Rede von
Hans
Dirscherl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die in der Regierungskoalition zusammengeschlossenen Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP haben sich entschlossen, dem Hohen Haus den Entwurf eines Gesetzes über die Handwerksordnung vorzulegen. Dabei leitet sie der Gedanke, daß das Handwerk, in seiner Gesamtheit gesehen, einen so bedeutungsvollen Faktor in unserem Staats-, Wirtschafts- und Sozialleben darstellt, daß es auf die Dauer unverantwortlich sein würde, ihm nicht jene gesicherte Rechtsordnung bezüglich seiner Organisation und seiner wirtschaftlichen Betätigung zu geben, die unerläßlich notwendig ist, um seine Funktionsfähigkeit für unser Volk zu erhalten.
Ich darf Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sagen, daß es sich nach Ausweis der letzten Handwerksstatistik immerhin um 900 000 Handwerksbetriebe mit 3,2 Millionen Beschäftigten handelt. Darüber hinaus darf ich darauf hinweisen, daß das Handwerk nach wie vor als die größte Berufsausbildungswerkstatt unserer Gesamtwirtschaft bezeichnet werden darf. Mit 504 000 Lehrlingen umfaßt das Handwerk mehr als zwei Drittel aller Jugendlichen, die in der gewerblichen Berufsausbildung stehen, was für unsere innerdeutsche Entwicklung, insbesondere aber für die zwingend notwendige Steigerung der Exportfähigkeit unserer Wirtschaft von außerordentlicher Bedeutung ist. Bereits mehrmals sind aus der Erkenntnis heraus, daß den soeben von mir vorgetragenen Tatsachen seitens des Bundes Rechnung getragen werden muß, Anträge dahingehend ge-
stellt worden, daß die Regierung eine Vorlage bezüglich der Neugestaltung des Handwerksrechts erstellen soll. Nachdem nun aber die Fraktionen der Regierungskoalition selbst die Initiative ergriffen haben, obliegt es mir, in Kürze die wesentlichsten Gesichtspunkte darzustellen, die den Hauptinhalt des Entwurfs bilden.
In erster Linie muß der zur Zeit herrschenden Rechtszersplitterung auf dem Gebiete des Handwerksrechts ein Ende bereitet werden. Es ist unerträglich, wenn innerhalb einer modernen Volkswirtschaft auf wichtigsten Gebieten des Gewerberechts völlig unterschiedliche Vorschriften und Rechtsauffassungen gelten. Daß es so ist, hängt teils mit den Auswirkungen des Zusammenbruchs von 1945 und der unterschiedlichen Entwicklung der Gesetzgebung in den Ländern der einzelnen Besatzungszonen zusammen, andererseits mit den Eingriffen, die während der verflossenen Jahre seitens der Besatzungsmächte selbst vorgenommen worden sind. Schon der Wirtschaftsrat hat sich bemüht, diesem Zustand wenigstens im Rahmen des Vereinigten Wirtschaftsgebiets abzuhelfen. Inzwischen ist diese Notwendigkeit noch dringlicher geworden. Um einen einheitlichen Rechtszustand wiederherzustellen, sieht der Gesetzentwurf der Handwerksordnung vor, daß bestimmte erprobte Formen des handwerklichen Organisationswesens und der berufsständischen Selbstverwaltung des Handwerks wieder ihre Bestätigung erhalten. Das bedeutet praktisch, daß im wesentlichen von den Grundgedanken ausgegangen wird, die schon in der Reichsgewerbeordnung zur Förderung des Handwerks festgelegt waren. Dabei ist der modernen volkswirtschaftlichen Entwicklung und den sich daraus ergebenden neuzeitlichen sozialen Gedankengängen Rechnung getragen. Das Leitmotiv besteht heute nach wie vor zu Recht, nämlich die Leistungs- und Lebensfähigkeit des Handwerks im Interesse von Volk und Staat sicherzustellen.
Ich darf dabei noch auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers Bezug nehmen, in welcher wörtlich festgelegt ist:
Die Bundesregierung wird es sich besonders am Herzen liegen lassen, den Mittelstand in allen seinen Erscheinungsformen zu festigen und ihm zu helfen. Wir sind durchdrungen von der Überzeugung, daß dasjenige Volk das sicherste, ruhigste Leben führen wird, das möglichst viele mittlere und kleinere unabhängige Existenzen in sich birgt.
Ich brauche wohl nicht besonders zu betonen, daß durch die vorgelegte Handwerksordnung selbstverständlich alle jene aus dem Geiste des Nationalsozialismus geborenen Anordnungen entfernt werden, die das verflossene Regime dem Handwerk oktroyiert hatte.
