Rede von: Unbekanntinfo_outline
abzusetzen die Punkte 2, 3a und b, 4, statt dessen die Punkte 5a und b zu beraten und dann hinzuzufügen, wie das in der gestrigen Sitzung des Ältestenrates beschlossen war, die erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges — Drucksache Nr. 1333 —. — Ich höre keinen Widerspruch gegen meinen Vorschlag; ich darf also die Zustimmung des Hauses dazu feststellen.
Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein. Punkt 1:
Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Schmid , Frau Meyer-Laule, Frau Schanzenbach, Dr. Veit, Maier (Freiburg), Herbig, Matzner und Fraktion der SPD betreffend Ausführungen des Wirtschaftsministers des Landes Baden (Nr. 1204 der Drucksachen).
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Dr. Schmid.
Dr. Schmid (SPD), Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Nr. 170 der „Neuen Zeitung", der Nummer vom 20. Juli 1950, stand geschrieben, daß der Herr Wirtschaftsminister des Landes Baden, Herr Dr. Lais, auf einer Kundgebung in Konstanz unter anderem gesagt habe, „daß im kommenden Europa die natürliche Wirtschaftseinheit des Oberrheintales nicht durch Vorwegnahme des Südweststaates zerrissen werden solle. Baden und das Elsaß seien dezentralisierte Länder, dagegen sei Württemberg zentralistisch organisiert. In einem vereinten Europa werde es daher für das wiederhergestellte Baden natürlicher sein, sich nach Westen als nach Osten zu orientieren. Eine solche Entwicklung werde, wenn sie sich im Rahmen der Europa-Union halte, nationale Bedenken gegenstandslos machen, um so mehr als sich in Frankreich eine völlige Wandlung gegenüber Deutschland angebahnt habe."
Im Badischen Landtag hat dieserhalb, wie man in der Presse lesen konnte, vor einigen Tagen eine Debatte stattgefunden. In dieser Debatte wurde aus dem Manuskript des Herrn badischen Wirtschaftsministers vorgelesen, aus dem Manuskript, nach dem er gesprochen hat. Man sagt, daß Herr Dr. Lais ein Mann sei, der sich in seinen Reden im allgemeinen streng an sein Manuskript halte. So können wir annehmen, daß dieses Manuskript Beweiskraft hat. Nach diesem Manuskript hat er nicht ganz so gesprochen, wie es in der „Neuen Zeitung" berichtet worden ist; er hat — nach
diesem Manuskript — in Konstanz gesagt — ich zitiere nach einer badischen Zeitung, die über die Landtagssitzung berichtete —:
Ich möchte daher die Frage stellen, ob es nicht natürlicher wäre, unsere badische Wirtschaft mit der des elsässischen Stromlandes zu verklammern statt mit der Württembergs.
Die anderen in der „Neuen Zeitung" berichteten Äußerungen werden offenbar nicht bestritten. Es mag aber sein, daß die „Neue Zeitung" auch hier nicht ganz vollständig und richtig berichtet hat. Ich lasse es dahingestellt.
