Rede von
Rudolf
Freidhof
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion — Drucksache Nr. 1270 — verfolgt den Zweck, den Bundestag zu bitten, dem Gesetzentwurf, der in dieser Drucksache enthalten ist, seine Zustimmung zu geben, um die Selbstverwaltung in der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wiederherzustellen, damit das im Dritten Reich eingeführte Führerprinzip aufgehoben wird. Die Organisation der Reichsanstalt war auf demokratischer Grundlage als Selbstverwaltung aufgebaut. Sie war eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigenem Haushalt. Die Anstalt hatte Amtsstellen und Organe. Diese Organe setzten sich aus dem Vorstand und dem Verwaltungsrat der Reichsanstalt sowie den Verwaltungsausschüssen der Landesarbeitsämter und der Arbeitsämter zusammen. Die Verwaltungsausschüsse der Arbeitsämter bestanden aus Vertretern der Sozialpartner, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, und der öffentlichen Körperschaften als Beisitzer.
In einem Erlaß vom 10. November 1933, also im Dritten Reich, wurde bestimmt, daß alle Befugnisse, die nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom Vorstand und dem Verwaltungsrat der Reichsanstalt sowie den Verwaltungsausschüssen der Landesarbeitsämter und Arbeitsämter auszuüben waren, auf den Präsidenten übertragen werden. Damit war der demokratische Aufbau der Reichsanstalt vernichtet und das autoritäre Führerprinzip eingeführt. Sämtliche Organe waren ausgeschaltet. Aber das genügte noch nicht; man ging weiter. In einem weiteren Erlaß vom 21. Dezember 1938 wurde angeordnet, daß die Aufgaben und Befugnisse des Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung auf den Reichsarbeitsminister übergehen. Damit waren auch dem Präsidenten der Reichsanstalt alle Befugnisse genommen worden. Er wurde praktisch zu einem Abteilungsleiter im Reichsarbeitsministerium. Aber es kam noch besser. In einer Verordnung über den Arbeitseinsatz vom 25. März 1939 bestimmte der Arbeitsminister, daß die Landesarbeitsämter und die Arbeitsämter Reichsbehörden werden und dem Reichsarbeitsminister unterstellt werden. Damit war der letzte Rest einer selbständigen Reichsbehörde, wie es die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung war, genommen. Sämtliche Beamten der Reichsanstalt wurden Reichsbeamte, und Dienstherr für die Angestellten und für die Arbeiter wurde das Reich.
In § 3 der eben genannten Verordnung vom 25. März 1939 wurde bestimmt, daß die Reichsanstalt eine Körperschaft des öffentlichen Rechts bleibt, daß das Beitragsaufkommen zu vereinnahmen und nach Maßgabe ihres Haushaltsplans zu verausgaben ist. Der Reichsarbeitsminister wurde bestimmt; er verwaltete den Reichsstock für den Arbeitseinsatz und setzte mit Zustimmung des Reichsministers der Finanzen einen Haushalt fest. Damit war die Selbstverwaltung restlos beseitigt, und Sie wissen ja aus der Erfahrung, daß die finanziellen Mittel, die die Reichsanstalt während
des Krieges zur Verfügung hatte, fast restlos für die Rüstungsindustrie verwendet wurden.
Da es sich bei der Reichsanstalt um die Beiträge der Versicherten handelt, genau so wie bei der Sozialversicherung, wo die Selbstverwaltung wiederhergestellt werden soll, verlangen auch wir, daß in der Reichstanstalt die Selbstverwaltung wiederhergestellt wird und daß der Reichsstock wieder unter die Selbstverwaltung fällt.
In einem Gutachten, daß das Bundesarbeitsministerium im Frühjahr dieses Jahres herstellen ließ, ist der Standpunkt vertreten worden, daß der Bundesarbeitsminister Rechtsnachfolger des Reichsarbeitsministers sei, daß der Führererlaß und die Verordnung des Reichsarbeitsministers noch zu Recht beständen, daß sie nicht typisch nationalsozialistisch gewesen seien und somit der Bundesarbeitsminister berechtigt und verpfichtet sei, die Dienstaufsicht über die Landesarbeitsämter und Arbeitsämter auszuüben, und daß diese Einrichtungen als Bundesbehörden ihm unterständen. Der Bundesjustizminister und der Bundesinnenminister haben in einem Gutachten vom 3. bzw. vom 5. Mai 1950 sich im wesentlichen dem Gutachten des Bundesarbeitsministeriums angeschlossen und insbesondere den Führererlaß als noch fortbestehend anerkannt. Infolgedessen hat das Kabinett am 6. Juni 1950 den Bundesarbeitsminister beauftragt, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die früheren Rechte des Reichsarbeitsministers auszuüben.
Ein Rechtsgutachten, das der Rechtsausschuß des Bundesrats angefertigt hat, ist im wesentlichen zu einer gegenteiligen Auffassung als das Bundesarbeitsministerium gekommen. Es ist interessant, daß nach mehr als fünf Jahren nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches immer noch Führererlasse in Kraft sind. Deshalb bitte ich den Bundestag, zu beschließen, daß die Führererlasse und die Verordnungen, die während des Dritten Reiches für die Reichsanstalt erlassen worden sind, aufgehoben werden. Ihre Aufhebung ist die einzige Möglichkeit, eine klare Lage zu schaffen und eine Neuordnung der Arbeitsverwaltung herbeizuführen. Ich glaube, es liegt im Interesse der beiden Sozialpartner, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, daß diese Neuordnung erfolgt.
Daher bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Ich möchte gleichzeitig beantragen, diesen Antrag dem sozialpolitischen Ausschuß zu überweisen.