Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, den Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei, Drucksache Nr. 1330, hier zu begründen.
Der Antrag hat den Entwurf eines Gesetzes über Änderung und Aufhebung von Vorschriften in der Sozialversicherung zum Inhalt. Der Antrag muß unter den Gesichtspunkten betrachtet werden, die bei den Debatten und Aussagen innerhalb des Sozialpolitischen Ausschusses zutage getreten sind. Der Sozialpolitische Ausschuß hat sich in zahlreichen Sitzungen mit einer Materie beschäftigen müssen, die auch diesem Antrag zugrunde liegt. Es handelte sich darum, zu einem Tatbestand Stellung zu nehmen, der durch die nationalsozialistische Gesetzgebung entstanden war und der dringend einer Abänderung bedurfte. Es hat sich bei den Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß leider herausgestellt, daß zwischen den Vertretern der Opposition und denen der Regierungsparteien prinzipielle Meinungsverschiedenheiten vorhanden gewesen sind, Meinungsverschiedenheiten, die sich auch im Laufe sehr ausgedehnter Debatten und sehr vieler Sitzungen des Sozialpolitischen Ausschusses im Wege eines Kompromisses nicht in Übereinstimmung bringen ließen. Ich möchte in diesem Zusammenhange — vor allen Dingen mit Rücksicht auf die Begrenzung der Redezeit — die Auseinandersetzung im Sozialpolitischen Ausschuß besonders im Hinblick auf die prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten hier nicht im einzelnen erörtern. Ich möchte nur, meine sehr geehrten Damen und Herren, dem dringenden Wunsche Ausdruck geben, daß Sie diesem hier vorliegenden Antrag trotzdem eine sachliche und ernste Würdigung angedeihen lassen.
Gestatten Sie mir nunmehr zu den einzelnen Artikeln des Entwurfs einige kurze Bemerkungen. Wir fordern in Art. 1 eine Neufassung des § 225 a der Reichsversicherungsordnung. Wir wünschen, daß durch die Neufassung dieses § 225 a der Stellung der sogenannten Versicherungsältesten entsprochen wird und auf der anderen Seite auch den Interessen der Versicherten, für die ja die Sozialversicherung einzig und allein geschaffen worden ist, dadurch Rechnung getragen wird, daß, wenn die Versicherten bei der Frage der Neuerrichtung oder der Erweiterung einer bestehenden Krankenkasse diese Erweiterung oder Neuerrichtung mit Mehrheit ablehnen, es dann auch bei diesem Beschluß sein Bewenden haben soll, das heißt, daß dann keine Möglichkeit mehr gegeben ist, trotzdem auf einer anderen Grundlage etwa die Erweiterung oder die Errichtung von gesetzlichen Krankenkassen zu betreiben.
Der Art. 2 bringt die Voraussetzungen zum Ausdruck, unter welchen nach unserer Meinung künftig die Errichtung von Innungs- und Betriebskrankenkassen betrieben werden kann. In diesem Art. 2 wird zum Ausdruck gebracht, daß in § 245 Abs. a der Reichsversicherungsordnung und auch entsprechend dem Abs. 1 Ziffer 250 die Versichertenzahlen geändert werden sollen. Bei diesen §§ 245 und 250 handelt es sich ebenfalls um die Errichtung von Betriebs- und Innungskrankenkassen. Es ist bei der in der Reichsversicherungsordnung verankerten Regelung eine Voraussetzung, daß die Zahl der Versicherten bei den zu errichtenden Betriebs- und Innungskrankenkassen 50 bzw. 150 Versicherte betragen muß. Wir wünschen, daß an Stelle dieser Zahlen tritt: 1000 statt 150 Versicherte und 500 statt 50 Versicherte.