Diese Äußerungen des Herrn badischen Wirtschaftsministers werfen eine Reihe von Problemen auf, zu denen meines Erachtens der Bundestag sein Wort zu sagen hat. Wenn er sein Wort dazu nicht sagte, meine Damen und Herren, so würde er, glaube ich, gegen seine Pflichten verstoßen. Vielleicht mag es in diesem Hause einige Damen und Herren geben, die glauben — es ist mir gestern gesagt worden —, es heiße die Bedeutung einer öffentlichen Rede eines badischen Ministers im Südweststaat-Abstimmungskampf überschätzen, wenn man den Bundestag expreß damit beschäftige. Ich bin nicht dieser Meinung. In Anbetracht des Umstandes, daß es ganz offenbar auch heute noch Politiker gibt — zumindest aber gab es sie noch gestern —, die glauben, es gelte — wie sie sagen, um der Sicherheit der Anrainer Deutschlands willen und um der Förderung unserer Demokratisierung willen —, den inneren Zusammenhang dieses Landes nach den Grenzen hin zu lockern, in Anbetracht dieses Umstandes, sage ich, wird auch die Rede des Herrn badischen Wirtschaftsministers zum politischen Stoff und, wie ich glaube, zu einem Stoff auf bundespolitischer Ebene. Denn es mag Leute geben, die sich vornehmen könnten, daraus einmal dieses oder jenes Argument gegen den Grad des inneren Zusammenhangs der Bundesrepublik abzuleiten, und es mag umgekehrt im Osten Leute geben, die der Bundesrepublik den Vorwurf machen könnten, sie fördere ihrerseits Zustände, wie sie der Herr badische Wirtschaftsminister offenbar für wünschbar hält. Der Satz: „Qui tacet, consentire videtur" — „Wer schweigt, gibt sich zumindest den Anschein, zuzustimmen" — dieser Satz zwingt uns, hier zu sprechen.
Über den Geschmack einer solchen Äußerung soll hier nicht gesprochen werden. Nur nebenher möchte ich die mehr rhetorische Frage stellen: was wäre wohl dem Präfekten in Straßburg geschehen, wenn er — etwa in Kolmar — auf einer öffentlichen Kundgebung gesagt hätte, die Wirtschaft des Elsaß sollte in einem künftigen Europa eher nach Westdeutschland als nach Inner-Frankreich hin orientiert — „verklammert" heißt der Ausdruck, den der Herr badische Wirtschaftsminister gebraucht hat — werden?
Nun ist es sicher: ein deutscher Länderminister ist etwas anderes als ein französischer Präfekt; aber ich glaube nun einmal, daß man die deutschen Libertäten nicht überstrapazieren sollte. Es könnte sonst sein, daß einem ein scharfes Wort Conrad Ferdinand Meyers
über die deutsche Libertät einfallen könnte, vielleicht einfallen müßte.
Es geht hier also nicht um Geschmacksfragen; es geht um etwas anderes: ein Landesminister hat öffentlich erklärt, daß in einem geeinten Europa
die Wirtschaft eines Teils des Bundesgebietes — denn das ist das Land Baden doch — nicht nach dem Bundesgebiet hin, sondern nach dem unmittelbar benachbarten Ausland hin orientiert — mit ihm „verklammert" — werden solle. Damit hat er nicht nur den Anspruch erhoben, daß das Land Baden künftig einen wesentlichen Teil der Außenwirtschaftspolitik des Bundes zu bestimmen habe — eine deutsche Bundeswirtschaftspolitik wird es ja auch in einem geeinten Europa noch geben müssen —, sondern er hat auch einen Zustand für wünschenswert erklärt — den die Wiederherstellung Altbadens ermöglichen solle —, einen Zustand, der dadurch charakterisiert sein soll, daß die Wirtschaft Badens, also die Wirtschaft des südwestlichsten Teils der Bundesrepublik, dem benachbarten deutschen Bundesgebiet den Rücken kehren und sich mit französischem Staatsgebiet wirtschaftlich verklammern solle.
Ich weiß nicht, ob dem Herrn badischen Wirtschaftsminister unter dem Bild der „Verklammerung" so etwas vorgeschwebt hat wie die Verklammerung der saarländischen Wirtschaft mit Frankreich. Vielleicht ist das nicht der Fall, wahrscheinlich nicht! Ich möchte aber hier doch feststellen, daß bei der politischen Dynamik solcher wirtschaftlicher Verklammerungen politische Konsequenzen unausweichlich sein müßten, wenn die Gedankenspiele des Dr. Lais in die Wirklichkeit umgesetzt werden sollten — und zwar, um es geradeheraus zu sagen: politische Konsequenzen separatorischer Art.
