Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Grundgedanken dieses Gesetzes kann sich die sozialdemokratische Fraktion auf gar keinen Fall einverstanden erklären. Was war der Sinn der jetzt aufgehobenen Bestimmungen? Wir haben vom Herrn Wirtschaftsminister erfahren, daß es sich im wesentlichen um eine reine Maßnahme der Kriegsfinanzierung gehandelt habe, die erst während des Krieges ergriffen worden sei, um den Dividendensegen nicht zur Ausschüttung gelangen zu lassen, sondern die Gewinne unsichtbar zu machen. Das stimmt nicht ganz. Die jetzt aufzuhebenden Bestimmungen haben ja einen Vorläufer, — einen Vorläufer, der auch aus dem Dritten Reich stammt, wie sicherlich zuzugeben ist. Es waren das Kapitalanlagegesetz und ihm folgend das Anleihestockgesetz vom Jahre 1934. Beide Gesetze haben das gleiche getan, was auch die jetzt aufzuhebenden Bestimmungen in der Praxis erreichen sollten. Sie haben das Ausmaß der Dividendenausschüttung im Normalfall auf 6 % begrenzt.
Nicht die Rede war in der Begründung des Herrn Wirtschaftsministers von einer weiteren Vorschrift, die gleichfalls in dem jetzt aufzuhebenden Bestimmungen enthalten ist und die vorsieht, daß es verboten wird, Aufsichtsratvergütungen über das bisherige Ausmaß hinaus zu erhöhen. Ich darf Sie an eine Reihe der Bundestagsdebatten der letzten Zeit erinnern. Der Finanzminister hat außerordentlich große Sorgen. Er kündigte uns an, daß
wir mit einer Flut von neuen Deckungsvorschlägen zu rechnen haben werden, die ja auch jetzt bereits dem Bundesrat als Drucksachen vorliegen und mit denen wir uns im Bälde zu befassen haben werden, damit der Bund in der Lage ist, auch nur den dringendsten sozialen Verpflichtungen nachzukommen. Das zweite Wort der Bundesregierung bei allen Anträgen auf Verbesserung sozialer Leistungen in diesem Hause oder in den Ausschüssen lautet doch: „Für alle diese Aufwendungen ist kein Geld da". Man hat sich in nicht gerade sehr erfreulicher Weise — auch vom Standpunkt der großen industriellen Verbände — gegen die doch durch die Preisentwicklung unvermeidbar gewordenen und zu einem Teil durchgesetzten Lohnforderungen der Arbeitnehmer gewandt. Eine ganze Reihe von sehr wichtigen Aufbesserungen, die wir machen müssen, damit die Notlage der Ärmsten unseres Volkes gemildert wird, z. B. die Weihnachtszuwendungen für den Kreis der Fürsorgeempfänger, werden dieses Haus noch zu beschäftigen haben. Überall wird uns entgegengehalten: wir haben dafür kein Geld, wird sind ein armes Volk. Aber dann scheint es offenbar in diesem armen Volk eines der dringendsten Anliegen der Bundesregierung zu sein, dafür zu sorgen, daß mehr Dividende ausgeschüttet werden kann. Das können wir unter keinen Umständen gutheißen.
Es scheint weiterhin eines der dringendsten Anliegen der Bundesregierung zu sein, dafür zu sorgen, daß ausgerechnet die Begrenzung der Aufsichtsratsvergütungen fällt. Offenbar ist der Kreis der Dividenenempfänger und der Kreis der Aufsichtsratsmitglieder derjenige, dem die besondere soziale Fürsorge dieses Bundestages zu dienen habe.
Wir wenden uns gegen beide Dinge, und zwar nicht nur um der Optik willen, sondern auch deshalb, weil die darin zum Ausdruck kommende wirtschaftspolitische Konzeption falsch ist. Ich darf Ihnen zur Lage der Aktiengesellschaften, um die es sich hier handelt, vielleicht aus einer Zeitung, die keine sozialdemokratische Zeitung ist, aus der „Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung", ein paar Zahlen über eine Untersuchung der Bilanzen vorlegen. Bei der Neufestsetzung ihres Grundkapitals haben 68 % oder 112 Gesellschaften von den untersuchten das volle Nominalkapital in D-Mark erhalten.