Wir glauben, daß die Voraussetzungen, die für die Errichtung einer Betriebs- und Innungskrankenkasse bestehen, reformbedürftig sind, soweit hier die Zahl der Versicherten eine Rolle spielt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang, meine sehr verehrten Damen und Herren, darauf hinweisen, daß Sie die Tatsache einer mangelnden Leistungs-
und Lebensfähigkeit kleinster Krankenkassen prinzipiell ja schon dadurch erkannt haben, daß im Sozialpolitischen Ausschuß die Zahl der Versicherten auf 300 heraufgesetzt worden ist. Das scheint mir eine gute Grundlage für die hier diesem Antrag zugrunde liegende Auffassung zu sein.
Ich möchte dann zu dem Art. 3 ganz kurz Stellung nehmen. Hier wünschen wir, daß der § 252 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung, der davon spricht, daß der Antrag auf Genehmigung einer Betriebs- oder Innungskrankenkasse an das Versicherungsamt zu richten ist, um einen neuen Satz erweitert wird, der folgendermaßen lautet:
Der Antrag ist nur zulässig, wenn die Mehrheit der zu den Organen der Versicherungsträger wahlberechtigten Versicherungspflichtigen, die der neu zu errichtenden Krankenkasse
angehören sollen, in geheimer Abstimmung zugestimmt hat.
Dem Abs. 2 des § 252 liegt eine sprachliche Besserfassung zugrunde. Er hat insofern keine Bedeutung. Maßgebend ist jedenfalls der von mir zitierte Satz, der nun in Konsequenz der von mir schon gemachten Ausführungen tatsächlich die Stellung eines Antrages von der Zustimmung der wahlberechtigten Versicherungspflichtigen abhängig macht.
Der Art. 5 enthält die Änderung des § 364 der Reichsversicherungsordnung insofern, als einmal jede Krankenkasse nicht mehr eine Rücklage im Betrage von zwei Monatsausgaben auffüllen, sondern daß diese Rücklage mindestens auf eine halbe Jahresausgabe erweitert werden soll.
Außerdem soll nicht mehr bei einer Änderung dieser Höhe einer Rücklage die Landesversicherungsanstalt als Träger der sogenannten Gemeinschaftsaufgaben eingeschaltet werden. In Konsequenz dieser unserer Meinung haben wir ja auch in Art. 6 den Fortfall der §§ 364 a bis c der Reichsversicherungsordnung vorgesehen. Wir wollten dadurch erreichen, daß in Ansehung der doch nunmehr stattfindenden Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung kein Raum mehr ist für die Mitwirkung der Landesversicherungsanstalten; denn die Mitwirkung der Landesversicherungsanstalten in Form der sogenannten Gemeinlast oder der Rücklage der Krankenkassen verträgt sich eben nicht mit einer gesunden und vernünftig zu handhabenden Selbstverwaltung. Von diesem Gesichtspunkt aus ist auch der Art. 6 zu beurteilen.
Der Art. '7 sieht vor, daß einige hindernde Erlasse des ehemaligen Reichsarbeitsministers aufgehoben werden.
Ich bin damit am Schluß meiner Ausführungen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe den dringenden Wunsch, daß, wie ich schon ausgeführt habe, dieser Antrag eine sachliche und ernsthafte Würdigung erfährt. Ich bin der Meinung, daß Fragen der Sozialversicherung nicht unter politischen Aspekten gesehen werden sollten, sondern daß es sich hier, auch bei der Beurteilung dieses Antrags, einzig und allein darum handeln kann und darum handeln muß, nur dem Wohle der Versicherten zu dienen, denn für das Wohl der Versicherten sind ja die Versicherungsträger geschaffen worden; und ich sollte meinen, daß sich jeder, der Verantwortungsbewußtsein fühlen und tragen will, auch dieser Verantwortung dadurch bewußt wird, daß er bei den kommenden Beratungen alles daran Petzt, um zu einer sachlichen und einer vernünftigen Regelung der gesamten Materie zu kommen. Ich hoffe also sehr, daß meinen Ausführungen insoweit Rechnung getragen wird, und beantrage namens meiner Fraktion die Überweisung dieses Antrages an den Ausschuß für Sozialpolitik.