Rede von
Dr.
Hermann
Etzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl der Bundesbahn in der letzten Zeit wesentliche Konkurrenz erstanden ist, ist sie immerhin noch von so überragender wirtschaftlicher, sozialer, politischer und kultureller Bedeutung, daß wohl der Wunsch berechtigt erscheint, die Einteilung der Tagesordnung hätte es ermöglicht, diesen Punkt auf eine Tageszeit zu verlegen, die erfahrungsgemäß hinsichtlich der Anwesenheit der Abgeordneten günstiger ist.
Das Bundesbahngesetz setzt ein Sondervermögen der Bundesbahn voraus. Tatsächlich besteht es aber noch nicht, weil das Ausführungsgesetz zu Art. 134 Abs. 4 GG noch nicht ergangen ist. Es entsteht die Frage, ob es nicht zweckmäßiger gewesen wäre, zunächst das Gesetz über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Bundesbahn zu verabschieden und dann erst das Bundesbahngesetz zu erlassen.
Nach § 4 des Gesetzes sollen die Verwaltung und der Betrieb unter Wahrung der Interessen der deutschen Volkswirtschaft nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen stattfinden. Diese Programmsetzung erfordert eine sehr sorgfältige und gewissenhafte Abgrenzung der Zuständigkeiten des Bundesverkehrsministers einerseits und der Organe der Deutschen Bundesbahn als des Verwaltungskörpers eines Sondervermögens sowie des Bundesfinanzministers andererseits. Der Bundesverkehrsminister erscheint uns immerhin als der Garant und Träger der Wahrnehmung gemeinwirtschaftlicher Interessen, wenn wir auch diese Wahrnehmung nicht im Sinne der Verwirklichung eines Wohlfahrtsunternehmens aufgefaßt wissen wollen. Aber wir möchten immerhin, daß nicht nach ausschließlich privatwirtschaftlichen, kommerziellen Gesichtspunkten bei der Verwaltung, dem Betrieb, der Planung und dem Bau der Bundesbahn verfahren wird. Wir möchten auch gegenüber dem Bundesfinanzminister den Herrn Bundesverkehrsminister nicht in die Lage versetzt wissen, daß er sich ständig sozusagen in die Finger beißen und sich die Haare raufen muß, wenn er irgendwelche Verkehrspläne hat, wie er sich in Bamberg in einer etwas metaphorischen Weise ausgedrückt hat.
Aber diese Sicherung der gemeinwirtschaftlichen Gesichtspunkte darf doch nicht so weit führen, daß die Stellung des Bundesverkehrsministers gegenüber dem Sondervermögen und der Verwaltung Bundesbahn übermächtig wird. Wir glauben, daß eine solche Überziehung der Befugnisse des Bundesverkehrsministers in § 12, der die Rechtsstellung des Verwaltungsrats und seine Befugnisse näher umreißt, in § 14, der die Aufsichtsrechte des Bundesverkehrsministers in einer sehr weitgehenden Weise bestimmt, und in § 51, der das Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ländern und der Bundesbahnverwaltung regelt, stattfindet.
Soweit es sich um die Frage der Aufrechterhaltung des gemeinwirtschaftlichen Charakters der Bau- oder Planungs- und der Betriebspolitik der Bundesbahn handelt, möchten wir der Meinung Ausdruck geben, daß es nicht angeht, der Bundesbahn die Möglichkeit zu 'geben, eine Ausgleichsrücklage bis zu 800 Millionen DM anzulegen. Wir glauben in Übereinstimmung mit dem Bundesrat, daß eine Ausgleichsrücklage bis zu 300 Millionen DM vollkommen genügen muß. Die Anlegung von Sonderrücklagen möchten wir unter strenge Kautelen gestellt sehen, weil eine Töpfchenwirtschaft unter allen Umständen vermieden werden muß.
Die Auferlegung eines Entgelts in Höhe von 50 Millionen DM im Jahr für die Ausübung des Betriebsrechtes halten wir für unvereinbar mit den betriebswirtschaftlichen Anforderungen, die an die Bundesbahn gestellt werden. Wenn es sich schon um ein Sondervermögen handelt, das nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten, wenn auch unter Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Interessen verwaltet und betrieben werden soll, dann darf eine solche Vorausbelastung nicht stattfinden. Wir sind also gegen die Abgabepflicht in Höhe von 50 Millionen DM.
Die gesamtwirtschaftlichen Interessen dürfen nicht so weit führen, daß eine Defizitwirtschaft entsteht. Wir glauben, daß es möglich ist, auf dem Wege des § 26 Abs. 2 und des § 32 Abs. 2 eine solche Entartung des Betriebsvermögens, wie wir sie unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg bei der Deutschen Reichsbahngesellschaft beobachtet haben, zu vermeiden.