Denn es ist ja nicht nur von einer wünschbaren Verklammerung mit dem Westen zu sprechen, sondern man hat — nicht dem Wort, aber dem Sinne nach — auch von einem Wegwenden Badens von Württemberg gesprochen.
Wir wollen aber auch in einem geeinten Europa ein geeintes Deutschland bleiben.
Ich meine: Wer den Namen Europas zur Rechtfertigung solcher Ausklammerungs- und Verklammerungswünsche mißbraucht, der kränkt nicht nur die Idee Europa, sondern erschwert die Realisierung des Europa, das wir alle wünschen.
Ich weiß nicht, ob in der Rede des Herrn badischen Wirtschaftsministers Vorstellungen lebendig geworden sind, wie sie mir ein hoher Beamter des Landes Baden im Jahre 1945 entwickelt hat, daß nämlich Baden durch die Ereignisse des Jahres 1945 staatsrechtlich und völkerrechtlich wieder in den Stand des Jahres 1869 eingesetzt worden sei. Ich weiß es nicht. Aber so oder so: die Bundesregierung wird sich zu diesen Dingen äußern müssen!
Man hat mir gesagt, daß der Herr badische Wirtschaftsminister, den ich persönlich nicht kenne, ein guter deutscher Patriot sei.
Ich will es glauben. Um so bezeichnender aber ist
dann dieser Vorgang; denn er zeigt, wohin man
kommt, wenn man die Ebene verantwortlicher gesamtpolitischer Überlegungen verläßt und den Gedanken durch Kirchturmsängste und den Tonfallschwindel falschen Heimatbardentums trüben läßt.
Ein weiteres Problem wird durch die Rede des Herrn badischen Wirtschaftsministers aufgeworfen, nämlich das Problem: Bundesländer und Außenpolitik! Art. 32 des Grundgesetzes lautet:
Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes.
Vor dem Abschlusse eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, ist das Land rechtzeitig zu hören.
Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen.
Daraus folgt: der Bund ist Herr der Beziehungen zu auswärtigen Staaten, und zwar nicht nur im Sinne formaler Zuständigkeiten, sondern auch materiell. Das bedeutet: Es gibt nur eine Außenpolitik des B u n des, und es gibt keine Außenpolitik der Länder!
Das bedeutet weiter: außenpolitische Erwägungen verantwortlicher deutscher Politiker können sich nur auf das Verhältnis des Bundes zum Ausland beziehen und nicht auf das Verhältnis von Bundesländern zum Ausland. Auch wenn sich die in Frage stehenden Interessen auf dem Gebiet eines Bundeslandes konzentrieren, handelt es sich immer um Interessen der ganzen Bundesrepublik, und das gilt für alle Sachgebiete. Daran sollte man sich halten.
Nun bestimmt Abs. 3 des Art. 32 — ich habe auch diesen Absatz verlesen —, daß die Länder, soweit sie für die Gesetzgebung zuständig sind, mit Zustimmung der Bundesregierung Verträge mit auswärtigen Staaten abschließen können.
Diese Verträge können sie natürlich — das ergibt sich schon aus der einschränkenden Klausel von der notwendigen Zustimmung der Bundesrepublik — nur im Rahmen der Bundespolitik abschließen. Solche Verträge und ihre Vorbereitung sind aber nicht Gegenstand einer Außenpolitik der Länder. Verhandlungen über solche Verträge können niemals Ausfluß sogenannten eigenständigen politischen — außenpolitischen — Wollens von Länderregierungen sein, und sie können insbesondere niemals die Frage des Zusammenhalts der deutschen Länder betreffen. Diese Verträge werden technische Verträge sein; es werden Verträge sein, die man als Verwaltungsabkommen zu bezeichnen pflegt, und ähnliches. Es können aber niemals Abkommen sein, welche die Struktur Deutschlands betreffen oder die Politik seiner Regierung. Letzten Endes handelt es sich auch bei den Verträgen des Abs. 3 um eine Art von dezentralisierter Betätigung von Bundespolitik, bei der der Bund die Länder handeln läßt, wo das zu regelnde Interesse sich ausschließlich auf dem Gebiete eines Bundeslandes lokalisieren läßt. Auch hier möchten wir die Frage stellen, ob die Bundesregierung dieser Auffassung ist oder ob sie eine andere Auffassung hat.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein Wort zu der so beliebten Brückentheorie sprechen. Es wird im Südwesten Deutschlands gelegentlich davon gesprochen, daß Baden die Mission habe, die Brücke zwischen Deutschland und Frankreich zu schlagen.
