Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei den in vieler Beziehung recht akademisch geführten Ausführungen zum heutigen Thema kam mir ein Satz in Erinnerung, den mein Freund Dehler einmal in den Beratungen des Parlamentarischen Rates gesprochen hat, wenn auch bei anderer Gelegenheit als bei der Polizei. Er sagte damals: Wir tun bei der Beratung dieser Verfassung so, als wenn wir in der Biedermeierzeit in einem schönen Saal mit viel Licht im Empirestil säßen, im Vestibül stehen die Büsten von Brutus und Marcus Tullius Cicero; in Wirklichkeit aber sind wir ja in Deutschland in zertrümmerten Städten, und durch die öden Fensterhöhlen werfen die Köpfe von Hitler und Mussolini, Lenin und Stalin ihre Schlagschatten auf die Versammlung; und nach dem, was wirklich ist, sollten wir uns richten. Das kam mir in Erinnerung, als ich die Debatte über die Polizeifrage heute mit angehört habe.
Warum führen wir denn eigentlich die Debatten? Warum sind sie denn aktuell? Sind sie nicht deshalb aktuell, weil etwa wie im 19. Jahrhundert in der Biedermeierzeit hier und da eine Unruhe aufflackert, wo man sich etwa aus Reuß-
Schleiz-Greiz und Lobenstein um Hilfe an Reuß jüngere Linie wenden mußte, sondern es handelt sich darum, daß der Kommunismus, der militante Bolschewismus auf zwei Linien in Europa und Asien vorgeht, nämlich auf der Linie der inneren Unruhen und auf der Linie des Angriffs in kriegerischer Form von außen. Wenn wir uns morgen mit dem andern Thema, mit den außenpolitischen Dingen zu beschäftigen haben, dann sollte heute auch hier bei diesen Verhandlungen doch durchklingen, um was es denn eigentlich geht, nämlich darum, daß diesem militanten Bolschewismus, der davon lebt, daß hier im Innern Unruhe geschaffen wird und Fünfte Kolonnen ihr Wesen treiben können, in der denkbar besten Form Einhalt geboten wird.
Wie ist denn nun die Sachlage? Was steht denn diesem militanten Angriff entgegen? Denken Sie an Polen, denken Sie an Bulgarien und Rumänien, an Ungarn und Tschechoslowakei, denken Sie an unser Mitteldeutschland, und dann vergleichen Sie, was einem Angriff, der schon solche Erfolge zu verzeichnen gehabt hat, tatsächlich bei uns gegenübersteht. Was haben wir denn? 87 000 Mann Polizei alles in allem, die Gemeindepolizei bis zum letzten Feldhüter mit eingerechnet. Was haben sie für eine Bewaffnung? 35 000 Pistolen, darunter die „ganz modernen" System 73 voriges Jahrhundert und 10 000 Karabiner. Und was haben sie im übrigen? Alles mögliche vielleicht bis herab zum Federhalter.
Weiter: Ist man darüber orientiert — ich will es hoffen —, daß die FDJ vom Osten her ihre Sendboten schickt, daß diese die Aufgabe haben, mit den Jugendorganisationen Fühlung zu nehmen, in diese einzudringen, daß sie die Aufgabe haben, dort zersetzend zu wirken, Mißtrauen untereinander zu erregen, Unruhe und Angst zu erzeugen? Gewiß, man weiß sogar die Namen von denen, die dort mitarbeiten. Weiß man, daß von der FDJ geplant ist, Aktivistengruppen in den Großbetrieben, z. B. Mannesmann, Gute Hoffnungshütte, Rheinmetall, in der Post und Bundesbahn zu dem Zweck zu bilden, diese Betriebe auf Befehl stillzulegen?
Weiß man, daß besondere Gruppen ausgebildet
werden, um auf Befehl Bahnhöfe zu besetzen und
Brücken sprengen zu können, wenn am Tage X
der Befehl vom Osten kommt? Ich will hoffen,
daß man das alles weiß und darauf gerüstet ist.
— Was wollen Sie denn mit .dem gefälschten Dokument? Ich erzähle Ihnen etwas!
— Warum regen Sie sich denn eigentlich auf, wenn das nicht wahr ist?
Was haben wir dem entgegenzusetzen? Was soll am Tage X geschehen? Sollen etwa die Minister des Innern der einzelnen Länder sich mit dem Bundesinnenminister irgendwo, in Malente in
Holstein oder in Rüdesheim treffen, um zu überlegen, wenn an allen Ecken die Explosionen in die Höhe gehen, was da zu geschehen hat? Oder was soll geschehen, wenn ein solcher Angriff, der drohen kann, einheitlich dirigiert und einheitlich geführt wird? Da gibt es nur eine Abwehr, die einheitlich dirigiert und einheitlich geführt werden muß.