Meine Damen und Herren! Das deutsche Handwerk hat erfreulicherweise immer auf dem Boden der Selbsthilfe gestanden. Es hat, wenn ihm die Möglichkeit hierzu geboten wurde, wesentliche Aufgaben im Wege der Selbstverwaltung gelöst. Ich brauche in dieser Hinsicht nur die Aufgaben zu nennen, die auf dem Gebiete des Berufsausbildungswesens gemeistert worden sind. Selbstverständlich ist nicht daran gedacht, überlebte Formen wiederherzustellen. Aber es muß Vorsorge getroffen werden, daß im Wege der Gemeinschaftsarbeit jene Gemeinschaftsaufgaben im Handwerk gelöst werden können, für deren Bewältigung der einzelne zu schwach ist.
Aus diesen Überlegungen heraus haben die Fraktionen in dem vorliegenden Entwurf eine Gestaltung des Innungswesens und des Handwerkskammerrechtes vorgesehen, welche einerseits den Zeitverhältnissen und dem Allgemeinwohl gerecht wird, andererseits dem Handwerk die notwendige Rechtsbasis für seine Gemeinschaftsarbeit bietet. Der Aufbau der Fachorganisationen geht selbstverständlich von der im Grundgesetz verankerten Koalitionsfreiheit aus. In den Handwerkskammern andererseits sollen unter der Aufsicht des Staates öffentlich-rechtliche Körperschaften geschaffen werden, denen im Interesse des Volksganzen und der Verwaltungsentlastung bestimmte Aufgaben übertragen werden. Wie sehr dabei neuzeitliche und fortschrittliche Gesichtspunkte Beachtung gefunden haben, geht wohl am besten aus der Tatsache hervor, daß in der Kammervertretung die Gesellenschaft des Handwerks in der dem Handwerk gemäßen Form beteiligt ist.
Der zweite Schwerpunkt des Gesetzentwurfs ist darin zu sehen, daß hinsichtlich der Berufsausbildung im Handwerk klare und einheitliche Rechtsbestimmungen für das gesamte Bundesgebiet vorgesehen sind. Die Vorlage geht dabei selbstverständlich von der grundsätzlichen Anerkennung der Gewerbefreiheit und des Leistungswettbewerbes aus. Bedürfnisprüfungen, Kapitalnachweise und ähnliche Voraussetzungen, wie sie während des Krieges und nach ihm zum Teil sogar entgegen den Wünschen des Handwerks auf Anordnung der Besatzungsbehörde durch das Lizenzierungsverfahren geschaffen wurden, lehnt der Gesetzentwurf selbstverständlich ab. Andererseits soll sich der Leistungswettbewerb, wie es sich gerade für das Handwerk im öffentlichen Interesse als notwendig erwiesen hat, auf der Ebene der Fachleute vollziehen. Jeder, der ein Handwerk ordnungsgemäß erlernt und die Gesellen- und Meisterprüfung abgelegt hat, soll sich selbständig machen können, wann und wo immer er will. Das ist eine Regelung, die nicht nur volkswirtschaftlich zweckmäßig, sondern auch sozial ist. Sie gibt wohl dem tüchtigen Fachmann, nicht aber jenem den Weg zum selbständigen Handwerker frei, der ohne fachliche Eignung nur finanzielle Voraussetzungen mitbringt. Den durch Krieg und Kriegsfolgeerscheinungen aufgetretenen soziologischen Verhältnissen wird dabei weitestgehend Rechnung getragen. Vorzugsbestimmungen sollen vor allem für Heimatvertriebene, Spätheimkehrer und Kriegsbeschädigte den Zugang zur selbständigen Berufsausübung gewährleisten. Wir glauben, daß mit dieser Regelung eine sozial bedeutungsvolle Tat geschieht, insofern nämlich als im Handwerk breitesten Schichten der Unselbständigen die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg in die Selbständigkeit eröffnet wird. Durch großzügige Übergangsbestimmungen werden alle Härten ausgeglichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der heutigen ersten Lesung des Gesetzentwurfes in weitere Einzelheiten der Vorlage einzugehen, dürfte sich erübrigen; sie werden im Ausschuß für Wirtschaftspolitik noch eine nähere Beratung finden. Ich bitte das Hohe Haus, der Überweisung des Entwurfs an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und, wenn Sie es wünschen, auch an den Ausschuß für Rechtsangelegenheiten zuzustimmen.