Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Kommunistischen Partei muß von zwei Seiten aus betrachtet werden. Ich will mit der formalen beginnen und stehe hier nicht an, zu erklären, daß dieser Antrag nur aus optischen Gesichtspunkten heraus entstanden ist; denn man kann doch dem Hohen Hause nicht am heutigen Tag, also knapp vor dem 1. November, zumuten, einen Beschluß zu fassen, daß der Lastenausgleichsgesetzentwurf bis 1. November dem Hohen Hause vorgelegt werden muß. Wenn wir das tun, so bringen wir die Regierung, uns als Opposition und auch Sie als die berufenen Vertreter des deutschen Volkes in die Lage, daß man unsere Entschlüsse gar nicht mehr ernst nimmt. Wir haben allen Anlaß, daß wir unsere Beschlüsse unter diesem Gesichtspunkt fassen, damit sowohl die Regierung als auch das deutsche Volk ihren Bundestag in immer höheres Ansehen stellen. Wenn also dieser Antrag hier zur Abstimmung gelangen würde, müßten wir uns der Stimme enthalten, weil wir einem solchen Antrag nicht zustimmen können.
Aber zur Sache selbst. Gerade hat wieder der Vertreter des Finanzministeriums ein neues Versprechen abgelegt, und zwar das Versprechen, daß
wir noch vor Weihnachten, sozusagen als Christgeschenk, den Entwurf auf den Tisch des Hauses bekommen. Es ist vielleicht in diesem Augenblick nützlich, ganz kurz einen Rückblick anzustellen, wie oft dieses Versprechen schon abgelegt wurde. Sie erinnern sich an die Einbringung unserer Interpellation, die im März dieses Jahres, in der 53. Sitzung des Deutschen Bundestages, behandelt wurde. Wenn Sie dieses Protokoll nachlesen, so finden Sie darin feierliche Versprechungen, die von der Dringlichkeitsforderung nach diesem endgültigen Lastenausgleich unterbaut sind. Ich gestatte mir mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten, aus diesem Protokoll den Standpunkt des Herrn Finanzministers darzulegen.
Er sagt hier, daß das Soforthilfegesetz so bald
wie möglich vom endgültigen Lastenausgleich abgelöst werden muß, und zwar um eine wirkliche
Klärung der Verhältnisse in der deutschen Volkswirtschaft und in dem Verhältnis von Abgabe-
pflichtigen zu Empfangsberechtigten zu schaffen. um nicht nur ein gefährliches Auseinandergleiten der Stimmungen im deutschen Volk zu vermeiden, sondern insbesondere auch, um unserer Volkswirtschaft in einer Zeit, da sie mit letzter Kraft gegen Arbeitslosigkeit und derartige Erscheinungen kämpfen muß, die notwendige Klarheit darüber zu geben: Welches Vermögen ist überhaupt für mich, welches Vermögen ist für den Betrieb, welches Vermögen ist für das Wirtschaften verfügbar? Das muß die deutsche Wirtschaft einmal wissen. Auf der anderen Seite muß der andere, der Empfangsberechtigte, wissen, womit er rechnen kann, in welcher Zeit und in welcher Form er damit rechnen kann. Ich bin überzeugt, wenn diese Klarheit geschaffen ist, wird dem Radikalismus viel Wind aus den Segeln genommen.
Das war am 28. März, und in derselben Sitzung wurde erklärt, daß der Entwurf im Laufe des Monats April dem Hohen Haus vorgelegt werden würde. Nach diesen feierlichen Erklärungen, die durch einzelne Reden der Abgeordneten aus den Regierungsparteien, besonders durch die fast pathetisch klingenden Worte des Kollegen Nöll von der Nahmer, der hier die äußerste Dringlichkeit herausstellte, unterbaut waren, haben wir uns einmal darauf verlassen, daß die Regierung dieses Versprechen wirklich Wahrmachen würde. Deswegen kam es so, ,daß wir erst nach den Parlamentsferien wieder Gelegenheit hatten, zu den Dingen Stellung zu nehmen.
An Stelle des Lastenausgleichsgesetzentwurfs, der für April versprochen wurde, Mai, Juni, Juli und August nicht kam, legte man uns Ende August den Entwurf eines Feststellungsgesetzes auf den Tisch. Sie wissen, daß unsere kritische Stellungnahme zu diesem Feststellungsgesetz wesentlich davon beeinflußt war, daß wir fürchteten, daß durch das Feststellungsgesetz die Regierung neuerlich in die Lage versetzt werden sollte — besonders nach den Worten unseres Herrn Kollegen Rather, der damals erklärte, daß es sich um die psychologische Beruhigung der Betroffenen handelt —, nun einmal die psychologische Beruhigung eintreten zu lassen und dann weiter in Ruhe an diesem Entwurf zu arbeiten. Unser Auftreten wurde damals in der Öffentlichkeit so dargestellt, als wären wir gegen ein Feststellungsgesetz. Das ist keineswegs der Fall. Jetzt schon stellt sich bei den Beratungen dieses Entwurfs heraus, daß man immerhin — wenn man auch das Gesetz vielleicht noch vorziehen könnte — auf den Lastenausgleichsgesetzentwurf unbedingt Rücksicht nehmen muß, um nicht in den leeren Raum hineinzuarbeiten. Also waren unsere Bedenken richtig, und wenn sie richtig waren, dann ist ihre Nichtberücksichtigung auch hier zu beanstanden.