Mit einer elffach verschieden organisierten, elffach verschieden reglementierten, elffach verschieden uniformierten, elffach verschieden kommandierten Länderpolizei ist dabei nichts zu gewinnen.
Wir brauchen eine einheitliche Bundespolizei.
Wie ist nun die Rechtslage nach unserer Verfassung? Wir haben den heute so oft zitierten Art. 91, der in seinem Abs. 2 erst in Funktion tritt, wenn der Abs. 1 ausgeleiert ist. Wenn nämlich das einzelne Land von sich aus nicht mehr ein anderes Land zur Hilfe rufen kann, wenn das nicht langt, dann darf der Bund gnädigst seinerseits eingreifen. Was nützt das alles? Wir haben in Art. 87 die Möglichkeit, Bundesgrenzschutzbehörden einzurichten. Ist diese Bundesgrenzschutzbehörde — ich habe schon den Vorgänger des verehrten Herrn Ministers des Innern danach gefragt — in Gang gesetzt, und wenn das nicht der Fall ist, warum nicht? Ich habe darauf hingewiesen, daß die Grenze nicht eine Linie ist, sondern ein Rayon von etwa 35 bis 30 km Tiefe ist. Ich könnte mir vorstellen, daß eine Bundesgrenzpolizei bereits die Grundlage einer anständigen Bundespolizei selbst sein könnte.
Nun kommt die Angst, daß diese Polizei der Beginn einer Militarisierung sein könnte. Um klar zu sein: heute reden wir nur von dem Schutz im Innern, und hier hat die Polizei ihre Aufgabe. Sie ist auf polizeiliche Aufgaben beschränkt. Aber eins ist sicher: die Verteidigungswaffen der Polizei zu polizeilichen Zwecken müssen in ihrer Art und ihrem Ausmaß auf die Angriffswaffen ausgerichtet sein und dürfen nicht Karabiner und Pistolen von Anno Tobak sein.
Helfen uns nun die Anträge der SPD weiter? Wir haben die Tendenz des Antrages der Verfassungsänderung begrüßt, weil wir darin einen Hinweis sehen, auf dem Wege vorzugehen, der notwendig ist. Der verehrte Herr Kollege Laforet hat die Frage so gestellt: Man muß im Interesse der Aufrechterhaltung der Verfassung so lange auf dem Boden der geltenden Verfassung bleiben, so lange ohne Verfassungsänderung auszukommen versuchen, wie es notwendig ist, um den Dingen gerecht zu werden. Nun haben wir aber aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Menzel, der als früherer Innenminister von Nordrhein-Westfalen sachverständig ist, und aus ,den Ausführungen des Herrn Innenministers des Bundes gehört, was eigentlich los ist. Was sollen diese Verwaltungsabkommen von Land zu Land? Die SPD hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen ihre Gültigkeit. Wir haben die Frage der Verfassungsmäßigkeit offengelassen. Aber wir haben zur Frage ihrer Wirksamkeit, die uns wichtiger ist, sehr große Bedenken. Wenn wir uns vorstellen — ist es nicht ein Nonsens? —, daß hier der Präsident dieses Hauses, daß der Bundeskanzler, daß der Bundespräsident nicht die Möglichkeit haben, auch nur über einen einzigen Mann zu ihrem Schutz aus eigener Autorität zu verfügen; dann hört doch der Kuckuck auf!
Nun gestatten Sie mir, damit Sie noch einmal lachen können, ein weiteres, ein groteskes, aber passendes Beispiel. Stellen Sie sich vor: wir stehen am Rande eines Fußballplatzes, und plötzlich erscheint eine Fußball-Elf in Zylinder, Gehrock und so hohem steifem Kragen! Was werden die Leute sagen? Das Harmloseste und sachlich Richtigste, was sie sagen werden, ist: Sie befinden sich in einer schlechten Verfassung.
In dieser schlechten Verfassung befinden wir uns in Deutschland vom Bund aus gesehen polizeimäßig. Deshalb müssen wir hier Remedur schaffen, und deshalb stellen wir folgenden Antrag — der Herr Kollege Dr. Etzel in seinem ahnungsvollen Gemüt hat vielleicht schon so etwas gemerkt —, den ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen darf.