Rede von
Dr.
Gebhard
Seelos
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BP)
Meine Damen und Herren! Die Interpellation war eigentlich so ernst, daß sie von den Interpellanten selbst nicht dadurch hat degradiert werden sollen, daß sie auf ein kleines parteitaktisches Niveau heruntergezogen worden ist.
Denn die Äußerungen sind so verhängnisvoll, daß sie durch sich selbst wirken. Man braucht nicht Tatbestände einzufügen, die nicht zu dieser Interpellation gehören.
Es wird von der Bundesregierung immer im nationalen Interesse erwartet, daß Parteienanträge, die Besatzungspolitik und auswärtige Dinge behandeln, vor internationalen Konferenzen zurückgestellt werden. Die Abgeordneten sind meist so loyal — ob Regierungspartei oder Opposition —, diesen Wünschen aus nationalem Interesse Rechnung zu tragen.
Wenn nun der Bundestag so wenig Kredit bei der Bundesregierung genießt, .daß sie glaubt, ihn etwas bevormunden zu müssen, weil man befürchtet, daß immer Exzesse in der Debatte stattfinden, dann möchte ich doch darauf hinweisen, daß schließlich in jeder Demokratie im Parlament
vollkommene Freiheit der Rede herrscht, und daß man auch im Auslande verzeiht, wenn einige outsider Äußerungen machen, die völlig unpassend sind.
Die Saardebatte oder auch andere Debatten haben aber gezeigt, daß sie eine wertvolle Unterstützung der Regierung bedeutet haben und daß sie auch im Ausland die wirkliche Stimmung des deutschen Volkes übertragen und durchaus positiv gewirkt haben. Dazu sind wir da, daß wir in entscheidenden Phasen in solch schwierigen außenpolitischen Situationen unsere Stimme erheben. Nun aber sollen wir , die wir dazu berufen sind, nicht dazu reden; aber die Minister, die reden frei und unbeherrscht über Probleme, die keineswegs zu ihrem Ressort gehören. Und das ist von der größten Gefahr. Denn erinnern Sie sich: Wir sind durch Reden in der Vergangenheit mit in unser nationales Unglück gekommen. Kaiser Wilhelm II. hat soviele außenpolitische Reden gehalten, die in der Welt die Meinung hervorgerufen haben, daß wir den Krieg wollten, obwohl das deutsche Volk nicht daran dachte, den Krieg zu wollen. Aber das Ausland hat geglaubt: das ist der verantwortliche Mann, dessen Wille ja bestimmt.
Das Ausland kann nicht glauben, daß verantwortliche Minister ihre Rede nicht mit dem Kanzler abgesprochen haben. Das Ausland kennt nicht unsere Verfassung. Es nimmt das, was Minister sagen, für todernst. 'Wenn der Herr Kanzler sagt, daß keine schlimmen Folgen deswegen vorgekommen seien, dann ist das nicht geschehen, weil diese Reden nicht so verhängnisvoll waren, sondern wegen der furchtbaren internationalen Situation. Da durfte man diese Reden nicht aufgreifen, man muße sie mehr oder weniger totschweigen.
Es ist richtig, daß die Minister nicht Untergebene des Kanzlers sind. Aber der Bundeskanzler muß in solchen schwerwiegenden Fällen tatsächlich von seinen verfassungsmäßigen Rechten Gebrauch machen. Es ist eben ein Fehler unserer Bundesverfassung, daß die Exekutive und die Legislative in dieser Weise vermengt sind, daß Abgeordnete Minister sind. Nach der Verfassung sind sie also als Abgeordnete nur ihrem Gewissen verantwortlich, als Minister sind sie an die Richtlinien des Bundeskanzlers gebunden. Ja, wie sollen sie aus dieser Situation herauskommen, wenn sie glauben, auf Grund ihres Gewissens reden zu müssen? — Das ist ein Widerspruch, der behoben werden sollte. Die Militärregierung hat es bei den Beamten einfach durch einen Befehl gemacht, daß Abgeordnete, die Beamte sind, ihre Beamteneigenschaft verlieren. Viel schwieriger, und verhängnisvoller ist aber die Vermengung von Abgeordneteneigenschaft und Ministereigenschaft. Wir sehen es doch, wenn die Minister manchmal vom Olymp heruntersteigen und unten von der Bank aus sich selbst das Vertrauen aussprechen. Wenn ein Minister in dieser jetzigen Situation glaubt, sein Amt nicht ausüben zu können, wenn er die Besatzungslage für so verhängnisvoll ansieht, daß es gegen sein Gewissen geht, hier mitzuwirken, dann hat er ein Mittel, — dann kann er zurücktreten. Jeder wird sagen: Hut ab vor einem Minister, der wegen seiner Überzeugung zurücktritt und die Konsequenzen zieht. Das ist das andere Mittel: Wenn der Bundeskanzler einen Minister deswegen nicht entlassen will oder die Entlassung dem Bundespräsidenten nicht vorschlagen will, dann sollte der
betreffende Minister selbst die Konsequenzen ziehen.
Ich erinnere z. B. an dieses verhängnisvolle Entnazifizierungsgesetz in der amerikanischen Zone, das die drei Ministerpräsidenten unterschrieben haben, was sie wohl bitter bereut haben.
Man darf nicht Dinge unterschreiben, von deren Fehlerhaftigkeit und von deren verhängnisvollen Folgen man überzeugt ist. Man darf erwarten, daß ein Minister zu seiner Meinung steht und eben nur als Abgeordneter hier unten so wirkt, wie er es als Abgeordneter noch seinem Gewissen verantworten zu können glaubt, und daß er nicht dann auch Minister spielen will.
Wir haben genug Schwierigkeiten. Wir wollen besonders in der Außenpolitik eine klare Linie der gesamten Regierung sehen. Wir wollen keine vier Außenminister haben. Da kann man nur sagen: Wir sind froh, daß der Kanzler wieder gesund ist und daß er jetzt die Härte zeigen kann, um diese Konsequenzen künftig zu ziehen. Man verlangt in der jetzigen Situation, wo es um Sein und Nichtsein des deutschen Volkes geht, Disziplin vom deutschen Volk. Herr Kanzler, sorgen Sie zuerst für Disziplin in Ihrem Kabinett!