Nun, meine Damen und Herren, wieso braucht man
denn „Brücken", wenn zwei Völker sich bemühen,
zueinander in ein männlich anständiges Verhältnis
zu kommen? Sagen denn die Belgier etwa, sie brauchten die Flamen, um zu den Niederlanden in ein gutes Verhältnis zu kommen, oder die Wallonen, um eine Brücke zu den Franzosen zu schlagen? Dafür könnte man wenigstens linguistische Gründe ins Feld führen. Es ist doch so: das Sympathieverhältnis zweier Völker kann wirksam nur in zwiefacher Weise vorgestellt werden: so, daß das Verhältnis so eng wird, daß beide Länder sich zu einer höheren Einheit verschmelzen und sich in der höheren Einheit aufheben. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere ist der offene und vorbehaltlose Verkehr von Land zu Land, von Volk zu Volk, aber immer der vorbehaltlose Verkehr des Ganzen mit dem Ganzen.
Wenn man von angeblich notwendigen Brücken spricht, postuliert man letzten Endes — wohl ohne es zu wollen, vielleicht auch, ohne es zu wissen — das Fortbestehen des Grabens zwischen den Ländern. Wozu soll eine Brücke nötig sein?
Wir möchten aber, daß kein Graben sei, und darum fordern wir, daß man dieses Bild von der Brücke endlich in die Wolfsschlucht werfe, wohin es längst gehört! Man glaube doch nicht, daß es einer badischen Sonderpolitik bedürfe, um das deutsche Volk und das französische Volk endlich dazu zu bringen, ihren Weg in die Zukunft, wenn nicht jetzt schon Hand in Hand, so doch wenigstens heute schon Seit an Seit zu gehen. Man hat manchmal den Eindruck, als ob die Brückentheorie in erster Linie um der moralischen Rechtfertigung gewisser Partikularismen willen erfunden worden sei.
— Welche Überschätzung, Herr Kollege, der Sie eben so freundlich lachten! —Ich glaube, Sie waren es, Herr Baumgartner. Hören Sie gut zu! — Welche Überschätzung des Mikrokosmischen im Leben der Völker
und welche Unterschätzung der einfachen und klaren Tatbestände der Geschichte, die immer al fresco malt und nicht altmeisterlich pinselt, Herr Kollege Baumgartner!
— Entschuldigen Sie, es war das freundliche Lachen Ihres Parteivorsitzenden, das mich veranlaßt hat, mit Vorzug nach Ihrer Seite zu sprechen.
Mit dieser Vorstellung notwendiger Brücken beseitigt man den Hader nicht, sondern man verewigt ihn. Es führt uns dazu, seine Ursachen zu unterschätzen und das, was in den Schicksalsbereich der Politik gehört, in die Gemütlichkeit der Folklore und der Trachtenfeste zu verschieben.
