Rede von
Dr.
Max
Solleder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erörterung über die Notstandsgebiete kann meines Erachtens nur dann fruchtbar sein, wenn wir uns darüber klar werden, was wir damit meinen und was bezweckt werden soll.
Notstand ist heute sicher an allen Ecken und Enden Deutschlands. Es kann sich also nur darum handeln, daß infolge der Veränderung der politischen Lage und der Struktur des Bundesgebiets un d infolge außerordentlicher Kriegseinwirkungen die Lebensfähigkeit von Gebieten in Frage gestellt ist. Und hier wiederum sticht uns die Frage des politisch begründeten Notstandes in die Augen. Da ist im Scheinwerferlicht der Weltpolitik uns allen klar, daß es in erster Linie Berlin ist. Es wird aber nicht so sehr beachtet, daß wir durch die neuen Grenzziehungen der Sowjetzone nach Osten hin in Deutschland einen toten Winkel erhalten haben und daß das darin liegende Gebiet in keiner Weise lebensfähig sein wird,
wenn nicht von Bundes wegen — und hier handelt es sich um eine echte Bundesaufgabe — Mittel und Wege gefunden werden, um dieses zum Tode verurteilte Land im Osten lebensfähig zu erhalten. Es handelt sich um Ostbayern.
Sie wissen: Ostbayern ist jenes Gebiet, daß von Norden her durch die Sowjetzone und im Osten durch die Tschechoslowakei und durch die österreichische Grenze abgeschnürt ist und nach Westen hin nur einen schmalen Weg hat und das seine ganzen Absatz- und Produktionsgebiete, die in dem wirtschaftlich hochentwickelten Mitteldeutschland lagen, verloren hat. Die dortigen Industrien sind zum Sterben verurteilt. Schon alsbald nach Eröffnung des Bundestags sind Anträge in der Richtung eingebracht worden, und der Bundestag hat auch in anerkennenswerter Weise beschlossen, daß insbesondere auf dem Gebiet der Frachterleichterung Mittel und Wege zur Hilfe gefunden werden müssen. Geschehen ist praktisch auf diesem Gebiet leider Gottes — ich muß es offen aussprechen — nichts. Die Folge ist, daß die dortigen Industrien bereits abwandern. Dabei handelt es sich um ein Gebiet mit etwa drei Millionen Menschen, wovon fast die Hälfte Flüchtlinge sind, die keine Wirtschaftsgrundlage haben, in landwirtschaftlichen Gegenden auf dem flachen Lande leben und insgesamt oder zum größten Teil der sozialen Fürsorge anheimfallen.
Dabei macht sich gerade in diesen Gebieten die östliche Infiltration außerordentlich bemerkbar. Natürlich ist es so, daß die Bolschewisten heute nicht mit der Larve der Kommunisten oder offen auftreten, sondern daß sie eben den Radikalismus schüren, wo sie können, und zwar so, wie es dem Volke mundgerecht ist. So mag es Ihnen vielleicht begreiflich erscheinen, daß gerade bei uns in Bayern diese oder jene radikalen Richtungen in Erscheinung treten. Das sind Infiltrationserscheinungen vom Osten her.
Das ist das Ausfallsgebiet für den Bolschewismus, das genau so exponiert ist wie Berlin, nur daß man dort schweigt und das Scheinwerferlicht der Welt dort nicht hingeworfen ist. Deshalb glaube ich, ihnen diese Dinge von dieser höheren Warte aus beleuchten zu müssen.
Wir werden Gelegenheit haben, bei der von mir und meinen Freunden eingebrachten Interpellation über die Frachterleichterung für dieses Gebiet noch besondere Erörterungen anzustellen. Ich darf mich also heute damit begnügen, Ihnen diese allgemeinen Gesichtspunkte vorgetragen zu haben. Nicht einig gehe ich damit, daß mit einer allgemeinen Kodifizierung eines Notstandsgebietes etwas gedient sei. Ich bin der Auffassung, daß man die Gebiete speziell ansprechen muß. Der Ausdruck „Notstand" ist zu allgemein, als daß man damit etwas anfangen könnte. Man muß erkennen, wo die Mängel liegen, und es muß durch gesetzgeberische Maßnahmen sofort gehandelt werden. Das Problem in Ostbayern ist insofern verhältnismäßig einfach zu
lösen, weil das Kernproblem ist: die Wiederherstellung der Verkehrslage, den Verlust der Standorte durch Frachterleichterungen und Straßenbauten auszugleichen, das Gebiet wirtschaftlich an den Westen heranzubringen. Doppelt gibt, wer schnell gibt! Das möchte ich insbesondere der Regierung sagen.