Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind schöne und gute Worte angesichts eines Problems gefallen, das für Deutschland wohl das entscheidende und das wichtigste ist und von dessen richtiger Lösung unsere ganze Zukunft mit abhängen mag. Es hat uns mit tiefer Befriedigung erfüllt, daß das Problem, das wir vom ersten Tage des Bestehens des Bundestages als schwerwiegend angesehen haben, heute nun durch alle Parteien hindurch und auch von den Ländervertretern richtig erkannt worden ist und daß vor allem die Lösung des Flüchtlingsproblems wiederum entscheidend in einer richtigen Lösung des Flüchtlingsausgleichs gesehen worden ist. Die Worte, die der Begründer der Interpellation gefunden hat, können wir auch für Bayern fast wörtlich übernehmen. Es hätte keinen Sinn, hier über die spezielle Not der Flüchtlinge in einem Lande besondere Worte zu finden. Die Not liegt in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen und in Bayern, von gewissen Abtönungen abgesehen, vollkommen gleich oder ungefähr ähnlich. Ich möchte diese Länderunterschiede auch gar nicht so herausstellen, sondern ich möchte hier einige Worte ganz grundsätzlicher Art zu dem Flüchtlingsproblem sagen.
Wir feiern heute einen sehr denkwürdigen und ernsten Jahrestag. Heute vor fünf Jahren sind die Bevollmächtigten von Hessen, Württemberg und Bayern im Länderrat in Stuttgart zu dem obersten Amerikaner gebeten worden, und es ist ihnen mitgeteilt worden, daß drei Millionen Deutsche aus der Tschechoslowakei in sehr rascher Folge in den nächsten Monaten zu erwarten seien. Wir waren über diese Nachricht erschüttert und entsetzt und konnten sie zunächst nicht glauben. Drei Millionen sollten in diese zerstörten, vom Kriege heimgesuchten Länder hineingestopft werden. Auf Einwendungen wurde uns sofort gesagt: das hat alles keinen Sinn, das sind oberste Beschlüsse, das muß durchgeführt werden. Wir sagten schließlich, daß man doch die Leute mitten im Winter nicht auf die Straße legen kann, weil wir nicht einmal Baracken hatten. Das wurde dann einigermaßen honoriert, und die Umzüge begannen erst im Februar.
Nach jedem verlorenen Krieg gibt es Flüchtlingsströme. Damit muß man rechnen, und man muß die Verantwortung dafür tragen, so wie wir am Nazikrieg eben diese Verantwortung mit tragen müssen, auch wenn der einzelne nicht schuld daran ist. Aber es ist irgendwie nur tragbar, wenn es sich in gewissen Limiten hält, und nicht, wenn diese Zahl hier durch die Schuld der Alliierten auf eine achtstellige Zahl anwächst, die eben mit unseren Mitteln nicht mehr zu bewältigen ist. Dann nützt es auch nichts, wenn die Hilfe der Alliierten nur darauf hinausgeht, die doch im Verhältnis zu unseren Mitteln bewundernswerten Leistungen zu kritisieren, die die einzelnen Länder aufgebracht haben, oder wenn sie nur darauf hinausgeht, durch Militärbefehle einfach Anordnungen zu treffen. Hier können sie ihre große Schuld nur dadurch irgendwie ausgleichen, daß sie die internationale Hilfe etwas mehr in Bewegung setzen, weil wir das Problem allein einfach nicht lösen können.
Diese Hoffnung auf eine internationale Hilfe entbindet uns aber in keiner Weise von der Verpflichtung, eine Lösung für dieses Problem mit den Mitteln zu suchen, die uns eben zur Verfügung stehen.
