Meine Damen und Herren! Bezüglich der Erledigung dieses Antrages der Fraktion der SPD bin ich der Ansicht des Herrn Kollegen Arndgen.
Ich hätte es nicht für notwendig gehalten, zu dieser Sache zu sprechen. Diese Übungsgefechte im Vorfeld des Kampfes um die Einheitsversicherung sind uns nicht ungewohnt, und wir denken, daß wir zu gegebener Zeit darin unseren Mann stehen werden. Aber ein Vorwurf des Redners der sozialdemokratischen Fraktion hat mich doch veranlaßt herauszukommen, der Vorwurf nämlich, der dialektisch negativ ausgesprochen war und besagte: Wem das Wohl der Versicherten am Herzen liegt, der muß unserem Antrag zustimmen.
Meine Damen und Herren! Ich bin der Ansicht, daß derjenige, dem das Wohl der Versicherten am Herzen liegt und der diesen Antrag durchdenkt, ihm auch sachlich widersprechen muß, und zwar nicht nur deshalb, weil er bereits seine Erledigung gefunden hat. Sie beabsichtigen, mit den Art. 1 bis 4 dieses Gesetzes die weitere Gründung von Betriebskrankenkassen, Innungskrankenkassen und Landkrankenkassen zu verhindern. Mindestzahlen von tausend Versicherten bedeuten in einer großen Anzahl aller Fälle bereits die Verhinderung der Neugründung solcher Kassen, und Ihre famose Be-
stimmung in Art. 3, wonach die Gesamtheit der Versicherten eines Bezirkes über das Schicksal ihrer Kollegen abzustimmen hat, stellt ja eine völlige Garantie gegen die Neugründung von kleinen Krankenkassen dar. Wir sind der Ansicht, daß gerade die kleinen Krankenkassen den geplanten Erfolg der deutschen Sozialversicherung garantieren und daß die großen Krankenkassen weitgehend schuld daran sind, daß die deutsche Krankenversicherung ihr Ziel nur zu 50 % erreicht hat. Offenbar haben Sie nicht darüber nachgedacht, daß es seit der Errichtung der Krankenversicherung in Deutschland eine neue Krankheit gibt: die sogenannte Versicherungskrankheit. Vor etwa 20 Jahren hat ein sehr namhafter Schweizer Chirurg einmal erklärt: Wenn er einen Bauern aus dem Kanton Basel-Land wegen eines Unterschenkelbruches behandeln müsse, dann sei dieser Bruch in 6 oder 8 Wochen geheilt; wenn er einen versicherten Industriearbeiter aus Basel-Stadt behandeln müsse, dann sei er erst in 6 Monaten geheilt; und wenn er einen italienischen Wanderarbeiter behandeln müsse, würde er überhaupt nicht heilen.
- Meine Damen und Herren, das ist keine Frechheit,
sondern das sind Tatsachen, und ein Stand, der das
an den eigenen Kranken erlebt hat, ist der Ärztestand. Auch wir haben diese Erfahrung gemacht.
Wir haben eine Invalidenversicherung mit der
Möglichkeit der Zahlung von Invalidenrenten gegründet, und wir haben nach der Gründung dieser
Versicherung erlebt, daß es bei uns auf einmal
Invaliden gab, während vorher keine da waren.
Das sagt Ihnen nicht nur ein Arzt, meine Damen und Herren von der Linken des Hauses; das sagt Ihnen jeder, der sich mit der Psychologie der Kranken beschäftigt.
Wer aber diese Psychologie kennt, der weiß, daß in den Leistungen einer Versicherung eine unerhörte Verführung für alle liegt, die auf diesem Wege den harten Verpflichtungen des Daseins entgehen können.
— Wenn Sie das nicht wissen, dann beweisen Sie ja, wie ungeeignet Sie eigentlich dafür sind, die Probleme der deutschen Krankenversicherung zu lösen.
Die Probleme der deutschen Krankenversicherung sind nicht in erster Linie die Finanzfragen; das Problem der deutschen Krankenversicherung ist ein ganz anderes! Wieweit bringen Sie es fertig, den gegenseitigen Versicherungsschutz von einer Genossenschaft gewähren zu lassen, die aus gegenseitig verantwortlichen Mitgliedern besteht? Kennen Sie nicht den Unterschied, der in Deutschland zwischen einer Reihe von Versicherten kleiner
Kassen und etwa dem Versicherten der Ortskrankenkasse besteht?
