Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag ersucht die Regierung, vorbereitende Schritte zu unternehmen, um einen Rat für Formentwicklung der Erzeugnisse der deutschen Industrie und des deutschen Handwerks ins Leben zu rufen. Wenn Form und Wirtschaft zusammengebracht werden sollen, ist das deshalb nicht so einfach, weil die Wirtschaft möglichst nur von rationellen Dingen oder materiellen Gegebenheiten ausgeht, während die Formentwicklung eine irrationelle Angelegenheit ist.
— Das läßt sich leicht nachweisen, und das will ich eben tun, nämlich beides vereinigen. Es läßt sich leicht nachweisen, daß bei gleichwertiger materieller Qualität von jedem Käufer immer das Produkt vorgezogen wird, das auch zugleich ein Formniveau gewährleistet. So ist es nicht zu verwundern, daß in letzter Zeit bittere Erfahrungen überall dort gemacht wurden, wo dieser wichtige Gesichtspunkt vernachlässigt wurde. Nach meiner Meinung ist die deutsche Industrieschau 1949 in New York, was die Leichtindustrie anlangt, ein großer Mißerfolg gewesen. Ich fasse viele, auch wohlwollende Urteile in ein einziges zusammen, in das eines Mannes deutscher Herkunft namens Otto, der in einer kritischen Betrachtung geschrieben hat: „Es war offensichtlich, daß die ausgestellten Erzeugnisse bei aller funktionellen Exakt-
heit für amerikanische Augen einen fast musealen Charakter hatten; ihr äußeres Bild schloß sie praktisch vom Wettbewerb aus".
Es handelt sich also hier um eine Frage, die jeden Exporteur brennend interessieren muß, und, wie ich gleich hinzufügen darf, auch um eine Frage, die jeden deutschen Inlandskäufer interessieren muß. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, mit welcher Schundware man bis zum Tage der Währungsreform und auch noch nachher den deutschen Käufer beliefert hat. Es ist auch eine Frage von großer kultureller Bedeutung, ob unsere Familien in Wohnungen leben, die von dem Formgedanken, von dem Formwillen im besten Sinne des Wortes durchwaltet sind, ob unsere Jugend in solchen Wohnungen und in sonstiger Umgebung, die diesen Anforderungen entspricht, aufwächst oder nicht. Es ist schade, daß der Ältestenrat diesem Gegenstand nur diese Eckstunde gegeben und die Zeit für seine Behandlung so knapp bemessen hat. Ich glaube, dieses Problem bedarf einer gründlicheren Erörterung. Dazu wird jedoch noch einmal Gelegenheit sein, falls die Regierung sich — worum wir ersuchen - zu einer solchen Vorlage entschließen sollte.
Wir haben die bittere Erfahrung machen müssen, daß das Ausland uns in dieser Beziehung weit voran ist. In Amerika hat fast jede größere Fabrik einen solchen — man darf beinahe sagen - Formdiktator. In England, wo gemeinwirtschaftliche Gesichtspunkte sehr stark im Vordergrund stehen, hat man einen Rat für Formgebung geschaffen, und zwar — das ist das besonders Schmerzliche — unter Auswertung deutscher Erfahrungen der Zeit vor 1933, zum Teil sogar unter Verwendung deutscher erfahrener Kräfte aus dieser Zeit, Bereits seit 1910 sind in Deutschland entsprechende Bestrebungen im Gange, die zunächst von dem Dürerbund, dann vom Bauhaus Dessau, vor allem aber von dem Werkbund getragen waren, bis sie 1933 brüsk abgebrochen worden sind und erst seit 1945 wieder auflebten.
Diese Bestrebungen gilt es heute wieder lebendig zu machen und zusammenzufassen — und nicht nur das, sondern man muß ihnen auch ihren festen Platz im öffentlichen Leben geben. Wir wissen und unterstellen gern, daß auch im Wirtschaftsministerium solche Erwägungen ernst genommen werden, aber wir möchten nicht, daß dieses Anliegen dem zufälligen Wohlwollen des jeweiligen Ministers ausgeliefert bleibt, sondern daß es in gesetzlicher Form verankert wird.
