Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt Ihnen den Haushaltsplan des Rechnungsjahres 1950/51 vor, nachdem er die Zustimmung des Bundesrats gefunden hat. Dieser Haushaltsplan ist der erste Haushaltsplan eines vollen Rechnungsjahres, den die junge deutsche Bundesrepublik der Öffentlichkeit vorlegt. Dieser Haushaltsplan ist daher die erste Bewährungsprobe darauf, ob sich die finanzpolitischen Gesichtspunkte und Richtlinien des Grundgesetzes in diesem Jahre bewährt haben und ob diese finanzpolitischen Richtlinien des Grundgesetzes eine dauernd gute und gesunde Grundlage für das finanzpolitische Leben der Bundesrepublik bieten können.
Der Gesetzgeber des Grundgesetzes hat in erster Linie zwei Gesichtspunkte wahrzunehmen und zwei Aufgaben zu erfüllen gesucht, nämlich finanzpolitisch das Verhältnis zwischen Bund und Ländern zu regeln und aus den Erfahrungen, die zwei große Ereignisse in Deutschland gebracht haben, aus den Erfahrungen der Inflation der Jahre 1918 bis 1923 und aus den Erfahrungen der Währungsumstellung des Jahre 1948, die auch eine Folge der voraufgegangenen Finanzpolitik gewesen ist, zu handeln und dem deutschen Sparer und der deutschen Bevölkerung, denen durch diese beiden Ereignisse das Vertrauen in den Staat und in das Finanzgebaren des Staates genommen worden war, in der Verfassung gegen die Wiederholung solcher Ereignisse einen Schutz zu bieten.
Der Gesetzgeber des Grundgesetzes hat diesen Schutz zunächst in der Bestimmung des Art. 110 des Grundgesetzes zu finden gehofft, die vorschreibt, daß der Haushaltsplan der Bundesrepublik in Einnahmen und Ausgaben abgeglichen vorgelegt und — das ist natürlich der Sinn dieser Bestimmungen — auch während des Jahres gehalten werden muß. Weiter hat er in der Bestimmung des Art. 113 des Grundgesetzes den Schutz gesucht; darin ist vorgesehen, daß dann, wenn während des laufenden Haushaltsjahres die Voranschläge des Haushaltsplans durch Beschlüsse der gesetzgebenden Körperschaften erhöht werden, d. h. daß durch diese Beschlüsse höhere Ausgaben, als im Haushaltsplan vorgesehen, nötig werden, die
besondere Zustimmung der Bundesregierung zu diesen Beschlüssen gegeben werden muß.
Der Gesetzgeber hat damit der Bundesregierung eine ganz besondere und erhöhte Verantwortung zugewiesen. Die Bundesregierung kann sich nicht darauf berufen, daß sie durch Beschlüsse der gesetzgebenden Körperschaften zu einer inflatorischen Politik gezwungen gewesen sei. Die Bundesregierung selbst ist aufgerufen, den Damm gegen jede inflatorische Politik zu bilden, und sie muß für diese Entwicklung die persönliche Verantwortung übernehmen. Sie muß und kann diese persönliche Verantwortung selbstverständlich nur im Rahmen dessen übernehmen, was die Verfassung selbst vorschreibt, also insbesondere im Rahmen des Art. 110 des Grundgesetzes, in dem die Abgleichung in Einnahmen und Ausgaben vorgesehen ist.
Damit die Bundesregierung diesem Zwang nicht ausweichen kann, hat der Gesetzgeber des Grundgesetzes in Art. 115 auch den Weg für eine leichtfertige Schuldenpolitik verbaut. Er hat vorgeschrieben, daß zur Aufnahme jeden Kredites und zur Gewährung jeder Bürgschaft und aller Sicherheitsleistungen, deren Wirkung über das laufende Haushaltsjahr hinausgehen, ein besonderes Bundesgesetz erforderlich ist. Die Bundesregierung ist hier also an die Beschlußfassung der beiden gesetzgebenden Körperschaften, Bundesrat und Bundestag, gebunden. Durch diese Bestimmungen suchte der Gesetzgeber des Grundgesetzes zunächst einen Schutz gegen jede inflatorische Entwicklung in der deutschen Finanzpolitik zu schaffen. Um ein modernes Wort zu gebrauchen: „deficit spending" ist durch das Grundgesetz in der deutschen Finanzpolitik untersagt.
Was ,den Aufbau zwischen Bund und Ländern und die Teilung der finanzpolitischen Verantwortung zwischen Bund und Ländern betrifft, so hat das Grundgesetz zunächst in Art. 120 dem Bund seine besonderen Aufgaben zugewiesen: Kriegs- und Kriegsfolgelasten und damit die gesamte Erfüllung der Verpflichtungen der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Ausland; durch Art. 131 auch die Fürsorge für die verdrängten öffentlichen Bediensteten und beruflichen Wehrmachtsangehörigen, auch die Fürsorge für Arbeitslosenversicherung, Zuschüsse für Sozialversicherungsanstalten. Das ist der große Komplex, der an Aufgaben dem Bund zugewiesen ist; in erster Linie die sozialen Aufgaben.
