Meine Damen und Herren! Auf die Einzelheiten, die hier vorgetragen worden sind, möchte ich nicht noch einmal eingehen. Mir scheint aber wichtig, daß man das Symptomatische an den hier kritisierten Erscheinungen noch etwas beachtet. Denn mir scheint die Art und Weise bezeichnend zu sein, mit der in Teilen der deutschen Presse das politische Geschehen überhaupt dargestellt wird. Man verzichtet dort weitgehend darauf, sich mit echten politischen Problemen zu beschäftigen. Mit der Kompliziertheit der sachlichnüchternen Arbeit, die die Tätigkeit des Parlaments ausmacht, befaßt man sich verhältnismäßig wenig. Ich verstehe das bis zu einem gewissen Grade. Solche Dinge sind ja langweilig. Solche Dinge verlangen eine Vertiefung in die meist verwickelten Zusammenhänge, ein Studium der sachlichen Problematik. Statt dessen ist es sehr viel einfacher, sich um Äußerlichkeiten zu bekümmern, so etwa darum, ob nun hier im Restaurant eine neue Gardine aufgehängt oder ob hier irgendwo ein Fensterdurchbruch gemacht worden ist oder ob die „Vasen" — die großen Kübel, die da stehen — Kristallgefäße sind oder ob sie Säureflaschen darstellen. Alle diese Dinge sind natürlich für die Öffentlichkeit ungeheuer wichtig, und sie geben die herrliche Möglichkeit, sich an der Vertiefung in die echten Probleme vorbeizudrücken. Sehen Sie gerade das will mir bedenklich erscheinen. Denn durch dieses Ausweichen vor der echten Problematik setzt sich ein Teil der deutschen Presse selbst außerstande, die eigentliche Funktion der Presse in der Demokratie zu erfüllen.
Ich meine, gerade diese Gelegenheit einmal benutzen zu müssen, auf diesen Zusammenhang hinzuweisen.
Es ist überdies nicht ganz richtig, wenn der Antragsteller bei seiner Begründung vorhin gesagt hat, es sei den Gerüchten nicht entgegengetreten worden. Ich weiß nicht, ob es zufällig oder beabsichtigt war, es war jedenfalls merkwürdig, daß die unsere augenblickliche Erörterung auslösenden Behauptungen verbreitet wurden zwei Tage, nachdem das Bundesparlament auseinandergegangen war und hier in Bonn zunächst niemand war, der die Funktion der Berichtigung hätte übernehmen können. Ich habe dann von meinem Wohnsitz aus versucht, den Dingen entgegenzutreten, habe aber feststellen müssen, daß die Freude an der hämischen Darstellung dieser Angelegenheit so gewaltig war, daß selbst seriöse Leitartikler glaubten, in sehr moralisierenden Betrachtungen ihre -- sagen wir mal — Überlegenheit gegenüber den an sich so „eigensüchtigen" Abgeordneten zum Ausdruck bringen zu müssen.
Meine Damen und Herren, mir fällt auf — und das macht mich bei diesen Erscheinungen etwas stutzig —: diese Betrachtung über die Diäten, nicht nur die Straßburg-Diäten, sondern überhaupt die Diätenfrage ist in der Öffentlichkeit merkwürdigerweise immer sehr einseitig. Sie geht nämlich nie davon aus und setzt nie auseinander, welche Belastungen und Verpflichtungen der Abgeordnete hat. Sie verschweigt, daß die Abgeordnetenfunktion eigentlich ein Betrieb ist, der ein ganzes Büro mit einem entsprechenden Apparat notwendig macht. Diese Wirklichkeit wird nicht auseinandergesetzt, sondern es wird immer so dargestellt, als wenn es sich um persönliche Bezüge handle, denen überhaupt keine wesentlichen sachlichen Belastungen gegenüberstünden.
Sehen Sie, diese Mobilisierung der Mißgunstinstinkte gegen die Willensträger der Demokratie hat in der Zeit der Weimarer Republik begonnen. Sie war damals eine der regelmäßigen Hauptwalzen der Hugenberg-Presse. Damals hat man im Kampf gegen die Weimarer Republik damit angefangen, systematisch von Tag zu Tag immer wieder die Diätenfrage aufzurollen.
Jetzt knüpft man stellenweise an die Nachwirkungen der durch diese Propaganda erzeugten Denkgewohnheiten wieder an und sucht sie fortzusetzen, um der Öffentlichkeit die Demokratie in einer ihrer wesentlichen Erscheinungsformen in einem Zerrbild darzustellen.
Das ist das politisch Bedenkliche. Ich möchte meinen, man sollte sich doch einmal den Lebenslauf eines großen Teiles unserer Kollegen in diesem Hause ansehen, um zu erforschen, ob sie sich in ihrem Leben als besonders eigensüchtig erwiesen haben. Ich sehe viele hier in diesem Raum, auf allen Seiten dieses Hauses, die um ihrer politischen Überzeugung willen in den Jahren des Dritten Reiches eine sehr kümmerliche oder bedrückte Existenz geführt haben, um ihrer Überzeugung nicht untreu zu werden, während einzelne der Herren, die jetzt ihre tugendbesessene Feder gegen das Parlament spitzen, zu denen gehören, die in den Gazetten des Herrn Goebbels die Linie des Dritten Reiches vertreten haben.
Ich habe gar nichts dagegen, daß diese Herren auch weiterhin ihren Beruf ausüben; aber ich meine, sie sollten. doch etwas zurückhaltend sein und die Diffamierung derer vermeiden, deren Lebensgang und das, was sie um ihrer politischen Überzeugung willen in der Vergangenheit getragen haben, zeigt, daß sie auch einer gewissen Selbstlosigkeit fähig sind und daß sie infolgedessen nicht von vornherein in dem Verdacht zu stehen brauchen, ihre politischen Ämter zu persönlicher Bereicherung zu mißbrauchen.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es wird notwendig sein, demgegenüber immer wieder darum zu bitten, daß man die Sachverhalte der Politik wirklich wahrheitsgemäß wiedergibt. Man möge sich doch nicht einbilden — wie mir das auch schon angedeutet worden ist —, daß man durch solche Veröffentlichungen erst das Gewissen des Parlaments und der Abgeordneten habe schärfen müssen.
Wir wissen doch, meine Damen und Herren, wie wir uns um alle diese Dinge auseinandergesetzt haben, wie wir Berechnungen angestellt haben. Im Grunde genommen ist doch diese ganze Straßburger Affäre nur dadurch entstanden, daß wir vor dem Gang nach Straßburg gar nicht wußten, welche Belastung entstehen würde, und aus der
Erfahrungslosigkeit ist dann so etwas wie eine Aufstellung vermuteter Zahlen versucht worden, ohne einen Beschluß, ohne eine Feststellung, ohne irgendwelche Verbindlichkeit, vor allen Dingen aber ohne irgendeine Bindung oder Verpflichtung nach irgendeiner Seite hin. Deshalb, meine ich, wäre eine wirklichkeitsgetreue Darstellung in diesem Zusammenhang im Interesse der Demokratie und im Interesse der Entwicklung unseres neuen Staates schon wichtig gewesen. Um die Demokratie recht funktionsfähig zu machen, muß die Presse den Organen des Staates wirklich als Medium der Volksaufklärung dienstbar sein. Nicht im Sinne einer Meinungslenkung oder Gleichschaltung oder Sprachregelung, sondern im Interesse einer reifen Meinungsbildung durch eine gründliche Darstellung dessen, was als wirklich entscheidende Fragen und Vorgänge unseres politischen Lebens eigentliche Inhalte sind.