Wir wollen aber verhüten, daß daraus eine neue bürokratische Einrichtung entsteht, und deshalb schlagen wir vor, einen ehrenamtlichen Rat für Formentwicklung der Erzeugnisse der deutschen Industrie und des Handwerks zu schaffen, einen ehrenamtlichen Rat, der natürlich dem Wirtschaftsministerium insofern unterstellt sein müßte, als das Wirtschaftsministerium die Oberaufsicht zu führen hätte und die Mittel zur Verfügung stellen müßte, die zur Entwicklung der Arbeit eines solchen Rates nun einmal gehören.
Dieser Rat hätte sich im Unterschied zu früheren Bestrebungen dieser Art nicht nur aus Künstlern und Kunstgewerblern, sondern auch aus den Publizisten, den Verbrauchern und den Erzeugern zusammenzusetzen, vor allem aber auch aus dem großen Kreise der Erzieher; denn der Käufer muß genau so erzogen werden wie der Produzent, um das zu erreichen, was man in Fachkreisen die Wertware genannt hat, die Wertware, in der Materialgediegenheit, Gebrauchsfähigkeit, Dauerhaftigkeit, Formenschönheit und angemessener Preis vereinigt sind. Diese Ware ist heute schon zu haben. Im Kunstgewerbe werden seit langem diese Gesichtspunkte gepflegt. Ich darf Sie z. B. an die Deutschen Werkstätten Hellerau und an namhafte Firmen in München erinnern. Dieser Rat der Formgebung hätte als wichtigste Aufgabe die modernen Möglichkeiten, die ja vorhanden sind, auszunützen und diese Wertware anstatt der Schundware nicht nur in teurer Einzelanfertigung, sondern in Serienherstellung zu gewährleisten und sie der Kauffähigkeit der breiten Massen der interessierten Käufer anzupassen.
Deshalb schlagen wir Ihnen vor, die Regierung um eine Vorlage zu ersuchen, die einen solchen Rat ins Leben ruft. Ich gestehe gern, daß ich die Ehre des Vorantritts in dieser Angelegenheit zu schätzen weiß; aber dieser Gegenstand wäre wert gewesen, eine interfraktionelle Behandlung zu erfahren, denn er ist nicht die Angelegenheit einer Partei oder einer Kräftegruppe im Volk, sondern er ist wirklich eine Angelegenheit des gesamten deutschen Volkes. Und in diesem Sinne möchte ich Sie um Ihr Wohlwollen dem Antrag gegenüber gebeten haben.
Es gibt auf diesem Gebiete wertvolle Vorarbeit, und zur rechten Stunde - vor etwa einem Monat - ist ein Buch von Frau Dr. Else Meißner, der letzten Geschäftsführerin des Werkbundes in Sachsen vor seiner Vernichtung im Jahre 1933, erschienen. Ich kann mich in diesen zehn Minuten nicht über dieses Buch ergehen und das wertvolle Material, das es enthält, nicht darlegen; ich hoffe aber, daß es die Regierung zu nutzen weiß, wenn das Haus sie um eine solche Vorlage bitten sollte.
Es war ein Engländer namens Brock, der in jener Zeit der Blüte der Werkbundbestrebungen in Deutschland einmal das gewichtige Wort aussprach: „Der deutsche Erfolg auf diesem Gebiet ist keiner des bloßen Wettbewerbs; die Deutschen haben ihn errungen, weil sie auch die Sache sahen". Ich hoffe, daß viele Menschen und möglichst alle maßgebenden Stellen in diesem Sinne lernen, auf die Sache zu sehen, die nicht nur Materie und nicht nur rationellen Rechenstift bedeutet, sondern für die zum Dienst an der Sache auch die volle Erkenntnis der Bedeutung der Form unserer Wirtschaftsgüter gehört, wodurch den in Deutschland produzierten Waren ein erweiterter Export und die echte Wertschätzung des deutschen Verbrauchers gesichert wäre.