Das Flüchtlingsproblem ist gelöst, wenn jeder arbeitsfähige Flüchtling einen seiner Fähigkeiten einigermaßen entsprechenden Arbeitsplatz gefunden hat. Die Wohnraumfrage wird dann früher oder etwas später auch gelöst werden. Das ist eine Binsenwahrheit, die ich hier sage. Als die Flüchtlinge in das Land hineinströmten, mußte man gegen diese Binsenwahrheit verstoßen, weil einmal die angrenzenden Länder sie aufnahmen, weil vor allem die agrarisch eingestellten Länder sie aufnehmen mußten, also das flache Land und nicht die Stadt. Sie mußten dort eingesetzt und untergebracht werden, wo sie nur schwer Arbeit finden konnten. Man sollte nun meinen, heute würde diese Binsenwahrheit — auch bei der Neuverteilung der Flüchtlinge — jedenfalls erkannt werden; aber man setzt diesen falschen Weg fort, indem man z. B. sagt: Zuerst müssen die Wohnungen irgendwo geschaffen werden — selbst dem reichsten Lande gibt man 100 Millionen DM Wohnungsbaukredit —, und dann erst sollen die Flüchtlinge nachfolgen. Das ist der falsche Weg, den wir vor 5 Jahren unter dem Drang ,der Ereignisse einschlagen mußten. Er ist auch 'deswegen falsch, weil Einzelverpflichtungen für einzelstehende Arbeiter von Industrieländern eingegangen werden, diese Arbeiter aber irgendwo in Zimmern untergebracht werden. Dann stehen die Wohnungen, die mit Wohnungsbaukrediten errichtet worden sind, für ganz andere Zwecke zur Verfügung. Das ist nur ein Zwischengedanke.
) Zur Lösung dieses Flüchtlingsproblems müssen wir also kommen; das liegt sowohl im Interesse der Einheimischen wie der Flüchtlinge selbst. Als wir im Bundestag diese Idee von Anfang an vertreten haben, hat man uns immer völlig andere Motive unterschoben. Es liegt nun aber einmal im beiderseitigen Interesse, daß die Spannungen gelöst werden, die gerade durch diese I. berfülle in bestimmten Gebieten und Ländern entstehen. Von den Vorrednern ist dies bereits eingehend ausgeführt worden, und ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen. Jedenfalls wird der richtige Weg für die Eingliederung, die doch das Ziel ist, nur dann gefunden sein, wenn die Verteilung einigermaßen gleichmäßig ist; denn die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern haben eben zuviel Flüchtlinge, um für sie einen Beruf zu finden. Das sehen wir ja auch an den Arbeitslosenziffern in schlagender Weise. Deshalb freut es uns, daß gerade auch von der SPD der Vorschlag dieses Gesetzentwurfes gekommen ist, der auf eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge hinzielt.
Wir brauchen hier auf die Einzelheiten nicht einzugehen. Wenn hier z. B. .das Schema 3 zu 2 zu 1 für Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern entgegen dem bisherigen Schlüssel 2 zu 1 zu 1, der in eingehenden Beratungen der Experten gefunden worden ist, eingeschlagen wird, so muß ich dem entgegenhalten, daß man schließlich nicht bloß die relative Stärke der Belegung mit Flüchtlingen, sondern auch die absolute Stärke der Belegung beachten muß. Da ist es nun einmal so, daß z. B. das relativ am stärksten belegte Land Schleswig-Holstein nach dem Stand vom 1. Juli 1950 916 000 Flüchtlinge hat; dagegen hat Bayern 1 936 000 Flüchtlinge, wozu noch 190 000 DPs kommen. Also auch die absolute Zahl spielt eine gewisse Rolle, und man muß deshalb in den Ausschüssen eingehend darüber beraten, welcher gerechte Schlüssel hier in Frage kommt; ob man zu einer Anderung des bisherigen Schlüssels von 2 für Schleswig-Holstein, 1 für Niedersachsen, 1 für Bayern übergehen soll.
Jedenfalls liegt sowohl in der Interpellation wie in dem Gesetzesvorschlag der SPD eine schwere Kritik an der Bundesregierung, die von ihren Möglichkeiten nicht vollen Gebrauch gemacht hat. In Schleswig-Holstein sind immerhin 65 % von der Zahl von 150 000 umgesiedelt worden, in Bayern von 75 000 nicht einmal 40 %. Also wir sind in dieser Hinsicht sogar noch viel schlechter gestellt als Schleswig-Holstein. Es liegt hier — das ist auch unsere Überzeugung eine echte Bundesaufgabe vor, die von den Ländern nicht gelöst werden kann.
Wir unterstützen deshalb alle Maßnahmen, die eine Stärkung der Bundesexekutive herbeiführen sollen, weil wir nur darin eine Möglichkeit der Lösung sehen, die wir mit allen Mitteln fördern wollen.