Die Einnahmenteilung ist, ins Rohe gesprochen, auf die Weise erfolgt, daß die unmittelbaren Steuereinkommen — Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer — den Ländern zufließen, während der Bund im wesentlichen auf Umsatz- und Verbrauchssteuern angewiesen ist.
Welche Folgerungen ergeben sich finanzpolitisch daraus? Der Bund hat die sozialen Ausgaben; das sind unvermeidbare Ausgaben und solche, die ihrer ganzen Natur nach und angesichts der durch den Krieg hervorgerufenen Verhältnisse und der unglücklichen Bevölkerungsschichtung, die das deutsche Volk heute nach zwei Weltkriegen nun einmal hat, in sich eine steigende Tendenz haben. Wenigstens in den nächsten Jahren werden sie immer steigen müssen. Also die unvermeidbar steigenden Ausgaben sind die Lasten des Bundes.
Die Einnahmen, die ihm zugewiesen sind, haben finanzpolitisch ebenfalls ihren besonderen Charakter. Umsatzsteuer und Verbrauchssteuer können ihrer Natur nach nicht über eine bestimmte Grenze hinaus erhöht werden. Sie sind die Steuerarten, die sich unmittelbar auf Preise und Löhne auswirken müssen und denen in der gesamten Wirtschaftsentwicklung daher soziale Grenzen gezogen sind. Die Einnahmemöglichkeiten für den Bund sind auch dadurch begrenzt, daß neben dieser natürlichen Grenze der dem Bund unmittelbar zugewiesenen Steuereinnahmen das Ausweichen und der Rückgriff auf die Steuerarten, die den Ländern zufließen — wenn der Bund auf dem Umweg über den Art. 106 die nichtgedeckten Ausgaben aus den Ländersteuern durch Quoten zu decken sucht —, dadurch beschränkt ist, daß die Anwendung des Art. 106 von der Zustimmung der Länder, also von der Zustimmung derer abhängig ist, denen diese Einnahmen gekürzt oder genommen werden sollen. Also finanzpolitische Ausgangsposition für den Bund: Ausgaben ihrer Natur nach unvermeidbar und steigend, Einnahmen ihrer Natur nach beschränkt und durch die Gesetzgebung, durch das Grundgesetz selbst, begrenzt.
Welche finanzpolitischen Möglichkeiten ergeben sich? Der Weg der Inflation ist ausdrücklich durch die Verfassung, aber auch durch eigenes Wollen und eigene Erkenntnis unmöglich. Der Weg der Deflation ist ebensowenig möglich; denn der Bund, der die sozialen Aufgaben zu leisten hat, müßte als erster darunter leiden. Deflation bedeutet Beschränkung aller öffentlichen Ausgaben, bedeutet Lähmung der Wirtschaft, Steigerung der Arbeitslosigkeit und damit Steigerung der sozialen Not. Alle Ausgaben, die sich aus der sozialen Not ergeben, sind ja Ausgaben des Bundes. Eine Deflationspolitik des Bundes müßte infolgedessen unmittelbar erhöhte Ausgaben des Bundes zur Folge haben. Aber auch der Weg der steuerlichen Überlastung ist dem Bund genommen — wir können sagen: zum Glück —, weil die ihm zugewiesenen Steuern ihrer Natur nach beschränkt und begrenzt l sind und weil dem Rückgriff auf die Einnahmen der Länder' vom Gesetzgeber- durch die Notwendigkeit, die Zustimmung dessen, dem die Einnahmen genommen werden sollen, zu erhalten, auch eine Grenze Besetz wird. — Das ist die Feststellung nach der negativen Seite.
Welcher Weg bleibt nun nach der positiven Seite? Ich habe dem Hohen Hause im Juni dieses Jahres eine Denkschrift vorgelegt, die unter den Drucksachen die Nr. 1000 erhielt, — vielleicht ein Omen dafür, daß diese Denkschrift unter den vielen Drucksachen, die Ihnen vorgelegt werden, schon wegen ihrer Nummer einer besonderen Beachtung wert wäre.
Daß der heute vorgelegte Haushaltsplan wieder vom Schicksal die Nummer 1500 erhalten hat,
ist vielleicht wieder ein Omen dafür, daß zwischen der Drucksache Nr. 1000 und der Drucksache Nr. 1500 doch die engsten Zusammenhänge bestehen und daß beide Drucksachen Ihre besondere Beachtung finden sollten.