Rede von
Hans
Jahn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte kein Kolleg über die Vergangenheit der Bundesbahn halten, sondern für die Zukunft versuchen, das gesetzliche Mittel mit schaffen zu helfen, das nun einmal für das größte Verkehrsunternehmen der westdeutschen Republik erforderlich ist, um unserer zerstörten Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Durch die Auswirkungen des Krieges sind wir zu einer völligen Überprüfung unserer verkehrswirtschaftlichen Lage gezwungen. Die grundlegende Wandlung unserer Raum-, Wirtschafts- und Sozialstruktur zwingt uns zur Anpassung der Verkehrswirtschaft an diese völlig veränderte Wirtschaftslage im allgemeinen. Wie groß das Interesse der Öffentlichkeit an dem hier behandelten Thema ist, zeigen zur Genüge die Pressekommentare und die ausreichende Pressediskussion. Sie war dem Regierungsentwurf gegenüber zum Teil sehr kritisch. Um es vorweg zu sagen: wir sind mit der Konzeption des Entwurfs des Bundesrates mehr einverstanden als mit der der Regierungsvorlage.
Bevor ich auf Einzelheiten eingehe, möchte ich noch folgendes sagen, um die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Bundesbahn noch einmal zu unterstreichen. Das Anlagekapitel beträgt nach meiner Schätzung etwas mehr, als der Herr Bundesverkehrsminister angab. Ich glaube, es beläuft sich zur Zeit mindestens auf 11,9 Milliarden Mark. Die Länge der Bundesbahn entspricht der der englischen Eisenbahnen mit rund 32 000 Betriebskilometern. Uns stehen im Augenblick zur Verfügung: 9200 betriebsfähige Lokomotiven, 336 elektrische Lokomotiven, an gebrauchsfähigen Güterwagen, die im nächsten Frühjahr höchstwahrscheinlich nicht mehr so gebrauchsfähig sind, 250 514 und an Personenwagen 16 250. Dazu
tritt ein Jahresumsatz von rund 31/2 Milliarden Mark, und in diesem größten Unternehmen ist über eine halbe Million Menschen beschäftigt. Diesen Menschen ist bereits der Dank für ihr selbstloses Arbeiten ausgesprochen worden. Ich habe auch von dieser Stelle aus schon einmal den braven Eisenbahnern gedankt. Sie möchten aber etwas mehr sehen als nur Dank.
Auch in diesem kommenden Gesetz wollen sie etwas mehr sehen; denn wir betrachten diese Gesetzesvorlage unter dem Gesichtswinkel der Durchführung des Mitbestimmungsrechtes in der Wirtschaft.
Bei der Bundesbahn sind — um zu unterstreichen, wie notwendig es sein wird, eine Rechtskonstruktion zu schaffen, die dieselbe kreditwürdig macht — heute an Verbindlichkeiten vorhanden: langfristige 515,8 Millionen, mittelfristige 3,3 Millionen, kurzfristige 617,98 Millionen. insgesamt also an Verbindlichkeiten 1 137 102 531 DM. Das sind schwere Belastungen, die doppelt zu Buch schlagen, wenn wir uns vor Augen führen, daß für die Beseitigung der Kriegsschäden noch 1 147 000 000 DM und für die Aufholung des Unterhaltungs- und Nachholbedarfs 1 478 000 000 DM erforderlich sein werden und daß für die Betriebsentwicklung und den Neubau noch einmal 11/2 Milliarde DM veranschlagt sind, also rund 4 125 000 000 DM. Das scheint mir die Bedeutung dieses Unternehmens noch einmal zu unterstreichen und die Verantwortung aufzuzeigen, die alle Parteien in diesem Hohen Hause zu tragen haben, wenn wir eine Gesetzesvorlage verabschieden sollen, die der derzeitigen Notwendigkeit in der Fortentwicklung der deutschen Wirt- schaft und den sozialen Bedürfnissen des in diesem Unternehmen beschäftigten Personals Rechnung trägt.
Die Kriegsschäden betrugen wertmäßig rund 2 Milliarden Mark; sie sind etwa zu 1 Milliarde bereits behoben. Es war dem opferwilligen Einsatz des Personals der Bundesbahn möglich, diese Arbeit zu leisten, weil wir eine uneigennützige Hilfe des amerikanischen Eisenbahnpersonals in Gestalt von 210 Zentnern Kleidungsstücken und einigen tausend Care-Paketen erhalten haben, die in dieser Zeit notwendig waren, wie es jeder von uns am eigenen Leibe verspürt hat, um überhaupt die Arbeit leisten zu können. Für diese uneigennützige Hilfe des amerikanischen Volkes, insbesondere des einen genannten Teiles, möchte ich von hier aus meinen herzlichsten Dank aussprechen. Das gilt nicht für den Osten, wo unter der Eisdecke des kalten Krieges jede soziale Neuregung erstickt wird.