Vor allem aber ist für uns wesentlich und wichtig die Frage der Bau- und Tarifpolitik. Wir sind der Auffassung, daß die Bundesbahn ihr gut Teil dazu beitragen muß, daß die notwendige regionale Standortverteilung der Wirtschaft nicht beeinträchtigt und gemindert wird. Hier liegt eine der wesentlichen Ursachen wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Der Herr Bundesverkehrsminister weiß aus eigener Anschauung und Erfahrung, wie schwierig die Verhältnisse in den toten Winkeln des Bundesgebiets, beispielsweise im nordostbayerischen Bezirk liegen, weil dort durch eine neue zonale und politische Grenzziehung eine wirkliche Abschnürung in verkehrsmäßiger Hinsicht stattgefunden hat und weil hier bei der An-und Abfuhr der Güter große Umwege zurückgelegt werden müssen, die bis zu 32 % der eigentlichen Tarife betragen. Wir sind also der Auffassung, daß vor allem die Versuche, die Rohstoffe an der Ruhr durch die fortgesetzte lineare Erhöhung der Tarife für sie und gleichzeitig durch den weiteren Abbau auch noch der Reste der Staffeltarife einzusperren, aufhören müssen. Es darf nicht länger geduldet werden, daß sich die Ruhr auf diese Weise ihre Rohstoffe möglichst weitgehend für die Fertigung reserviert und den Abfluß ihrer Fertigfabrikate zu Lasten der übrigen Bezirke des Bundes mittels tariflich gesenkter Güterklassen forciert.
Ich darf darauf hinweisen, daß beispielsweise vor allem die Randgebiete des Bundes außerordentlich benachteiligt sind. Die Frachten für Walzmaterial, für Stabeisen z. B., betragen in Hagen 4,20' DM pro Tonne, in Frankfurt bereits das Fünfeinhalbfache, in Nürnberg das Achteinhalbfache und in München das Zehnfache, nämlich 42,42 DM pro Tonne. Das sind außerordentliche Vorausbelastungen der Wirtschaftsgebiete der Randbezirke des Bundesgebietes. Bei der Kohle ist es ähnlich. Daher ist es für uns unverständlich, daß .der Versuch unternommen wird, die Küstenkohlentarife, die ja Vorzugs- und Kampftarife der Eisenbahn gegenüber dem eindringenden englischen Wettbewerb waren, jetzt, nachdem die Vorzugstarife beseitigt sind, neuerdings wiederum um ein Drittel der Erhöhung abzubauen. Die Küstenkohlentarife für Schleswig-Holstein und Hamburg sind auch in ihrer jetzigen Höhe um ein ganz Beträchtliches niedriger als die Kohlentarife für die wichtigsten Industrieorte, beispielsweise in Bayern.
Es is i also für uns sehr wesentlich, daß die Tarifpolitik auf die Bedürfnisse einer gesunden Standortverteilung Rücksicht nimmt und unter Berücksichtigung der Lebensbedingungen der Wirtschaft in den Randgebieten gestaltet wird. Wo eine Marktordnung besteht, wie beispielsweise im Getreidegesetz oder auch im Entwurf eines Zuckergesetzes, ist natürlich die Möglichkeit gegeben, einen Tarif- oder Frachtenausgleich innerhalb des Marktverbandes zu schaffen. Eine solche Möglichkeit besteht für Eisen, Stahl und Kohle nicht, weil da die freie, sogenannte soziale Marktwirtschaft herrscht. Hier muß dann eben eine entsprechend gestaltete Tarifordnung der Bundesbahn helfen.
Weiterhin interessieren uns die Frage der Regelung des Vergebungswesens nach § 49 des Gesetzentwurfs und die Frage des Gewerberechts nach § 40. Ich hoffe, daß der Antrag der Bayernpartei vom September vergangenen Jahres betreffend die Schaffung von Einrichtungen zur Sicherung einer gerechten und angemessenen Vergebung der Aufträge des Bundes nun nach mehr als einem Jahre Umfluß endlich Wirklichkeit wird. Es muß möglich sein, in Zusammenhang mit dem § 49 auch diesen Antrag endlich aus den Ausschüssen heraus vor das Plenum zu bringen.
Das Gewerberecht interessiert uns vor allem von dem Gesichtspunkt aus, daß die Befreiung der Betriebe auf Eisenbahngelände von den Bestimmungen der Gewerbeordnung und des Gaststättengesetzes nicht dazu mißbraucht werden darf - wie das vor allem in Hamburg geschehen ist —, Bahnhöfe zu wahren Bazaren zu machen, die außerhalb der gesetzlichen Ladenschlußzeiten dem übrigen Gewerbe Konkurrenz machen. Man muß gleiche Start- und Wettbewerbsbedingungen für die gesamte Wirtschaft schaffen. Es ist nicht fair, wenn man den Einzelhandels- und Handwerksbetrieben, die sich nicht auf Bahngelände befinden, Ladenschlußzeiten vorschreibt und für die auf Bahngrund befindlichen Gewerbebetriebe den Verkauf und sonstigen Betrieb freigibt. Damit meine ich die Gewerbebetriebe auf Bahngrund, die nicht dem echten Reiseverkehr und -verzehr dienen. Hinsichtlich des echten Reisebedarfs sind wir durchaus für eine Sonderregelung; wir wollen in dieser Beziehung und mit dieser Einschränkung nicht kleinliche Banausen sein.