11 % oder 19 Gesellschaften haben es heraufgesetzt, und nur 21 % haben es herabgesetzt. Bei den Heraufsetzungen gibt es Fälle nicht nur von 1 zu 2, sondern sogar von 1 zu 5. Das heißt: der Sparer, der sein Guthaben im Betrage von 100 Mark bis auf 6,50 Mark verloren hat, muß zusehen, wie das Kapital des Aktionärs von 100 Mark auf 150, von 100 Mark auf 500 Mark aufgewertet wurde. Dann soll das ja nach bestimmten Vorstellungen einzelner Mitglieder dieses Hauses noch dadurch prämiiert werden, daß der Aktienbesitz von der Lastenausgleichsabgabe freigestellt werden soll.
Nein, meine Damen und Herren, man soll uns nicht immer damit kommen, alles, was im Dritten Reich je an Maßnahmen eingeführt worden sei, sei schon deswegen eo ipso aufzuheben. Sie sind doch sonst mitunter nationalsozialistischen Gesetzen gegenüber erheblich freundlicher gestimmt. Ich darf zum Beispiel an das Deutsche Beamtengesetz erinnern, dessen Grundgedanken Sie voll und ganz aufrechterhalten. Warum soll ausgerechnet dieses Gesetz im jetzigen Augenblick fallen?
Offenbar liegt Ihnen allen besonders am Herzen, nicht einmal den Anschein der sozialen Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten, den mitunter sogar das Dritte Reich zu wahren sich bemüht hat.
Wir sollten also aus psychologischen Gründen dieses Thema jetzt nicht in aller Ausführlichkeit hier zur Debatte stellen. Ich glaube, das würde auf unser Volk einen denkbar schlechten Eindruck machen. Auch der Hinweis auf das Ausland sticht nicht. Selbst im Siegerland der Vereinigten Staaten von Amerika sind im Grundsatz die Bestimmungen über rent and profit control, d. h. über die Kontrolle der Mieten und der Gewinne der Unternehmungen aufrechterhalten geblieben, auch wenn man im Einzelfall nachgibt. Ich sehe nicht ein, warum wir, die wir offenbar den Krieg „gewonnen" haben, uns hier eine andere Großzügigkeit leisten sollen.
Nun zu den wirtschaftspolitischen Einwänden. Denken Sie doch bitte daran, was die Durchführung dieses Gesetzes etwa für den sozialen Wohnungsbau bedeutet. Sie bringen das gesamte Zinsgefüge zum Zusammenbrechen. An dem Tage, an dem die Aktiengesellschaften dazu übergehen können, höhere Gewinne auszuschütten, gibt es doch keinen Absatz festverzinslicher Wertpapiere mehr. Damit hört es dann mit dem Absatz von Pfandbriefen auf, damit hört es für den Bundesfinanzminister — den ich leider bei dieser Debatte vermisse — mit der Möglichkeit auf, seine Bundesanleihe zu erträglichen Bedingungen unterzubringen. Damit hört es mit der Möglichkeit für die Bundesbahn auf, zu erträglichen Bedingungen Investitionskapital zu finden. Sie lenken damit dieses Kapital einseitig lediglich in einen bestimmten, privatwirtschaftlich betriebenen Wirtschaftszweig und schlagen damit den gesamten sozialen Wohnungsbau und die gesamte öffentliche Investitionstätigkeit tot.
Dieses Gesetz widerspricht der Konzeption der Bundesregierung, die sie selber bei der entscheidenden Auseinandersetzung im Zentralbankrat vertreten hat. Zwei Minister, der Bundeskanzler an der Spitze und der Bundesfinanzminister, haben sich gegen die Erhöhung des Diskontsatzes der Bank deutscher Länder gewandt. Jetzt wird uns ein Gesetz präsentiert; das in seiner Mentalität diesen Ansichten des Herrn Bundeskanzlers eigentlich widerspricht, das in seiner Mentalität eigentlich von der Mehrheit des Zentralbankrates geboren sein könnte. Es war eine sehr knappe Mehrheit, eine Mehrheit von einer Stimme. Aber es ist ja augenblicklich in der Welt modern, auch in Deutschland, mit solch knappen Mehrheiten sehr weittragende Entschlüsse zu fassen. So hat uns auch der Zentralbankrat mit dieser Mehrheit jene Entscheidung beschert, die zu unerhörten Konsequenzen in unserem Wirtschaftsleben führen wird.