— Dafür können wir Beweise antreten! — Ich glaube also, daß wir aus den beiden Entwürfen, die sich im wesentlichen in der Ausgestaltung der Organe, nämlich dem Vorstand und dem Verwaltungsrat, unterscheiden, in den Ausschußberatungen das brauchbarste Instrument zu machen versuchen müssen, dessen wir bedürfen. Ob das Präsidialsystem oder das Kollegialsystem durchgeführt werden wird, möchte ich im Augenblick den Beratungen der Sachverständigen im Ausschuß vorbehalten und möchte hier nicht vorgreifen. Eine Forderung aber stellen wir, die ich dem Herrn Bundesverkehrsminister bereits anläßlich unserer Gewerkschaftstagung in Gelsenkirchen unterbreitet habe, nämlich die Forderung, daß bei der Bildung des Vorstandes der Posten des Sozialdirektors geschaffen wird. Das Wertvollste, was wir aus dem
Zusammenbruch gerettet haben, ist die Arbeitskraft. Wir wünschen nicht nur, daß den Trägern der Arbeitskraft hier Dank und Lob gespendet,
1 sondern daß die Einrichtungen geschaffen werden, die nach unserer Auffassung für die Betreuung dieses wertvollsten Produktionsmittels nun einmal wirklich unbedingt erforderlich sind.
Der Verwaltungsrat soll nach beiden Entwürfen aus 29 Köpfen bestehen. Mir scheint das ein zu schwerfälliger Apparat zu sein. Ich glaube auch nicht, daß die Zusammensetzung des Verwaltungsrats, wie uns in den Vorschlägen vorgelegt, sehr glücklich ist, sondern hier wird sich erweisen müssen, ob das Hohe Haus bereit ist, die allseitig anerkannte These von der Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital auch wirklich durchzuführen. Wir stehen jendenfalls auf dem Standpunkt, daß der Verwaltungsrat ein echter mitbestimmender Apparat sein muß, in dem die Gewerkschaften als
die berufenen Vertreter der Arbeitskraft ein entscheidendes Wort mitzureden haben müssen. Wir können uns vorstellen, daß sich der Verwaltungsrat analog dem Vorschlag des ehemaligen Wirtschaftsrats aus 18 Personen zusammensetzt, 6 davon Vertreter der Wirtschaft, 6 Vertreter der Gewerkschaften und 6 Vertreter der öffentlichen Hand. Das, glaube ich, würde eine Zusammensetzung geben, die es uns gestatten würde, keine Interessentenpolitik einzelner Gruppen in diesem größten Unternehmen der westdeutschen Republik zu treiben, sondern wirklich das Gesamtinteresse der deutschen Wirtschaft und damit des deutschen Volkes dadurch wahrnehmen zu lassen.
Es scheint mir auch erforderlich zu sein, daß die Aufgaben und Befugnisse des Verwaltungsrats mindestens in dem Maße festgelegt werden müssen. wie sie der Vorschlag des Bundesrats festgehalten hat.
Dann muß eine scharfe Trennung zwischen Aufsicht und Leitung durchgeführt werden. Ich habe den Eindruck, daß die Aufsichtsbefugnisse des Herrn Bundesverkehrsministers zu groß sind. Ich glaube, die Aufgaben des Herrn Bundesverkehrsministers liegen wesentlich darin, daß er die endlich überfällige Koordinierung der vier Verkehrsträger energisch in die Hand nimmt und zu einem Ergebnis führt.
Das, glaube ich, wird seine ganze Kraft in Anspruch nehmen. Wir wollen hoffen, daß es möglich ist, zu einer Verständigung der Parteien über die Mitbestimmung des Verwaltungsrats auf der einen und über die Trennung von Leitung und Aufsicht auf der anderen Seite zu gelangen. Dadurch scheint mir die Kreditwürdigkeit der Bundesbahn in ihrer neuen Form am besten garantiert zu sein.
Was mir in diesem Zusammenhang noch wichtig erscheint, das ist die Frage der Abgaben der Bundesbahn an den Bund. Diese Frage sollte erst endgültig beantwortet werden, wenn die Bundesbahn in der Lage ist, wieder eine Rendite abzuwerfen.
In diesem Zusammenhang aber werfe ich die Frage auf: Wenn schon diese Gedankengänge bei der Würdigung der Formulierung des Gesetzentwurfs eine Rolle zu spielen haben, wieso können dann heute noch die politischen Lasten wie die 72,6 Millionen DM für Pensionen an Heimatvertriebene, die 54,2 Millionen DM für Kriegsopferentschädigungen — für die wir ja heute morgen in bewundernswerter und schöner Einmütigkeit die gesetzlichen Bestimmungen beschlossen haben — und die ungefähr 60 Millionen DM an Mindereinnah-
men für Sozialtarife der Bundesbahn zur Last gelegt werden? Sollte nicht auch hier eine endgültige Bereinigung stattfinden, damit ein gesunder finanzieller Start des neuen Unternehmens gewährleistet ist? Das sollte bei der Beratung im Ausschuß für Verkehrswesen mit zur Richtschnur unseres Handelns werden.