- Nein, nicht nur ich, sondern alle, die hinsehen, erkennen, daß im kleinen Kreis der Genossen Interesse, Zusammenhalt und Verantwortung, gegenseitige Kontrolle und Unterstützung vorhanden sind und daß das überall aufhört, wo diese Organisationen so riesengroß sind, daß die menschliche echte Note des Helfens dabei verschwunden ist.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie kleine Kassen zerstören, dann machen Sie das Gegenteil von dem, was die erfahrenen Schweizer Sozialversicherer uns empfehlen. Ich hörte vor einigen Tagen den Bericht eines unserer bekanntesten Sozialversicherer; er ist nicht mein Parteifreund, und uns trennt manches. Er kam aus der Schweiz und berichtete von einer lebhaften Diskussion und von der Verteidigung der Schweizer gegen den Angriff auf ihre Zwergkassen. Da hat er einem Schweizer gesagt: Na, ihr mit euren Kassen mit 16 Mitgliedern! Der Schweizer, der Sozialdemokrat war, hat darauf gesagt: Auch die mit 16 Mitgliedern! Es gibt in der Schweiz 2000 Versicherungsträger, fast soviel wie in dem großen Deutschland, und man denkt dort nicht daran, von der Anzahl dieser Versicherungsträger auf eine System der Einheitssozialversicherung herunterzugehen.
Meine Damen und Herren, Sie haben ja sehr häufig das Problem des Lastenausgleichs zwischen den einzelnen Versicherten, des Ausgleichs zwischen den verschiedenen Versicherungsrisiken in die Diskussion geworfen. Wir sind der Ansicht, zum Wesen der Versicherung gehört, daß ein Risiko gemeinsam versichert wird und daß nicht verschiedene Risiken zusammengekoppelt werden. Wir sind der Meinung, daß in der deutschen Krankenversicherung Fürsorgerisiken sind, die keine Risiken für die Krankenversicherung, sondern Risiken für den Staat oder die Fürsorgeverbände sind. Wir sind bereit, alles zu tun, um diese Risiken auszugleichen. Aber, meine Damen und Herren, mit welchem Recht muten Sie einer Millionen zählenden Gruppe von deutschen Lohnarbeitern zu, diese finanzielle Belastung zu tragen? Wenn Sie keinen anderen Schlüssel zur Erhebung als die Grundlöhne haben und wenn Sie verlangen, daß der mit dem höheren Grundlohn denjenigen mit dem nieddrigeren Grundlohn finanziert, dann haben Sie doch eine der primitivsten Veranlagungsmethoden, die es überhaupt gibt. Hat man darüber nachgedacht, ob es berechtigt ist, daß, sagen wir einmal, ein Kupferschmied mit sieben Kindern und ohne Vermögen, durch seine Beiträge einen ungelernten Arbeiter der chemischen Industrie mit zwei Kindern und Grundbesitz unterhalten soll?
Es ist doch so, daß im modernen Staat der Grundsatz der Solidarität längst verlassen ist. Der Grundsatz der Solidarität stammt aus urkommunistischen Vorstellungen und paßt in den politschen Kampf. Ich habe allen Respekt vor den Leuten, die sich den Begriff der Solidarität für den politischen Kampf bewahren. Ich kann aber nicht verstehen, wie man mit einer derartig primitiven Methode alles über den Haufen werfen kann, was der moderne Rechtsstaat aufgebaut hat. Der finanzielle Ausgleich und die Regelung der finanziellen Fürsorgelast hat im modernen Rechtsstaat über der Finanzminister, über die Veranlagung, über die Prüfung des Einzelschicksals zu erfolgen. Dort sind
die Steuern und die Zuschüsse aufzubringen, die den Versicherten, der eigentlich nicht versicherungsfähig ist, finanzieren. Hier liegt eine der Aufgaben der Zukunft.
Der Antrag der SPD-Fraktion, über den der Herr Kollege Arndgen das Urteil sehr deutlich gesprochen hat, ist für uns durch die Beschlußfassung zur gleichen Materie im Ausschuß für Sozialpolitik erledigt. Wir beantragen, den Antrag insgesamt, also von Art. 1 bis Art. 7, abzulehnen.