Darf ich fragen, ob der Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Schröder von 30 Abgeordneten unterstützt wird? — Das ist der Fall, da er namens der Fraktionen gestellt ist.
Es ist der Antrag gestellt, die Drucksache Nr. 1472 ebenfalls dem wirtschaftspolitischen Ausschuß zu überweisen. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Wir stimmen ab über den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Schröder. Wer ist dafür? — Wer ist dagegen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen. Damit sind die Punkte 2a und 2b der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Fraktionen des Zentrums, der Bayernpartei und der WAV betr. Gesetzgebungswerk für Notstandsgebiete in der Bundesrepublik Deutschland .
Der Ältestenrat hat Ihnen vorzuschlagen, daß für die Begründung 15 Minuten, für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen werden. — Es wird nicht widersprochen. Damit ist so beschlossen. Zur Begründung der Interpellation hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Etzel.
Dr. Etzel (BP), Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Bayernpartei hat am 21. September 1949 mit Drucksache Nr. 24 den Antrag auf Bildung eines Ausschusses „Bayerisches Notstandsgebiet" eingebracht. Der Antrag wurde gemäß dem interfraktionellen Antrag Drucksache Nr. 63 dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß zugeleitet. Auch die Ausschüsse für Grenzlandfragen und Verkehrspolitik waren im weiteren Verlauf mit ihm beschäftigt.
Am 30. September beantragte die Fraktion der CDU/CSU mit Drucksache Nr. 95 eine Soforthilfe für die sogenannte „Rote Zone". Mit dem Antrag befaßte sich der Grenzlandausschuß. Der Mündliche Bericht desselben — es ist die Drucksache Nr. 348 — wurde in der 27. Plenarsitzung am 18. Januar 1950 einstimmig gebilligt. Er beantragte die Vorlage eines Gesetzes zur Bekämpfung der Notlage der Grenzgebiete und die Bereitstellung von Mitteln zur Bildung eines Grenzlandfonds.
Ein Antrag der Fraktion der SPD vom 5. Oktober 1949 — Drucksache Nr. 80 — wollte die Erklärung Schleswig-Holsteins zum Notstandsgebiet und die Aufstellung eines Notstandsprogramms für dieses Land. Der Antrag wurde vom Plenum an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik, bei dem die Federführung liegt, und an die Ausschüsse für Heimatvertriebene und für Finanz- und Steuerfragen überwiesen. Dem vom Bundestag in der 86. Sitzung vom 15. September 1950 verabschiedeten Gesetz über eine vorläufige Finanzhilfe für das Land Schleswig-Holstein im Rechnungsjahr 1950 hat der Bundesrat nicht zugestimmt. Die Bundestagsausschüsse für Verfassungsschutz und für Geld und Kredit prüfen gegenwärtig die Frage, ob der Bundestag seinerseits den Vermittlungsausschuß anrufen kann und soll.
Der in der 79. Plenarsitzung vom 23. Juni dieses Jahres einstimmig gebilligte Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen über den Antrag der Abgeordneten Dr. Solleder, Dr. von Brentano und Genossen beantragte für die ostbayerischen Grenzgebiete die Vorkehrung von Maßnahmen, wie sie früher für Ostpreußen durch das Osthilfegesetz gewährt wurden, und zur Abgeltung der durch die ostzonale Grenze entstandenen Umwegentfernungen die Bereitstellung eines Betrages von 30 Millionen DM als Frachthilfe sowie Gewährung von Sondertarifen in besonders dringlichen Fällen als Härteausgleich. Da mit der Ausführung des Bundestagsbeschlusses durch die Bundesregierung bzw. den Herrn Bundesfinanzminister, wie auch die Verhandlungen in Bamberg am 9. August in Gegenwart des Herrn Bundesverkehrsministers erkennen ließen, nicht zu rechnen war, haben die Antragsteller am 15. Oktober eine Interpellation — Drucksache Nr. 1462 — eingebracht.
Außerdem sind Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Fachverbände, sonstige Wirtschaftsorganisationen, einzelne Gemeinden, Gemeindeverbände und Landkreise mit Gesuchen um unmittelbare Unterstützung durch den Bund vorstellig geworden.
Der Grenzlandausschuß und der Herr Bundesverkehrsminister haben sich durch Besichtigungsreisen an Ort und Stelle über die bestehenden Verhältnisse und Notstände unterrichtet. Von den Staatsregierungen der betroffenen Länder wurden umfangreiche Materialien vorgelegt. Es erscheint an der Zeit, daß aus den sehr eingehenden Vorarbeiten endlich die Folgerungen gezogen werden. Es ist außer Frage, daß es sich um ein sehr schwieriges, höchst bedeutungsvolles und in vielen Beziehungen auch neuartiges Problem von größter Tragweite handelt. Die Ursachen und Bedingungen der Notstände sind verschieden. In allen Fällen aber sind sie — und das verleiht ihnen ein besonderes Gewicht — nicht vorübergehender, sondern struktureller Natur. Die Lage im bayerischen Notstandsgebiet beispielsweise, das sich in einem weiten Bogen von Passau durch Niederbayern, die
Oberpfalz, Oberfranken und Unterfranken bis zur Rhön zieht, beruht nicht nur auf geographischen, landschaftlichen und klimatischen Bedingungen, sondern vor allem auf der übermäßigen Belegung überwiegend landwirtschaftlicher Gebiete mit Flüchtlingen, auf der Unterbindung und Zerstörung der in Jahrhunderten entwickelten Verkehrs- und Wirtschaftsbeziehungen durch die neue zonale und politische Grenzziehung, auf der dadurch verursachten außerordentlichen Verschärfung ihrer zu den Kohlen- und Rohstoffquellen an sich bestehenden peripheren, äußerst nachteiligen Lage, also auf der Vorausbelastung mit riesigen Umwegfrachten. In den Denkschriften, ebenso in dem Mündlichen Bericht des Verkehrsausschusses zu den Drucksachen Nr. 1033 und Nr. 111 in der 72. Plenarsitzung vom 23. Juni dieses Jahres ist dies sehr überzeugend und eindrucksvoll dargetan worden. Andere Gebiete, wie die sogenannte „Rote Zone", sind durch unmittelbare und mittelbare Kriegseinwirkungen besonders schwer getroffen worden. In einer Reihe von Fällen wurde die auf Rüstungsbetrieben oder besonderen anderen Industrien aufgebaute Existenzgrundlage ganzer Gebiete dadurch vernichtet, daß diese Industrien und Betriebe nach der Kapitulation fortgefallen sind.
