Meine Herren und Damen! Es ist billig und recht, über ein Gesetz, wie es uns hier von der Regierung vorgelegt worden ist, nicht nur negierend zu sprechen, sondern es ist richtig, an diesem Gesetz auch das Gute, das in der Presse allseits hervorgehoben wurde, zu berücksichtigen. In der sozialdemokratischen Presse habe ich sogar den Ausdruck gelesen, daß dieses Gesetz ein klassisches Gesetz sei.
Ich möchte zunächst betonen, daß uns mit dem Entwurf der Regierung ein klares und sachliches Gesetz vorgelegt wurde, das von dem guten Willen der Regierung zeugt, den Kriegsversehrten und ihren Hinterbliebenen im Rahmen des Möglichen zu helfen. Wenn wir den Entwurf mit dem alten Reichsversorgungsgesetz oder gar mit dem Überbrückungsgesetz vergleichen, so müssen wir auf sehr vielen Gebieten wesentliche Verbesserungen feststellen. Man braucht nur zu denken an die Vereinheitlichung für alle Länder, an die selbständige Versorgungsverwaltung innerhalb des Ministeriums für Arbeit, an die scharfe Trennung der Kriegsopferversorgung von der Sozialversicherung — die Erfüllung eines Hauptwunsches der Kriegsversehrten —, an die Rechtssicherheit, die mit der Vereinheitlichung der Versorgung im Bundesgebiet wieder eingekehrt ist. Man denke auch an die Ausdehnung des Personenkreises der Versorgungsberechtigten auf die Personen, deren Erwerbsfähigkeit um 25 bzw. 30 °/o vermindert ist, an die wesentliche Besserstellung der Witwen, Waisen und Eltern sowie an die Schaffung einer obligatorischen Krankenkasse für die Hinterbliebenen. Dies ist mit Rücksicht auf die große Not der Hinterbliebenen besonders zu begrüßen. Diese Not zeigt sich hauptsächlich in einem großen Sterben der Hinterbliebenen an Tb und in der andauernden Auffüllung unserer Tb-Fürsorgeanstalten mit diesen Kranken. Der Umstand, daß die Anrechnung der Kriegsbeschädigtenrente auf die Sozialrente wegfällt, bedeutet ebenfalls eine wesentliche Erhöhung der Bezüge. Daß nicht alle Wünsche erfüllt werden können, liegt daran, daß unser Land ein großes Armenhaus ist. Es liegt weiter an der Kompliziertheit und an der großen Zahl der zu versorgenden Fälle.
Abgesehen von einigen noch zu diskutierenden Bestimmungen können die Kriegsversehrten und Hinterbliebenen mit dem Gesetz wohl im großen ganzen zufrieden sein. Eine Lanze möchte ich aber noch für unsere Gehirnverletzten brechen, die meiner Ansicht nach in dem Gesetz zu wenig Beachtung gefunden haben. Wer von den Mitgliedern des Kriegsopferausschusses die Studienfahrt zu den Gehirnverletztenheimen in München, Tübingen und Pyrmont mitgemacht hat, wird erkennen, daß
die Gehirnverletzten — ebenso wie die Ohnhänder — zu den Schwerstbeschädigten gezählt werden müssen und diesen unbedingt gleichgestellt werden sollten, nicht nur in der Höchstrente, sondern auch in der Pflegezulage. Die Pflegezulage sollte ihnen auch während ihres Aufenthalts in einer Anstalt gewährt werden. Es wäre sogar noch an die Gewährung einer Hilflosenzulage und die Erhöhung der Freilassungsquote für ein Einkommen aus nicht selbständiger Arbeit zu denken. Dies gilt, wie ich schon sagte, besonders auch für die Ohnhänder. Wenn man sich diese armen Menschen ansieht und sich ihre Hilflosigkeit vergegenwärtigt, so müßte man freudig einer höheren Leistung für diese Kreise zustimmen. Man müßte auch für eine Witwenrente bei dem Tode eines Gehirnverletzten eintreten. Die seelische Belastung, die ein Gehirnverletzter durch seinen Aufenthalt in der Familie über seine Familie bringt, ist für die Frau und die Kinder zermürbend.
Eine weitere Lanze möchte ich für die Witwen unter 40 Jahren brechen, die noch arbeitsfähig sind. Man sollte ihnen die Grundrente von 20 DM zubilligen und nicht, wie es in § 64 des Gesetzes heißt, die Rente ruhen lassen. Wir würden dies als Härte empfinden, weil ja auch die Sozialversicherungen keine Bestimmungen über das Ruhen der Rente kennen.
In den Ausschüssen muß noch über die Zahlung einer höheren Rente als 10 DM und 15 DM bei den zu 30 und 40% Beschädigten debattiert werden. Die Zentrumsfraktion wird sich mit aller Kraft dafür einsetzen, daß diese Renten auf alle Fälle erhöht werden. Ungefähr 40% der Kriegsbeschädigten gehören dieser Gruppe mit den kleinen Renten an. Vielfach sind es, wie schon erwähnt wurde, Bein- und Armamputierte. Gerade diese Gruppe bedarf größerer Geldbeträge zur Beschaffung von Kleidern und Wäsche sowie zur Bestreitung von Fahrkosten. Man muß diesen Personen daher unbedingt eine Erhöhung der Grundrente zubilligen.
In dem Entwurf ist auch eine Bestimmung enthalten, wonach die arbeitenden kinderreichen Kriegsbeschädigten nur die Grundrente erhalten. Es wäre hier recht und billig, wollte man jedem Kinde 10 % der Grundrente bewilligen, falls der Vater 50 bis 100% Beschädigter ist.
Weitere Wünsche werden wohl noch geäußert werden, und man wird in den Ausschüssen über dieses Gesetz noch lange und viel beraten müssen. Wir wollen uns aber auch vor Augen halten, daß dem Staate sehr viele andere Verpflichtungen obliegen. Unsere Fraktion sagt jedoch mit aller Entschiedenheit: Ehe der Staat einen Pfennig für eine Remilitarisierung Deutschlands bewilligt, müssen die Gelder für eine ausreichende Versorgung der Kriegsversehrten und deren Hinterbliebenen aus beiden Weltkriegen — 1914 und 1939 — bereitliegen.
Die Zentrumsfraktion freut sich von Herzen mit den Kriegsversehrten und deren Hinterbliebenen über die kommende Behebung ihrer Notlage. Unsere Kriegsversehrten werden freudiger in die Zukunft schauen können, da sie neben der Behebung ihrer materiellen Not nun auch wieder in etwa an den Kulturgütern der Menschheit teilnehmen können. Das Hohe Haus bitte ich namens meiner Fraktion, bei den Beratungen so wohlwollend und großzügig wie nur möglich zu sein. Wenn wir uns einer Gruppe von Menschen gegenüber höchst verantwortlich und dankbar erweisen müssen, dann ist es die, welche selbst mit der größten Geldsumme nicht abgefunden werden kann; es sind die Menschen, die ihre Gesundheit für das Gesamtvolk geopfert haben und ihr ganzes Leben hindurch körperlich und geistig schwer zu ringen haben. Lassen Sie uns dies, meine Damen und Herren, bei den kommenden Beratungen des Kriegsversehrtengesetzes nicht vergessen!