Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine geschäftsordnungsmäßige Bemerkung. Dieser Antrag ist nicht von Fraktionen, sondern von Persönlichkeiten eingebracht. Ich spreche nicht für meine Fraktion, sondern als deutscher Rechtsanwalt, und es ist ein absoluter Zufall, daß ich einer Fraktion angehöre, deren Redezeit sehr beschränkt ist. In solchen Fällen halte ich die Schematisierung der Fraktions-Redezeiten — entschuldigen Sie den harten Ausdruck — für einen glatten Unsinn. Das darf ich vorausschicken.
Ich will trotzdem, weil ich immer kurz zu sprechen pflege, versuchen, mich an dieses Schema nach Möglichkeit zu halten. Ich hoffe, daß ich mindestens für die Mehrzahl, wenn nicht alle Anwaltskollegen in diesem Hause spreche.
Ich möchte erstens materiell sagen und glaube es namens der deutschen Anwaltschaft — ich gehöre dem Beirat des Vorstandes des Deutschen Anwaltsvereins an — sagen zu können, daß wir geschlossen den numerus clausus für ein Grundübel halten, weil nun einmal der Anwalt nur dann seine Berufspflichten überhaupt wahrnehmen kann, wenn er frei ist, wenn also die Frage, wer diesen Beruf ausüben kann, nicht von irgendwelchen Ermessensfragen der Verwaltung abhängig ist. Aus diesem Grunde sind wir im Prinzip gegen jede Einschränkung; auch in dem Vorschlag der vereinigten Kammervorstände ist die freie Berufsausübung im Prinzip selbstverständlich vorgesehen. Ob man sie aber ohne Einschränkung in einem Land wie Schleswig-Holstein, das von Flüchtlingen überlastet und dessen Einwohnerzahl fast verdoppelt ist, zulassen kann, ohne den Stand als ganzen zu gefährden, ist die furchtbare Sorge, vor der wir stehen. Das zum Grundsätzlichen.
Nun handelt es sich ja heute keineswegs darum, daß ein Bundesgesetzgeber etwa zu dieser verfassungsmäßigen Frage auch nur Stellung nehmen soll. Denn daß die in den Ländern erlassenen Gesetze vor Erlaß des Grundgesetzes so geregelt werden konnten, wie die Länder es wollten, ist einwandfrei. Daran wollen wir gar nichts ändern. Was wir ändern wollen, ist dies: Wir wollen die Bestimmung, die die Geltungsdauer von vornherein bis zum Erlaß der Bundesrechtsanwaltsordnung bemessen wollte - man nahm offenbar an, der Bund würde ein bißchen schneller arbeiten; wir haben heute ja schon mehrfach von Fristversäumnissen gehört —, bis zu diesem Zeitpunkt aufrecht erhalten, also nur in den entsprechenden Vorschriften ein Datum ändern, sonst gar nichts! Damit machen wir uns den Inhalt der Gesetze doch in keiner Weise zu eigen.
3826 Deutscher Bundestag — 104. _Sitzung. -Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1950
Ich bin daher der Meinung, daß wir es an sich bei dem Beschluß des Ältestenrats dann belassen können, wenn wir, wie ich dringend hoffe, den Antrag des Herrn Justizministers auf Ausschußüberweisung mit Mehrheit ablehnen, indem wir erklären, daß uns die Frage der Verfassungsmäßigkeit des numerus clausus in diesem Stadium und bei dieser Vorlage überhaupt nicht interessiert. Die Frage wird bei der neuen Bundesrechtsanwaltsordnung, insbesondere soweit es sich um das etwa notwendige Übergangsrecht handelt, außerordentlich brennend und interessant werden. Aber heute, da nur Daten von Gesetzen, die schon seit Jahr und Tag gelten, verändert werden sollen, kann uns diese Frage meines Erachtens gar nicht berühren. Ich möchte den überlasteten Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, der sich jetzt bemüht, endlich das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht unter Dach und Fach zu bringen, nicht mit einer Frage belasten, über die sich die Juristen unter Umständen viele Stunden unterhalten müssen. Wenn die Angelegenheit vor Weihnachten nicht verabschiedet wird, wird in vielen Ländern ein Justitium, ein Stillstand der Rechtspflege herbeigeführt. Es ist gar nicht abzusehen, was dann ohne jede Ordnung alles geschehen könnte.
Ich möchte also im Gegensatz zu dem, was der Herr Präsident als allgemeine Meinung zu Beginn feststellen wollte, die Abgeordneten dringend bitten, grundsätzlich den Antrag auf Ausschußüberweisung, der in der ersten Lesung gestellt werden kann, abzulehnen und in die zweite Lesung einzutreten. Der Antrag könnte, wie gesagt, in der ersten Lesung gestellt werden; worüber dann in der zweiten Lesung der Ausschuß berichten müßte. Vorgesehen sind heute laut Tagesordnung alle drei Lesungen an einem Tag. Ich bitte in erster Linie, am Schluß der ersten Lesung den Antrag des Herrn Justizministers abzulehnen und dann sogleich in die zweite Lesung einzutreten.