Es gibt noch ein drittes Problem, das durch die Konstanzer Rede aufgeworfen worden ist, nämlich das Problem der Bewegung der Politik auf Europa hin und die Rolle der deutschen Bundesländer dabei. Anläßlich der Debatte über die Zusammensetzung der deutschen Delegation nach Straßburg war schon der Anspruch erhoben worden, die Länder der Bundesrepublik über den Bundesrat im Europarat vertreten zu lassen. Erfreulicherweise hat die überwiegende Mehrheit dieses Hauses in richtiger Erkenntnis des Umstandes, daß in einem Bundesstaat die Aktivität der Länder an den Grenzen des Bundes haltzumachen habe, dieser Forderung nicht stattgegeben. Aber immer wieder hört man im Zusammenhang mit Betrachtungen über den besten Weg, nach Europa zu kommen, Erwägungen etwa folgender Art: Europäisches Denken verlange, daß die Bundesländer auch eine europäische Aktivität nach außen entfalten dürfen oder daß, wenn man Europa wolle, die Eigenstaatlichkeit der Länder zu verstärken sei. Ich hatte immer gedacht: umgekehrt wäre logisch. Wenn wir schon dieses ganze Deutschland in einen höheren Verband einführen wollen, wäre es doch folgerichtig, auch innerhalb Deutschlands dem Zuge zum größeren Verband stattzugeben.
Statt dessen glaubt man, das Richtige sei die Rückentwicklung zum Biedermeier.
Vor einer Woche etwa hat man im Landtag zu Bebenhausen, dem Landtage des Landes Württemberg-Hohenzollern, über eine hohenzollernsche Verwaltungsautonomie debattiert. Und dort wurde von einem hohenzollerischen Abgeordneten — übrigens einem nach Hohenzollern emigrierten Württemberger —
die These vertreten, im Zeichen des werdenden Europa sei es unumgänglich notwendig, den 65 000 Bewohnern der hohenzollernschen Lande eine eigene Selbstverwaltung einzuräumen. Die Schwaben sind großzügiger, als ihr Ruf es will. Sie haben diese Sonderstellung gewährt,
und sie haben es gern getan — allerdings nicht so sehr im Hinblick auf die „europäische Notwendigkeit" dieser Regelung, als vielmehr deshalb, weil sie es für eine ganz vernünftige Sache halten, wenn Leute der Meinung sind, im Tal der Killer und im Tal der Lauter lebe man eben noch ein bißchen anders als im Neckartal, und dem solle verwaltungsrechtlich Ausdruck gegeben werden.
— Die Preußen hätten das nicht getan? Vielleicht doch! Auch sie sind oft besser als ihr Ruf gewesen.
Es ist eine merkwürdige Sache: für viele Leute ist Föderalismus, wenn sie an das Einbringen Deutschlands in einen höheren Verband denken, etwas Assoziatives, wenn sie aber an Deutschland selber denken, etwas Dissoziatives. Ich muß gestehen, daß mir das nicht recht in den Kopf hinein will: Europa und die Organisation der Bundesrepublik haben miteinander nichts zu tun, das verfassungsmäßige Verhältnis zwischen Bund und Ländern auch nicht. Deutschland wird nach Europa gehen so, wie es ist, d. h. mit der Verfassung, die es hat — wenn Europa heute geschaffen werden sollte, mit der Verfassung des Grundgesetzes, morgen, nach der Herstellung der deutschen Einheit, aber mit seiner endgültigen Verfassung!
Und nun zum Schluß! Wir haben einen Bundesstaat. An diesem Bundesstaat ist vieles provisorisch, u. a. auch die Existenz und Größe mancher Länder, von denen ein Teil ja erst nach 1945
— wahrscheinlich ohne besondere politische und sonstige Überlegungen — geschaffen worden ist. Es gibt darum in Deutschland noch ein Gliederungsproblem, ein Problem des Inhalts: wie ist das Gebiet der Bundesrepublik unter Beachtung von Größe und Gestalt der Länder föderativ zu glie-
dern? Dabei haben wir alle Erwägungen darüber auszuschließen, ob die von den Deutschen für richtig und notwendig gehaltene Lösung den Vorstellungen einer Besatzungsmacht von der besten Organisation Deutschlands entspricht oder nicht.
Die beste Gliederung unserer Länder ist kein Problem der Bestätigung der Auffassungen ausländischer Politiker von der den Interessen ihres Landes bekömmlichsten Aufgliederung des deutschen Bundesstaats;
sie ist ausschließlich ein Problem deutscher Zweckmäßigkeiten.
