Meine Damen und Herren, ich bitte sehr um Ihre Aufmerksamkeit, damit nicht der Eindruck entsteht, daß bestimmte Punkte der Tagesordnung von geringerem Interesse für das Haus wären.
Dr. Solleder , Interpellant:
— der es ermöglicht, die Berechnungen der Umwegsentfernung zum Umfahren der russischen Besatzungszone aufzuheben und insbesondere in dringenden Fällen die durch die mehrfachen Erhöhungen der Eisenbahngütertarife entstandenen Härten durch Sondertarife zu mildern, um die Existenzfähigkeit der einschlägigen Industriebetriebe in Ostbayern aufrechtzuerhalten.
Dazu noch der Nachtrag: Die Frachterleichterung bzw. der Umwegskilometerwegfall soll sich auch auf die unterfränkischen Landbezirke erstrecken, soweit sie an die Ostzone grenzen.
Dieser also schon 3/4 Jahre zurückliegende Beschluß des Bundestages hätte der Regierung Veranlassung geben müssen, alles in die Wege zu leiten, um die dort in diesen ostbayerischen Gebieten bestehende Notlage zu beheben. Gewiß sind verschiedene Vertreter der Regierung, der Ministerien in diese Gebiete gekommen und haben persönlich von den dortigen Verhältnissen Augenschein genommen. Geschehen ist bis heute soviel wie nichts. Es handelt sich aber hier um eine wirkliche Notlage eines deutschen Gebietes, die einerseits darauf zurückzuführen ist, daß dieses ost-
bayerische Gebiet durch die neuen Grenzziehungen von seinen Wirtschaftsgrundlagen, seinen Absatzgebieten und Rohstoffbezugsquellen abgeschnürt wurde. Dieses bayerische Gebiet war von Natur aus sowohl hinsichtlich des Bezuges der Rohstoffe wie auch hinsichtlich der Absatzgebiete nach Mitteldeutschland bzw. in der Richtung auf Osteuropa orientiert. Wie ja bekannt ist, sind durch die Grenzziehungen, die das neue Bundesgebiet über sich hat ergehen lassen müssen, Abschnürungen erfolgt, die einer wirtschaftlichen Einkesselung dieses Gebietes gleichkommen.
Während ehedem die Kohle vor der Haustüre lag, in der Tschechoslowakei, kaum einige 50 km weg, muß heute die Kohle, das Schlüsselprodukt für die dortige Gesamtwirtschaft, über 600 km herangeführt werden. Was das bedeutet, ist ganz klar, wenn man bedenkt, daß die dortige Industrie im wesentlichen auf Kohle eingestellt ist: ich erinnere an die Porzellanindustrie, an die eisenschaffende Industrie, die in der Oberpfalz besteht, und auch die anderen Industrien. Wenn man das bedenkt, dann ist ganz klar, daß diese Gebiete durch diese Abschnürung wirtschaftlich abgedrosselt sind. Die Mehrbelastung im Vergleich zum Jahre 1938 beträgt allein an Kohle für dieses Gebiet etwa 12 Millionen Mark im Jahr, die von der dortigen Industrie mehr aufgebracht werden. Dazu kommen die Mehrkosten für die anderen Rohstoffe, die ebenfalls etwa 10 Millionen DM betragen. Dazu kommen ferner die Mehrkosten für die neu zu gewinnenden Absatzgebiete in Westdeutschland die ebenfalls auf 10 bis 12 Millionen DM zu schätzen sind, so daß von diesem an und für sich armen Gebiet heute Mehrbelastungen von mehr als 30 Millionen DM getragen werden müssen.
Dazu kommt noch die Mehrauflage, die dadurch entsteht, daß Umwegkilometer gefahren werden müssen. Im Norden ist wie ein Riegel die russische Zone vorgeschoben, und deren Umfahrung verursacht Mehrfrachtkosten, unproduktive, nur politisch begründete Mehrfrachten von bis zu 200 km zu dem westdeutschen Industriegebiet und zu den Seehäfen.
Hieraus ist erkenntlich, daß dieses Gebiet zum Absterben verurteilt ist, wenn nicht wirklich durchgreifende Maßnahmen getroffen werden.
Diese durchgreifenden Maßnahmen liegen auf Grund der Ihnen eben geschilderten Situation in erster Linie auf dem verkehrspolitischen Gebiete. Die Umwegkilometer müssen wegfallen, und es muß eine Tarifregelung getroffen werden, die die dortigen Industrien lebensfähig erhält.