Die Notstände sind meist so schwer, daß die Mittel der Länder und Gemeinden nicht ausreichen, um ihnen wirksam zu begegnen. Eine besonders schwierige und bedenkliche Lage besteht dort, wo zu dem allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Notstand noch der gefährliche politische Aspekt des Grenzlandes hinzutritt.
Mit großer Sorge erfüllt die durch die Ungunst der Verhältnisse hervorgerufene und zunehmende Tendenz und Neigung zur Abwanderung ganzer Industrien nach dem Westen. Es kann nicht im Interesse des Bundes oder der einzelnen Länder liegen, daß eine weitere scharfe Konzentration der wirtschaftlichen Potenzen von dem Osten nach dem Westen erfolgt. Das Ganze kann nicht bestehen und gedeihen, wenn sich wichtige Teile in einer dauernden Notlage befinden und sich einer ständigen Bedrohung und Gefährdung gegenübersehen. Darum sind auch andere Länder, wie vor allem England für seine depressed areas, seit vielen Jahren daran gegangen, erklärten Notstandsgebieten planmäßige und nachhaltige Förderung angedeihen zu lassen, also eine systematische Notstandspolitik zu treiben.
Nicht nur, weil die Abhilfe die Möglichkeiten und Mittel der Länder und örtlichen Instanzen in der Regel übersteigt, sondern auch, weil es sich in den meisten Fällen um Kriegsfolgen im Sinne des Art. 120 des Grundgesetzes handelt, muß der Bund eingreifen. Die Maßnahmen, die von ihm ins Auge zu fassen und zu treffen sind, dürfen keine Verzettelung der Mittel und keine Zersplitterung der Maßnahmen zur Folge haben. Es geht darum, sich nicht in Einzelaktionen zu erschöpfen, sondern durch ein umfassendes Gesamtwerk, sozusagen durch eine Kodifikation den zweifellos bestehenden Notständen entgegenzutreten. Es handelt sich um eine Aufgabe von höchster Dringlichkeit und nicht nur um den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Effekt, sondern auch um die wichtige psychologische, also politische Wirkung. Darum geht es im vorliegenden Fall. Es gilt, der Bevölkerung der betroffenen Gebiete das Gefühl der Vereinsamung, der Preisgegebenheit zu nehmen, ihr zu zeigen, daß die Gesamtheit der deutschen Gemeinschaft entschlossen und bereit ist, ihr zu Hilfe zu eilen.
Die gebotenen Maßnahmen können nicht auf die Bildung etwa eines Grenzland- oder sonstigen Notstandsfonds beschränkt werden, sondern es wird nach Maßgabe der in den einzelnen Notstandsgebieten bestehenden Verhältnisse und Umstände eine sorgfältige Abstimmung der zu treffenden Vorkehrungen und zu leistenden Hilfen erfolgen müssen. Dazu gehören auch die Fragen der Instandsetzung und der Trassierung der Verkehrswege, die neu zu erschließen sind, der Frachtpolitik, der Kreditpolitik, der Rohstoffversorgung und der Verteilung der Aufträge des Bundes.
Ich möchte aus der Dringlichkeit des Problems heraus der Hoffnung Ausdruck geben, daß es der Bundesregierung heute möglich sein wird, dem Bundestage so befriedigende Aufschlüsse zu geben, daß für die bedrängten Gebiete eine neue Hoffnung entsteht. Ich darf annehmen und wünschen, daß die Arbeiten des interministeriellen Ausschusses, der zur Durchprüfung dieses Problems eingesetzt und tätig geworden ist, so weit gediehen sind, daß in Kürze ein Gesetzgebungswerk vorgelegt werden kann. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, ob dann dieses Werk in einem einzigen Gesetz oder in mehreren Spezialgesetzen für die einzelnen Notstands- und Grenzlandgebiete zustande kommt.
Ich schließe mit der dringenden Bitte und dem Wunsche, der Herr Bundeswirtschaftsminister möchte sich heute in der Lage sehen, dem Hohen Hause zu eröffnen, daß die Arbeiten so weit fortgeschritten sind, daß den bedrängten Gebieten in absehbarer Zeit eine effektive, wirksame Hilfe zuteil werden kann.