Das ist das eine, was hierbei zu beachten ist.
Das andere ist folgendes. Föderalistischer Aufbau setzt — wenn ein funktionsfähiges Staatsgebilde geschaffen werden soll — ausgewogene Länder voraus. Wo die Länder sich zu sehr quantitativ unterscheiden, hat man fast immer den Fall, daß das stärkste Land und das schwächste Land den „Länderwillen" im Bundesrat bestimmen. „Mittlere" Länder werden dabei in den Hintergrund gedrängt. Nun sind aber, wie ich glaube, Baden und Württemberg gegenüber Bayern und Nordrhein-Westfalen zu klein und zu arm, anderen Bundesländern gegenüber aber nicht arm genug, um eine wirklich bestimmende Rolle spielen zu können.
Soll der Bund vernünftig gegliedert werden, dann müssen wir das Gebiet dieser beiden Länder zusammenlegen — nicht zum Vorteil der Bewohner dieses Teiles Deutschlands allein, sondern zum Vorteil der gesamten Bundesrepublik, die eine vernünftige Gliederung braucht.
Nun, das wird durch die Abstimmung der Bevölkerung in Baden und Württemberg am 24. September entschieden werden. Wir hoffen, daß dabei die Vernunft siegen wird. Auf jeden Fall aber ist es Sache der betroffenen Bevölkerung, die Entscheidung zu treffen.
Sie hat zu bestimmen.
Aber wir möchten es uns verbitten, daß man jetzt, im Abstimmungskampf, von „Verrat" spricht, wenn einer in Baden die Bestrebungen zur Bildung eines Südwestsstaates fördert; daß man den Württembergern „Raubgelüste" vorwirft
und damit die Luft im Südwesten vergiftet; daß man vom Überschreiten des Rubico spricht,
wenn der südwürttembergische Staatspräsident in Freiburg spricht. Ich weiß nicht, ob der Rubico, der da beschworen worden ist, wirklich die Entenpfütze ist, die der Karikaturist der „Stuttgarter Zeitung" gezeichnet hat. Aber wenn man schon die Erinnerung an einen der dramatischsten Augenblicke des klassischen Altertums heraufruft, sollte man dies nicht übersehen: Als Cäsar sich entschloß, den Rubico zu überschreiten, entschloß er sich, den Bürgerkrieg zu beginnen ... Ich glaube nicht, daß der Schreiber des Briefes, in dem die
Überschreitung des Rubico beschworen wurde, den Bürgerkrieg aufnehmen will. Herr Dr. Zürcher wird keine Flinte in die Hand nehmen, um gen Württemberg zu Felde zu ziehen, auch keine Armbrust, vielleicht eine Schleuder, aber sonst sicher nichts ...
Man sollte mit solchen Redensarten vorsichtig sein und die Kirche im Dorf lassen. Wenn sich Deutsche miteinander über die beste Art, Deutschland zu organisieren, unterhalten oder darum streiten, sollte alles Notwendige auch ohne Reminiszenzen aus Bürgerkriegszeiten gesagt werden können.
Was nun den Anlaß zu dieser Interpellation betrifft, so finden wir es nicht gut, daß der Minister eines deutschen Bundeslandes seinen Landsleuten die Verklammerung der Wirtschaft Badens mit der Wirtschaft Westfrankreichs als eine Lösung anpreist, die gegenüber dem Südweststaat, also gegenüber einer Verstärkung des Einflusses des deutschen Südwestens in der Bundesrepublik, den Vorzug verdiene. Wir meinen, daß die Bundesregierung dazu ein Wort sagen sollte, und wir erwarten, daß sie, wenn sie unsere Meinung teilen sollte, unmißverständlich alle jene, die es angeht, das Notwendige wissen läßt, und zwar alles Notwendige. Es geht hier nicht um lokale Dinge, sondern um ein gesamtdeutsches Anliegen.