Als dann in jener Sitzung die Sozialdemokratische Partei den Antrag stellte, den Entwurf bis zum 1. September auf den Tisch des Hauses zu legen, da hat man aus dem Hohen Hause von seiten der Regierungsparteien den Zwischenruf gehört: Sie rennen ja offene Türen ein, denn der Herr Finanzminister erklärte ja in derselben Sitzung: „Noch im September werde ich diesen Entwurf auf den Tisch des Hauses legen." Das war im September. Wir haben jetzt fast November, und noch immer hören wir: der Entwurf ist nicht fertig.
Hier erhebt sich die ernste Frage: Wer ist daran schuld? Ich stelle die offizielle Frage für meine Fraktion an die Regierung: Wodurch kommt es, daß der Lastenausgleichsgesetzentwurf, von dem der Herr Finanzminister versicherte, daß er noch im April auf den Tisch des Hohen Hauses gelegt würde, jetzt noch nicht fertig ist? Wir haben unsere bestimmten Vorstellungen, warum das so gekommen ist, und zwar in der Richtung — Sie können mich berichtigen, wenn es nicht wahr Ist —, daß eben die Regierung sich viel zu sehr beiseite drängen, d. h. von Kreisen und Qrganisationen beeinflussen läßt, die verhüten wollen, daß ein verhältnismäßig unbefriedigender Entwurf vorgelegt wird.
Dieser Ansicht sind wir nicht. Wir sind der Meinung — ich habe es auch in einer Sitzung des Lastenausgleichsausschusses eindeutig gesagt —: ein unbefriedigender Entwurf der Regierung ist uns immer noch viel lieber als gar keiner; denn wir, Sie von der Regierung und wir von der Opposition, dürfen uns nicht davor drücken, hier verantwortungsvolle Arbeit zu leisten. An uns wird es liegen, wie dieses Gesetz nach der Verabschiedung aussehen wird. Und das ist dabei maßgeblich. Deswegen wäre es richtig gewesen, wenn der Entwurf schon im April gekommen wäre, ganz gleich, wie er damals ausgesehen hat. Wir haben ein Musterbeispiel dafür, und das muß der betreffende Personenkreis heute schon wissen. Denken Sie an das Gesetz zum Art. 131. Auch damals war es so, daß im Januar dieses Jahres der Gesetzentwurf glücklich fertig war. Es war damals nicht nur ein Versprechen; wir wissen, daß das Finanzministerium diesen Entwurf fertiggestellt hatte, aber damals — und das steht wohl ziemlich fest — ist dieser Entwurf unter dem Sturm der Entrüstung von außenstehenden Organisationen wieder gefallen. Das war im Januar, und im September haben wir diesen Entwurf erneut vom Innenministerium bekommen.
Ich muß hier feststellen, daß dieser Entwurf vom September hinsichtlich seines Inhaltes und seiner Grundlagen nicht um ein Haar besser ist als der vom Januar. Wenn der Entwurf vom Januar in dieses Hohe Haus gekommen wäre, dann wären wir in der glücklichen Lage gewesen, über ihn noch vor den Parlamentsferien zu entscheiden. Für ihn und für das Lastenausgleichsgesetz gilt der Grundsatz: Je schneller wir handeln, desto besser ist es. Sie wissen ganz genau, daß jeder Tag, den wir versäumen, nicht nur nach den Grundsätzen, die der Herr Finanzminister aufgestellt hat, schädlich ist, sondern auch nach den Grundsätzen, daß uns die Verabschiedung dieser Gesetze ständig schwieriger gemacht wird, weil die Finanzlage und die
ganze öffentliche psychologische Lage immer ungünstiger für ihre Verabschiedung werden. Aus diesen Gründen können wir das nicht verstehen, und wir bitten deshalb in aller Entschiedenheit die Regierung, uns klar zu sagen, was ist schuld an diesen Verzögerungen und was will sie unternehmen, daß diese Verzögerungen endlich beiseite geschoben werden.
Ich sagte Ihnen schon, daß wir von psychologischen Wirkungen nichts halten, und zwar deswegen, weil sie, wenn man einmal eine psychologische Beruhigung erzielt, nur eine gewisse Zeit anhalten kann. Wenn die Erwartungen, die an die psychologischen Wirkungen geknüpft sind, nicht erfüllt werden, dann ist diese Enttäuschung, diese Reaktion doppelt schlimm. Davor wollten wir Sie und das deutsche Volk bewahren.
Ich sagte schon, daß ein Abgeordneter dieses Hauses — es war der Kollege Oellers — damals gesagt hat: Sie rennen offene Türen ein. Glauben Sie heute noch, daß das offene Türen waren? Wir wissen, daß nach diesen Worten sich die Türen doppelt fest geschlossen haben; sonst wäre es auch heute nicht zu diesem Antrag gekommen, den ich in seiner sachlichen Bedeutung schon näher gekennzeichnet habe.
Ich will nicht alles wiederholen, wie wir als verantwortungsbewußte Opposition seit dem Jahre 1948 bis heute hier mitgearbeitet und unsere Grundlagen und Grundsätze in vielfachen Auseinandersetzungen und Beschlüssen eindeutig festgelegt haben. Wir sind zur sofortigen Aufnahme der Arbeit bereit. Wir können auch schon mit sachlicher und wohlfundierter Mitarbeit dienen. Ich will mir versagen, was von uns aus alles geschehen ist, hier auszusprechen, aber eines möchte ich zum Schluß sagen — fassen Sie das nicht als irgendeine Deklamation auf —: Wenn für einen Gegenstand das Wort gilt, das ich an den Schluß setze, so für diesen: Der Worte sind genug gefallen, laßt uns endlich Taten sehen!