Bereits heute machen sich die Erscheinungen bemerkbar, daß die dortigen Industrien abwandern. Aus Oberfranken haben bereits fünfzehn Textilfabriken angemeldet, daß sie sich nach Westdeutschland verlagern werden. Die große Textilfabrik Witt, Weiden, mit so und soviel tausend Arbeitern trägt sich mit der Absicht, von Bayern wegzuziehen und sich nach Westdeutschland zu verlagern.
Wenn man sich auf die Höhen des Bayerischen Waldes begibt und in die Tschechoslowakei hinübersieht, so sieht man, daß dort deutsche Dörfer in die Luft gesprengt werden, daß ein Ödland geschaffen wird in einem Gebiet, das ursprünglich kerndeutsch war. Und wenden wir unseren Blick
nach Deutschland zurück, so müssen wir die Feststellung treffen, daß auf deutschem Boden ebenfalls eine Verödungspolitik getrieben wird durch Abwanderung der Industrien, daß eine Million Flüchtlinge, die sich dort seßhaft gemacht haben, nicht Heimat und Brot finden können, weil dieses Gebiet der Verelendung anheimfällt.
Wir haben seinerzeit — im Jahre 1931 — ein Osthilfegesetz gehabt, mit dem diese Randgebiete vom Reich her gestützt wurden. Es war die Bayerische Ostmark, und es war Ostpreußen. Bis heute hat man im Bundesgebiet noch nicht die Mittel und Wege gefunden, um dieses schwer notleidende Gebiet zu unterstützen. Das, was bisher in anderer Weise gemacht wurde, ist so wenig, daß es kaum irgendwie beachtenswert ist.
Das Kernproblem ist die Verkehrslage und ist die Lösung der Frachttarife. Dazu kommt — das will ich in aller Offenheit aussprechen —, daß die Tarifpolitik der Bundesbahn sich für die Randgebiete katastrophal auswirkt, Man ist abgegangen von jener organischen Tarifpolitik, wie sie ehedem bestanden hat, und man hat sich mehr oder weniger darauf eingestellt, mit linearen Zuschlägen das Defizit in der Kasse der Bundesbahn abzudecken. Die Folge ist, daß die Randgebiete, die ärmsten Gebiete, die so schon sehr betroffen sind, durch diese linearen Zuschläge am schwersten betroffen sind und daß diejenigen, die hier am Rande des Bundesgebiets automatisch schon die größeren Frachten zu tragen haben, durch eine schematische Tarifpolitik glatt abgewürgt werden. Hier wird durch eine derartige Tarifpolitik, die den Gedanken der Gemeinwirtschaft, der ja der Bundesbahn zueigen sein muß, außer acht läßt, systematisch mit herbeigeführt, daß die dortigen Industrien nicht mehr bestehen können.
Das ist die Lage, und es kommt darauf an, daß hier etwas geschieht. Infolgedessen hätte nichts näher gelegen, als daß der Beschluß des Bundestages hinsichtlich der Unterstützung, der Subventionen, durchgeführt wird. Der Herr Bundesfinanzminister beruft sich im wesentlichen darauf, daß er eigentlich nicht zuständig sei, sondern daß es Aufgabe der Länder wäre und dazu der Finanzausgleich gehöre, um diese Dinge zu klären und zu erledigen. Dem ist nicht so. Es handelt sich hier um eine echte, rechte Bundesaufgabe. Hier handelt es sich um ein deutsches Gebiet, das gehalten werden muß, und es handelt sich darum, daß dieses Gebiet wirtschaftlich eingegliedert werden muß.
Deshalb kann ich diese Argumentation nicht anerkennen.
Es muß daher von seiten der Regierung alles getan werden und möglichst rasch getan werden, damit hier Abhilfe geschaffen wird, damit nicht diese Abwanderung der Industrien erfolgt und ein Teil des Bundesgebietes der Verelendung anheimfällt und hier Schaden angerichtet wird, der nicht wieder gutzumachen ist.
Ich bitte daher, meine Interpellation dahin aufzufassen, daß alles getan werden muß, um im Sinne einer Regelung der Umwegkilometer-Entfernung wie auch einer Regelung der Frachtermäßigungen das Entsprechende zu veranlassen. Es geht nicht an, daß man, wie vom Herrn Bundesverkehrsminister als Standpunkt vertreten wird, nur ein Pflästerchen darauf pappt, indem man sagt: für Steine und Erden können wir vielleicht Frachterleichterungen gewähren, aber für die Kohle geht
das nicht. Die Kohle ist selbstverständlich der Ausgangspunkt für alle Erleichterungen, die für diese Gebiete frachtmäßig gewährt werden müßten. Es läßt sich auch durchführen, denn mit 8 Millionen in diesem Haushaltsjahr kann man das Schlimmste abwenden, und der Schaden, der dadurch entsteht, daß nichts geschieht, ist ungeheuer viel größer.