Ich wünsche also der Bundesbahn soviel Aufsicht wie notwendig, aber soviel Freiheit wie möglich, damit sie ihre Aufgaben im Interesse nicht nur der deutschen Wirtschaft, sondern — darin stimme ich dem Herrn Bundesverkehrsminister bei — im Interesse Europas erfüllen kann; denn auch wir stehen auf dem Standpunkt, daß es dringend notwendig ist, eine europäische Verkehrsbebehörde zu schaffen. Sie liegt aber noch in einiger Zukunft, und über sie sich zu unterhalten wird an anderem Orte die Möglichkeit sein.
Ich möchte zusammenfassen, um Ihre Zeit nicht übermäßig lange in Anspruch zu nehmen. Der Vorschlag des Bundesrates bedeutet in etwa eine Selbstverwaltung, die wir anstreben müssen. Als Verwaltungsorgan versucht er einen dreigliedrigen, mit Entscheidungsbefugnissen ausgestatteten Vorstand und einen überwachenden, in allen Fragen von allgemeiner Bedeutung und in wichtigen Einzelfragen zur Entscheidung berufenen Verwaltungsrat zu etablieren. Der Bundesverkehrsminister hat nach diesem Vorschlag wohl starke Aufsichtsbefugnisse — und auch wir legen besonderen Wert darauf, daß er darüber nicht hinausgehen kann —, kann aber allgemeine Weisungen an das Unternehmen nur im Rahmen seiner politischen Verantwortung treffen. Damit scheint mir die Trennung von Aufsicht und Leitung durchgeführt zu sein.
Demgegenüber stellt das im Regierungsentwurf ausgesprochene relative Prinzip der Autonomie keine echte Selbstverwaltung dar. Die vorgesehenen Organe sind bewußt schwach gehalten. Die sogenannten Entscheidungen seines Verwaltungsrats beziehen sich nur auf einzelne, genau festgelegte Gegenstände und bereiten lediglich die Entscheidungen des Ressortministers vor, so daß der Verwaltungsrat praktisch nur eine beratende Funktion hat. Das zur Leitung des Unternehmens bestimmte dreigliedrige Direktorium ist lediglich zur gesamten Hand berechtigt und verpflichtet, verlangt also Einstimmigkeit seiner Beschlüsse. Nimmt man hinzu, daß der Ressortminister neben dieser entscheidenden Stellung gegenüber den beiden Organen auch noch ein allgemeines und besonderes Anordnungsrecht beansprucht, so kann man die vorgesehene Lösung nur als ein verkapptes Staatsbahnsystem mit einer unklaren Vermischung von Aufsicht und Leitung bezeichnen. Zudem ist es undemokratisch, da es die in diesem System vorgesehene Mitwirkung der Volksvertretung nicht kennt,
sondern alle Anordnungs- und Aufsichtsbefugnisse in der Ministerialinstanz zusammenströmen und endigen läßt.
Diese als Staatsbürokratie zu bezeichnende Organisationsform wird sich hemmend für den Ablauf von Betrieb und Verkehr auswirken.
Im übrigen zerspaltet das über der Hauptverwaltung stehende Direktorium die Zentrale an sich. Es wird eine Dreiteilung der Zentrale, nämlich in Hauptverwaltung, Direktorium und Ministerium, konstruiert, eine bisher nirgends er-
probte Lösung. Das würde aber, abgesehen von den zahllosen Unklarheiten für die Öffentlichkeit, zu einer Aufblähung des Apparates führen, den wir durch eine gesunde Verwaltungsreform auf das richtige Maß beschränken sollten. Jedenfalls gehören diese Organisationseinrichtungen, wie sie da vorgesehen sind, nach unserer Auffassung nicht in ein für die Dauer bestimmtes Gesetz, sondern in die jederzeit abänderbare Verwaltungsordnung.
Um es noch einmal zu wiederholen: die Aufsichtsbefugnisse des Herrn Bundesverkehrsministers sollten auf das Notwendigste beschränkt werden, damit Betrieb und Verkehr durch eine feste Leitung den wirtschaftlichen Bedürfnissen angepaßt werden können. Eine Ausschaltung der Legislative — also des Bundestages — muß vermieden werden. Mindestens der Wirtschaftsplan sowie die Gewinn- und Verlustrechnung müssen dem Hohen Hause vorgelegt werden. Die Volksvertretung kann und darf sich nicht der Pflicht entziehen, im Interesse des deutschen Volkes über die Handhabung und Verwaltung des größten Volksvermögens zu wachen.
Wir werden also in den Ausschußberatungen versuchen, ein Gesetz zu formulieren, das den Bedürfnissen unserer Zeit entspricht und dem Wohle des Volkes dient.