns. Wir erbitten und erwarten vom gesamten Volk und von der noch freien Welt rechtzeitige und ausreichende Hilfe, damit wir bis dorthin die geistige und seelische Spannkraft bewahren. Unsere Leute werden langsam müde und mürbe. Es gilt, rasch zu handeln; denn nur, wenn wir die geistige Spannkraft bewahren, werden wir auch die andern materiellen und wirtschaftlichen Aufgaben lösen.
Es kommt also nicht darauf an, wie der Herr Flüchtlingsminister zum Ausdruck gebracht hat, die Schwierigkeiten dadurch zu beheben, daß man 200 000 Umsiedlern 50 000 Wohnungen baut. Die Wohnungsgesetze wurden gelockert. Da gab es Hemmungen. Es ist erwiesen, daß Wohnraum vorhanden ist. Der vorhandene Wohnraum muß er. faßt und für die Umsiedlung sofort zur Verfügung gestellt werden. Da geht es schon etwas schneller, wenn man nicht immer nur den guten Willen betont, in Wirklichkeit aber nur aus taktischen Gründen die Sache verzögert, sondern indem man tatsächlich einheitlich durchgreift. Alle, insbesondere jene — ich erwähne das noch einmal —, denen die Not der Zeit nicht so sehr ans Herz gegriffen hat, die an dieser Not vorbeigegangen sind, müssen zuvor das beste Beispiel im Werke geben.
In diesem Sinne bitte ich die Regierung, bitte ich- die besitzenden Klassen und insbesondere die 100 neuen Millionäre des Westens, nicht nur theoretisch Verständnis für die Nöte der Heimatvertriebenen und der anderen Verarmten aufzubringen, sondern diese Nöte einmal praktisch ein wenig kennenzulernen. Es ist doch entsetzlich, nur daran zu denken, was damals geschehen ist und geduldet wurde, wo es hieß, es sei eine Kulturschande für Bayern, als man die Zustände in den Flüchtlingslagern entdeckte. Warum konnten die Zustände so lange Zeit andauern? Weil von den hohen Herrschaften niemand dorthin gegangen ist, weil niemand dort in den verwanzten Baracken geschlafen hat, wie wir es tun mußten, weil niemand die Suppe und das Geschlamm gegessen und gefressen hat, wie es Tausende wochen- und monatelang tun mußten. Wenn diese hohen Herrschaften die Nöte auch nur ein wenig miterlebt hätten, dann wären solche Zustände nicht so lange geduldet worden. Infolgedessen dürfen wir darum bitten, wenigstens einige Tage darauf zu verwenden, die Nöte dieser Menschen am eigenen Leibe kennenzulernen, indem man dorthin geht und sich das Leben anschaut.