Rede von
Grete
Thiele
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Herren und Damen! Vor mir liegt ein Schreiben des Verbandes der deutschen Studentenschaften. Dieses Schreiben zeigt die ganze Not auf, die innerhalb der westdeutschen Jugend besteht.
Die westdeutsche Studentenschaft schreibt an unsere Fraktion, daß im letzten Wintersemester 13 % aller Studenten sich nicht regelmäßig ein warmes Mittagessen haben leisten können. Wenn die Not hier schon so groß ist und die Studenten uns bitten – sie werden das Schreiben wahrscheinlich auch an einige andere Fraktionen gerichtet haben —, uns für die Sache einzusetzen, ist es mit einem Milchprogramm allein nicht getan. Die Schulspeisung muß vielmehr so gestaltet werden, daß den Studenten auch die Möglichkeit gegeben wird, ein warmes Mittagessen zu erhalten.
Aber wenn dort die Not schon so groß ist, wieviel mehr noch in den Schichten und Kreisen, deren Einkommen 100 oder 120 Mark im Monat nicht übersteigt. Wenn Sie berücksichtigen, daß der Gesundheitszustand unserer Kinder, unserer Kriegsgeneration, sehr schlecht, die Tuberkulosegefahr so ungeheuer groß ist und an die Tatsache denken, daß in einer ganzen Reihe von Fällen die Kinder heute noch, fünf Jahre nach Beendigung des Krieges, in Bunkern wohnen, ohne Licht und ohne Luft — ich kann Ihnen aus meiner Heimatstadt sagen, daß es dort Familien gibt, die seit fünf Jahren mit den Kindern in den Bunkerzellen leben —, dann müssen Sie zu der Auffassung gelangen, daß man tatsächlich alles tun muß, um hier nicht nur die unmittelbare Not zu lindern, sondern auch den Gesundheitszustand dieser Kinder wirklich zu bessern.
Darum sind wir der Auffassung, daß es nicht genügt, nur die Kinder von Fürsorgeempfängern mit einer kostenlosen Schulspeisung zu bedenken; denn dann ist es nichts anderes als eine Bettelgeschichte. Man muß die kostenlose Schulspeisung vielmehr auf alle jene Kinder ausdehnen, bei denen das Einkommen der Angehörigen 300 Mark nicht übersteigt. Wir sind der Auffassung, daß es dringend notwendig ist, daß der Bund diese Mittel bereitstellt und daß er sie nicht auf die Länder abwälzt. Auch die Behandlung in einigen Ländern, die die kostenlose Schulspeisung wohl deklarieren, aber die Sache dann so handhaben, daß man freiwillig zahlen soll, lehnen wir ab. Das bedeutet eine Klassifizierung innerhalb der Kinder, und das sollte man nicht machen. Nach unserer Auffassung ist die Erklärung des Ministers darüber, welche Hilfe der Bund bereitstellen will, vollkommen ungenügend. Wir sind, wie ich bereits gesagt habe, der Meinung — die wir auch als Antrag, den wir noch einreichen wollen, hier bekanntgeben —, daß die kostenlose Schulspeisung auf die Kinder ausgedehnt werden muß, deren Eltern nicht mehr als 300 Mark im Monat haben. Wir sind der Auffassung, daß man weiterhin überprüfen muß, ob die Schulspeisung den Bedürfnissen entspricht, die wir hinsichtlich der Wiederherstellung des Gesundheitszustandes unserer Kinder, die durch den Krieg, die Nachkriegsfolgen und das Wohnungselend so gelitten haben, zu stellen haben.