Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der hier vorliegt, hat sehr üble Seiten. Diejenigen Damen und Herren, die im Frankfurter Wirtschaftsrat im vergangenen Jahre das Tarifvertragsgesetz mit geschaffen haben, wissen, daß sich alle Beteiligten damals darüber klar waren, daß man einen neuen Rechtszustand schaffen müsse, der dem Staat das Eingreifen in die Gestaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen unmöglich macht. Wir haben vor der Schaffung des Tarifvertragsgesetzes erst das Lohnstopgesetz aufgehoben, und mir kommt es manchmal so vor, als wenn man auch im Parlament die damals vorhandenen Tatbestände nicht mehr übersehen könnte. Wenn Sie die Debatte über diesen Gesetzentwurf dazu ausweiten, eine Debatte über die Notwendigkeit von Lohnerhöhungen zu führen, dann ist das meines Erachtens nicht richtig — oder Sie müssen sich auf den Standpunkt stellen, daß wir wieder einen politischen Lohn haben wollen
und damit der Bürokratie und der Gesetzgebung
wieder Funktionen zuweisen, die damals bei der
Schaffung des Tarifvertragsgesetzes bewußt in
die Hände der Sozialpartner übergeführt wurden.
Das sollten Sie bei der. Debatte über diese Frage wirklich viel ernster nehmen als die Seitenerscheinungen, die vielleicht dazu geführt haben, diesen Gesetzentwurf einzureichen.
Wenn hier gesagt wird: „Ein gewisser Teil der Tarifverträge enthält Bindungen, die für die Arbeiter im Augenblick einfach unhaltbar sind!", so darf ich Ihnen aus der Kenntnis aus meinem Ministerium sagen, daß die Tarifverträge, die durch dieses Gesetz früher zum Ablauf gebracht werden könnten, nur einen kleinen Prozentsatz der tatsächlich vorhandenen Tarifverträge und Lohnabkommen ausmachen; und ich kann Ihnen sagen, daß in der Zeit, seitdem dieser Gesetzentwurf eingereicht wurde, Kündigungstermine teilweise gar nicht ausgenutzt worden sind.
Ich meine, die Freiheit, ob man einen Tarif kündigen soll oder nicht, muß letzten Endes bei der organisierten Arbeiterschaft und bei demjenigen Verband liegen, der diesen Vertrag abgeschlossen hat.
Wenn hier einige Preissteigerungen zur Begründung dieses Gesetzes angeführt worden sind, dann
sage ich Ihnen in aller Offenheit: Würden Sie es
für richtig halten, daß Tarifverträge, die in der
heutigen Zeit unter Berücksichtigung dieser Einzelpreise neu abgeschlossen werden, von der Arbeitgeberseite mit abgekürzten Kündigungsfristen
gekündigt werden können, wenn diese Preise sich zurückrevidiert haben?
Das sind doch die Konsequenzen! Ich spreche hier viel weniger als Minister als als früherer Gewerkschaftler. Ich war Gewerkschaftsangestellter, als man es den Arbeitnehmern unmöglich gemacht hat, das Mitbestimmungsrecht in der Gestaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durch ihre Gewerkschaften auszuüben. Wir wissen doch, wie damals die Dinge gelaufen sind. Es hat im Anfang manchen Treuhänder gegeben, der an dieser oder jener Stelle, vor allen Dingen in der Metallindustrie, den Leuten entsprechend der Konjunktur etwas mehr gegeben hat. Den Strick um den Hals haben die Arbeiter dann gespürt, als das System sich durchgesetzt hatte. Ich warne das Hohe Haus dringend, von dem Grundgedanken des Tarifvertraggesetzes wieder abzugehen.
Wenn Sie heute einen derartigen Beschluß fassen würden, dann würden Sie damit vor dem Volk nichts anderes sagen, als daß wir uns zur Zeit in einem außerordentlichen Notstand befinden. Sie würden damit in breiteste Kreise eine Unruhe tragen, die durch die Vorteile dieses Gesetzes nie, selbst wenn sie noch so groß wären, ausgeglichen würde.