Ich möchte also noch einmal darauf hinweisen, daß wir aus wirtschaftspolitischen Gründen, um des Kapitalmarktes willen, um der Fürsorge für den Wohnungsbau willen dieses einseitige Abgleiten der gesamten Kapitalbildung in die Hände der privaten Aktiengesellschaften nicht mitmachen. Es ist davon geredet worden — das steht in der Begründung drin —, daß es doch besser sei, diese Gewinne auszuschütten, als daß sie zu unerwünschten Investitionen in den Betrieben verwendet würden. Meine. Damen und Herren, die unerwünschten Investitionen in den Betrieben haben Sie doch selber mit Ihren Steuergesetzen prämiiert,
die haben Sie doch selber gutgeheißen. Das letzte Stück Lenkung in erwünschte wirtschaftliche Kanäle, das noch in dem alten Wirtschatsratsgesetz über die Steuerreform enthalten war, haben Sie hier aufgehoben und haben schrankenlos die Selbstfinanzierung der Betriebe begünstigt. Jetzt soll nun angeblich durch Sie das Gegenteil geschehen, was aber zweifellos noch unerwünschtere Wirkungen haben wird, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß ein ausgeschütteter Gewinn automatisch in wirtschaftspolitisch richtigere Kanäle fließt als ein nicht ausgeschütteter Gewinn.
Als letztes weisen Sie auf das Auslandskapital hin. Es ist ein altes und deswegen noch lange nicht richtiger werdendes Märchen, daß unter den heutigen wirtschaftspolitischen Verhältnissen der Zins ein nennenswerter Magnet für Fremdkapital sei. Das ist falsch. Die Sicherheit, die innere und äußere Sicherheit, und die Möglichkeit, den Ertrag des Kapitals auch später einmal zurückzubekommen und zu transferieren, sind viel bessere Garanten für jeden ausländischen Kapitalanleger als die Möglichkeit, zwar einen spekulativ hohen Zins zu bekommen, aber dann eines Tages das ganze Kapital im fremden Land eingefroren zu wissen, wie das in Deutschland verschiedentlich auch geschehen ist. Eine Wirtschaft der Vollbeschäftigung, eine Wirtschaft stabiler Preise, eine Wirtschaft mit einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz, die die Möglichkeit des Transfers von solchen ausländischen Anlagen eröffnet, ist ein wichtigerer und richtigerer Anreiz für Fremdkapital als ein jetzt für uns alle schädlicher hoher Zins.
Dieses Gesetz widerspricht dem Geist der nationalen Solidarität. Wir lehnen seinen Grundgedanken ab. Wir stellen mit Befriedigung fest, daß im Bundesrat das Land Niedersachsen - leider nur alleinstehend — sich gegen dieses Gesetz gewehrt und dagegen gestimmt hat. Mit um so größerem Befremden nehmen wir davon Kenntnis, daß ein Mann, der nun eigentlich wirklich auf der Seite der Gegner dieses Gesetzes stehen müßte, weil er gerade ein Anwalt derer sein muß, die für die sozialen Leistungen zu kämpfen haben, der Vorsitzende des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten in seiner Eigenschaft als Finanzminister des Landes Schleswig-Holstein diesem Gesetz im Bundesrat nicht widersprochen und ihm zugestimmt hat.
Ich bitte Sie daher, dieses Gesetz, weil es allen Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit widerspricht und wirtschaftspolitisch falsch ist, weil es den Tod des von Ihnen beschlossenen Wohnungsbaugesetzes bedeuten würde, gar nicht erst an einen Ausschuß zu überweisen. Ich beantrage vielmehr seine Ablehnung in der ersten Lesung.