Rede von
Käte
Strobel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Herren und Damen! Wir sind Ihnen außerordentlich dankbar dafür, daß
Sie in diesem Falle den Schleier bereits bei der ersten Lesung gelüftet haben.
Insofern haben wir die Möglichkeit, Ihnen die Gründe, die Sie eigentlich kennen sollten und die uns veranlaßt haben, diesen Antrag einzubringen, gleich hier bei der ersten Lesung vorzutragen.
Darf ich Sie an ein Wort erinnern, das Herr Bundesminister Kaiser vorhin sagte — und er sagte es wohl im Zusammenhang damit, daß wir in besonderen Verhältnissen leben— : Besondere Verhältnisse erfordern besondere Maßnahmen. Herr Minister Kaiser sagte: Es ist unbedingt notwendig, daß wir alles, aber auch alles tun, um die sozialen Verhältnisse im Bundesgebiet zu bessern.
Das war der letzte Eindruck,
den wir aus dieser ernsten Demonstration des Bundestages heute mit hinausgenommen haben.
Meinem Kollegen Herrn Arndgen möchte ich sagen: Es dürfte auch Ihnen bekannt sein, daß der Bundesvorstand und der Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der sich bekanntlich aus Gewerkschaftsfunktionären aller politischer. Richtungen zusammensetzt,
einmütig der Auffassung ist, daß die Kündigung der Lohntarife, der langfristigen Tarifverträge, angesichts der Preiserhöhungen notwendig ist. Es ist außerordentlich erstaunlich, daß sich diese Auffassung bei den Gewerkschaftsfunktionären, die Bundestagsabgeordnete sind, nicht immer durchsetzt. Ich bin darüber hinaus auch der Auffassung. daß Herr Kollege Arndgen nicht gerade die Tarifverträge gelesen hat, die wir im Auge hatten. Es gibt nicht nur einige Hunderte.
Wenn man davon spricht, daß diese Kündigungsfrist nun einmal abgeschlossen sei, dann möchte ich sagen: Die Verbraucherschaft befindet sich in diesem Falle eben in der schlechteren Situation, weil die Schraube ja von den Preisen her in Bewegung gesetzt worden ist
und wir keine Möglichkeit haben, durch irgendwelche Kündigungen oder durch den Abschluß von Tarifverträgen mit der Regierung oder auf Grund von Regierungserklärungen über die Preise in dieser Beziehung etwa die einschlägigen Wirtschaftskreise an die Preise zu binden, die damals versprochen wurden. Ich glaube, es dürfte auch Ihnen bekannt sein, daß diese Tarifverträge unter dem Eindruck der Versprechungen der Bundesregierung abgeschlossen worden sind,
und der Herr Bundeskanzler hat ja damals versichert, daß die Preise aller lebenswichtigen Nahrungsmittel von der Regierung gehalten würden.
Sie haben wiederholt darauf hingewiesen, daß statistische Berechnungen, Indexziffern usw. nicht unbedingt ein Maßstab für die tatsächlichen Lebenshaltungskosten seien. Darin stimme ich mit Ihnen überein. Ich möchte aber sagen, daß alle statistischen Berechnungen einschließlich der des bundesstatistischen Amtes es nicht fertiggebracht haben, die tatsächlichen Preiserhöhungen der letzten Wochen hinwegzudividieren.
Ich hätte es nicht für möglich gehalten,
daß es heute zum soundsovielten Male notwendig ist, Ihnen die Lage der Bevölkerung in den niederen Einkommensklassen zu schildern. Ich meine, auch Ihnen dürfte die steigende Unzufriedenheit mit der gesunkenen Kaufkraft bekannt sein. Sie wissen genau so gut wie wir, daß die Grenze des Erträglichen nicht nur erreicht, sondern sogar überschritten ist. Wie sollte Ihnen das nicht bekannj sein! Sollte Ihnen der Brief der CDU von Barries und Braam-Ostwennar nicht bekannt sein?
Dann darf ich Sie bitten, sich ihn von einigen Fraktionskollegen der CDU leihen zu lassen.
Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, daß Sie als Politiker etwa das Vertrauen des Teiles Ihrer Wähler, der sich aus kleineren und mittleren Einkommensträgern rekrutiert, gefährden wollen. Aber das ist ja Ihre Angelegenheit. Wenn aber das Parlament ein ganzes Jahr lang — und das ist geschehen —über die wirtschaftliche Notlage breitester Bevölkerungsschichten debattiert und sich trotzdem in seiner Mehrheit nicht entschließen kann, einmal dann, wenn es unbedingt notwendig ist, durch ein Gesetz besondere Maßnahmen für diese kleinen Einkommensträger zu ermöglichen, dann fürchte ich sehr, ist das Vertrauen der Bevölkerung zum Parlament als einer Institution des demokratischen Staates gefährdet.
Sie werden genau so gut wie wir jede Woche in Versammlungen zu Ihren Wählern sprechen, und wenn Sie ein offenes Ohr für die Not der Bevölkerung haben, dann wissen Sie, wie man darüber denkt, daß geredet, aber nicht gehandelt wird zugunsten des kleinen Mannes.
Täuschen Sie sich bitte nicht über die Tatsache hinweg, daß die Verbitterung der Bevölkerung über die Teuerungswelle
und unter dem Eindruck, daß nichts gegen sie geschieht — nur von „Absichten" hört man — ungeheuer groß ist, und mit Recht.
