Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zunächst möchte ich meiner Genugtuung darüber Ausdruck geben, daß es den Bemühungen des Altestenrats gelungen ist, auch den Antrag unserer Fraktion, der als ersten meinen Namen trägt, heute noch mit auf die Tagesordnung zu setzen und eine Begründung dieses Antrages vorzusehen. Wer wie ich aus nächster Nähe den Leidensweg der Chemischen Werke Bergkamen erlebt hat, könnte vielleicht der Ansicht sein, daß es einer Begründung dieses Antrages überhaupt nicht bedürfe. Trotzdem gestatten Sie mir, Ihnen einige Stationen dieses
Leidensweges zu zeigen oder in Ihr Gedächtnis zurückzurufen. Ich habe aus nächster Nähe die Zerstörung dieses grandiosen Werkes durch die feindliche Luftmacht miterlebt. Ich habe seit 1945 die Anstrengungen miterlebt, die von der Leitung des Werks gemacht worden sind, einmal die Zerstörung zu beheben und nach Wegen zu suchen, wieder in den Produktionsgang eingeschaltet zu werden.
Lassen Sie mich kurz einige der wichtigsten Daten dieses Weges zeigen. Da war zunächst der Versuch, durch die Militärregierung zu einer Produktionsgenehmigung zu kommen. Sie wurde für eine Teilproduktion erteilt, ja, es wurde das Chemische Werk Bergkamen mit Mitteln der Militärregierung und weitgehend mit Mitteln des Werks selbst so weit aufgebaut, daß diese Teilproduktion in Angriff genommen werden konnte. Und dann kamen die Rückschläge in der Art, daß das Permit für die Produktion nicht von der Gesamtheit der Militärregierung erteilt wurde. Dann kam weiterhin die Enttäuschung, daß in der Zeit der Demontage zu befürchten stand, daß das Werk in seiner Gesamtheit vernichtet werden sollte. Dann kamen die Anstrengungen des Werks, trotz dieser Rückschläge die bestehenden Anlagen betriebsfähig zu erhalten, kamen die Bestrebungen, sich den Stamm der Facharbeiter zu erhalten, die Bestrebungen, weitgehend nach jeder Richtung hin durch das Land Nordrhein-Westfalen, durch die Mithilfe des Wirtschaftsrats, durch die Einschaltung aller für diese Frage in Betracht kommenden Stellen doch noch zu der Genehmigung zu kommen.
Sie alle wissen aus der Zeit, als die Demontage verschärft werden sollte, in welch schwieriger Situation wir gerade damals in Bergkamen gestanden haben. Vielleicht sind Ihnen die Bilder der
Tageszeitungen und der Illustrierten noch bekannt, die davon Kunde gaben, wie die bewaffnete Macht der Militärregierung vor den Toren des Werks Aufstellung nahm. Das alles ist in gewisser Weise zum Guten gewendet. Aber eine weitere schwere Enttäuschung kam für das Chemische Werk Berg-kamen, die Enttäuschung, daß es als einziges nach dem Fischer-Tropsch-Verfahren arbeitendes Werk von jeglicher Produktionserlaubnis ausgeschaltet blieb.
Ich darf Sie darauf hinweisen, daß das Werk seine Anstrengungen gemacht hat, den Betrieb wenigstens vor dem Verfall zu retten, seine Facharbeiter zu halten, und ich darf Sie auf die soziale Seite dieser Frage hinweisen, die darin besteht, daß in diesem Werk weitgehend mehrere hundert Frauen neben den Facharbeitern beschäftigt werden können und daß gerade diese Frage für Bergkamen von entscheidender Bedeutung ist, weil ja nach dem Kriege, nach der Zerstörung des Orts selbst, nach der Zerstörung des Werks das furchtbare Grubenunglück von Bergkamen Hunderte von Frauen zu Witwen und Kinder zu Waisen machte. Diese Witwen und andere Frauen warten darauf, in diesem Betrieb einmal wieder Arbeit finden zu können.
Neben den Anstrengungen des Werks, zum Permit zu kommen, das Werk zu erhalten, gingen aber weitere Anstrengungen, nach einem Weg zu suchen, der es ermöglichte, zu einer Produktion zu kommen, die nicht im Widerspruch mit den Bestimmungen der Militärregierung bezüglich des Fischer-Tropsch-Verfahrens stand. Dank der Tüchtigkeit der Leitung des Chemischen Werks Bergkamen, des Direktors des Werks und seiner Mitarbeiter ist es gelungen, zu einem Verfahren zu kommen, das auch hier in unserem Antrage genannt ist, dem Gasentgiftungsverfahren, das von dem Chemischen Werk Bergkamen zum Patent angemeldet worden ist und zu dem bei den Hohen Kommissaren der Antrag des Werkes vorliegt, die Produktion nach diesem neuen Verfahren zu genehmigen.
Sie werden Verständnis dafür haben, daß es mir als Frau nicht möglich ist, hier über das chemische Verfahren als solches einen Fachvortrag zu halten. Das wäre Sache eines Chemikers. Ich bitte Sie aber, Verständnis dafür zu haben, daß nicht nur dem Werk Bergkamen selbst, nicht nur der nächten Umgebung dieses Werks und meinem Heimatkreis daran liegt, zur Produktion zu kommen, sondern daß dies eine Frage ist, die weitgehend unser gesamtes wirtschaftliches Leben beeinflußt. Und darum bitte ich Sie, dem Antrage zuzustimmen, daß unsere Regierung ersucht wird, bei den Hohen Kommissaren darauf hinzuwirken, daß die Erlaubnis zur Produktion nach dem neuen Gasentgiftungsverfahren gegeben wird.