Ich stütze mich, wie ich schon sagte, nicht auf Indexziffern. Aber ich stütze mich auf reale Tatsachen, die ich selbst, wenn ich zu Hause einkaufe, jeden Tag erleben kann. Ich kann Ihnen an Hand meiner eigenen Einkäufe in Nürnberg nachweisen, daß Schweinefett im Juni pro kg 2,45 DM gekostet hat, daß Schweinefett heute pro kg 3,— DM kostet. Das ist eine Erhöhung von 20%
Bei Speiseöl beträgt die Erhöhung von 2,40 DM auf 3,50 DM 40%. Die Reihe dieser Zahlen ließe sich beliebig erweitern. Man führt so gern von seiten der Ministerien an, daß es ja auf dem Wege über Gemüse, Obst usw. Ausweichmöglichkeiten gibt. Gemüse war im vorigen Jahre wesentlich teurer als heute. Das ist richtig. Aber der kleine Mann ist ja gezwungen, sich sein Gemüse selbst zu ziehen. Das teure Obst konnte er früher nicht kaufen, und deswegen ermäßigen sich seine Lebenshaltungskosten nicht.
Meine Herren und Damen! Es kommt mir gar nicht darauf an - weil ich es nicht für sehr er-
folgversprechend halte —, in diesem Falle einmal mehr an Ihr soziales Gewissen zu appellieren.
Mir kommt es darauf an, Ihnen zu zeigen, daß die Tatsachen wirklich so nüchtern sind. Eine Münchener Hausfrau hat im August einmal alle ihre Ausgaben aufgeschrieben. Sie ist auf 183 DM gekommen, ohne Miete, Beiträge und ähnliche festliegende Ausgaben. Daneben hat sie die Preise vom Juni für dieselben Dinge geschrieben, und es ergab sich eine Steigerung von 37 DM. Das ist keine statistische Berechnung; ich glaube, mein Kollege aus München ist gern bereit, jedem von Ihnen diesen Brief zur Verfügung zu stellen; dann können Sie daheim mit Ihren Frauen die Preise vergleichen; und Sie werden sie von Ihren eigenen Frauen bestätigt bekommen.
Die Meldungen, daß die Regierung Preissteigerungen mit allen Mitteln verhindern oder durch Subventionen vermeiden will, sind in der letzten Zeit sehr zahlreich; aber leider Gottes strafen eben die tatsächlichen Preise diese Meldungen bisher Lügen. Denken Sie bitte, meine Damen und Herren, einmal daran, daß eine ganz große Zahl von Familien im Bundesgebiet in der Woche —nicht an einem Tag — nicht mehr als 30 Mark für die Ernährung der ganzen Familie auszugeben hat. Ich weiß ganz genau; die gütigen Menschen in diesem Hause sind in allen Parteien genau so zahlreich wie in der Bevölkerung. Jeder von uns tut, was er kann, um Not zu lindern. Aber, meine Herren und Damen, ich bin der Auffassung, daß es nicht unsere Aufgabe als Parlamentarier ist, Almosen zu geben oder zu schaffen, sondern daß es unsere Aufgabe ist, Gesetze zu machen, die Almosen unnötig machen.
Wohltätigkeit ist eine sehr schöne und eine sehr lobenswerte Sache; aber, meine Herren und Damen, wenn Sie bestehen wollen, dann ist es notwendig, durch entsprechende Gesetze die Armut zu beseitigen. Sie haben sich bisher, nach meiner Auffassung um einer Doktrin willen, nicht dazu entschließen können, ein System der Fest- und Höchstpreise für alle lebenswichtigen Produkte einzuführen. Sie haben sich dagegen gesträubt, die Festlegung und Kontrolle der Handelsspannen und eine scharfe Überwachung der Produktionskosten durchzuführen.
und nicht diejenigen, die diese Tatsachen feststellen.
Auch das neue Preisgesetz wird in dieser Beziehung lückenhaft sein. Die vorhandenen und die beabsichtigten Bestimmungen reichen nicht aus, um eine unlautere Ausnutzung der Konjunktur zu verhindern; das wissen Sie genau so gut wie wir. Sie haben sich nicht entschließen können — auch darauf muß ich Sie aufmerksam machen —, Ihren ursprünglich mit uns angenommenen Beschluß, die alten Brotpreise durch Subventionen zu sichern, aufrechtzuerhalten.
Damit fingen die Preissteigerungen an.
Wenn Sie den unhaltbaren Zuständen nicht von der Preisseite her begegnen wollen, dann gibt es, um die Kaufkraft zu erhalten, eben nichts anderes als den Weg über die Erhöhung der Einkommen, der Löhne, der Gehälter, der Renten und der Unterstützungen.
Es wäre uns lieber gewesen, Sie wären bereit gewesen, die Teuerung zu verhindern bzw. eine Senkung der Lebenshaltungskosten zu erreichen. Das ist nicht geschehen. Die Konsequenz daraus ist eben für uns in diesem Falle dieses Gesetz.
Wenn Sie meinen, daß diese Belastung für die Wirtschaft nicht tragbar ist, dann darf ich Sie an die Denkschrift des Genossenschaftsverbandes — nicht etwa eines Verbandes der Konsumgenossenschaften, sondern der Genossenschaften in Handel und Gewerbe — an den Herrn Bundeskanzler erinnern, in der es heißt, daß im Kostengefüge der Wirtschaft noch Spannen für Lohnerhöhungen vorhanden sind. Der ewige Appell an die Moral der Unternehmer ist bekanntlich nicht von Erfolg gewesen. Nennen Sie mir doch den Unternehmer in Gewerbe, Industrie und Handel, der seinen persönlichen Verbrauch bzw. seine privaten Entnahmen eingeschränkt hat!
Bekannt sind ja auch die D-Mark-Eröffnungsbilanzen und die Tatsache, daß bei den meisten Gesellschaften eine Umstellung des Aktienkapitals 1:1 möglich war.
Übersehen Sie doch bitte nicht, daß auch dies nur durch die Leistung und die niedrigen Löhne der Arbeiterschaft in der Reichsmarkzeit möglich geworden ist.