Rede von
Dr.
Hermann
Schäfer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich noch einige Mitteilungen zu machen.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 26. Juli 1950 gemäß der in der 66. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 1950 gefaßten Entschließung über die Maßnahmen zur verstärkten Bekämpfung des Schmuggels berichtet und die Auffassung der Bundesregierung über die Einbringung von Gesetzentwürfen zur Senkung der Tabak-, Kaffee- und Teesteuer dargelegt. Das Schreiben wird als Drucksache Nr. 1252 vervielfältigt.
Für die erste Woche nach der Sommerunterbrechung hat der Altestenrat die folgenden 'Termine festgelegt: Dienstag, den 29. August 1950, 15 Uhr: Altestenrat zur Festlegung der Tagesordnungen; Mittwoch, den 30. August 1950, nachmittags: Fraktionssitzungen; Donnerstag, den 31. August 1950, 14.30 Uhr: 82. Sitzung des Deutschen Bundestages; Freitag, den 1. September 1950, 9.30 Uhr: 83. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Die heutige Tagesordnung wird ergänzt durch die übliche Ubersicht über die Antrage des Ausschusses für Petitionen nach dem Stand vom 23. Juli 1950, Drucksache Nr. 1251; sie bedarf lediglich der Zustimmung des Hauses.
Dann haben wir noch eine Ergänzungswahl zu der Bestellung der Delegation für den Europarat vorzunehmen. Es war die Wahl eines Stellvertreters zurückgestellt worden. Auf Grund der interfraktionellen Vereinbarung ist als stellvertretendes Mitglied der Delegation der Herr Abgeordnete Dr. Reif vorgeschlagen. Ich bitte diejenigen, die mit dieser Nachwahl einverstanden sind, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe nun auf Punkt 1 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Entlassung des Bundeswirtschaftsministers Dr. Erhard .
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Schmid.
Dr. Schmid (SPD), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Vor einigen Tagen sagte mir ein Kollege, der einer anderen Fraktion angehört, in bezug auf den Antrag, den zu begründen ich die Ehre habe: „Warum wollt ihr denn mit Kanonen nach Spatzen schießen?".
Nun, lassen wir es auf sich beruhen, ob es sich bei dem Objekt dieser Anfrage um einen Spatzen handelt!
Aber ich habe meinem Freunde — er sitzt mehr in dieser Richtung — damals gesagt: „Wenn Sie Interventionen dieser Art für einen Beschuß mit Bomben und Granaten halten, welche Waffen gedenken Sie dann ins Feld zu führen, wenn es sich einmal — nach Ihrer Auffassung — um etwas anderes als um ein Spatzenschießen handeln sollte?" Meine Damen und Herren, hier wird nicht mit Kanonen nach Spatzen geschossen; es werden hier nicht Proportionen verschoben, sondern hier wird ein Mittel in Vorschlag gebracht, das genau adäquat der Sache ist, die es heute zu bereinigen gilt.
Es gibt da etwas, was bereinigt werden muß,
eine Sache, die nicht anders in Ehren bereinigt werden kann als im Sinne des Antrages, für den ich spreche.
— Da scheinen sich einige der Kollegen im Krähen geübt zu haben.
Ein anderer Kollege sagte mir: „Wollt ihr denn schon wieder eine wirtschaftspolitische Debatte auslösen?" Ich habe ihm geantwortet: „Nein, unser Antrag hat nicht den Zweck, die Qualitäten des Herrn Wirtschaftsministers einer neuen Erörterung zu unterwerfen; es soll keine wirtschaftspolitische Debatte ausgelöst werden". Ja, meine Herren — nun krähen Sie wieder; tun Sie es getrost, wenn Sie Lust haben! —, dieser Antrag hat auch nichts damit zu tun, ein bestimmtes parteipolitisches Anliegen zur Geltung zu bringen.
Es geht dabei um etwas anderes: es geht um dieses Parlament!
Dazu will ich sprechen, und ich hoffe, das so zu tun, daß man auf allen Bänken dieses Hauses wenigstens fühlen kann: nostra res agitur.
— Herr Abgeordneter Aumer, ich habe Sie schon witziger gehört. Sie bleiben wirklich unterhalb Ihrer Talente. —
Es geht darum, daß dieses Haus bei der Aussprache über diesen Antrag und bei der Abstimmung über ihn einmal zeigen kann, wie es sich selber einschätzt, welchen Begriff es von seinen Funktionen hat und wo es seinen politischen Ort im Koordinatensystem der Verfassung der Bundesrepublik sieht.
Es geht darum, ob dieses Haus glaubt, jemand auf der Regierungsbank dulden zu können, der Entscheidungen der großen Mehrheit dieses Parlaments — dem diese Regierung ja schließlich verantwortlich ist! — öffentlich als Ausflüsse der Hysterie bezeichnet hat.
Am 17. Juli dieses Jahres hat der Herr Bundesminister Professor Dr. Erhard in München — in Ihrer Heimatstadt, Herr Abgeordneter Aumer — zu dem Beschluß des Bundestages vom 14. Juli, der die Regierung ersuchte, den Brotpreis wie bisher weiter zu stützen, erklärt: „Hier waren wieder einmal" — ich wiederhole: „wieder einmal"! — „Hysteriker als Wirtschaftspolitiker am Werk."
Meine Damen und Herren! Das ist öffentlich gesagt worden, und das ist vor einem internationalen Gremium gesagt worden,
nämlich vor der Deutsch-Belgisch-Luxemburgischen Handelskammer.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat also dieser seiner Meinung von diesem Parlament — auch v in Ihnen, Herr Abgeordneter Aumer — eine internationale Publizität gegeben und so dieses Haus der
Weltöffentlichkeit als Halbnarren, zum mindesten aber als eine Versammlung von Psychopathen charakterisiert.
— Halten Sie eine solche Ansprache für normal, wenn es sich um Ihre Person handelt, Herr Dr. Preusker?
— Nein, aber andere in diesem Hause sollten damit getroffen werden.
— Jeder schätzt sich so ein, wie er sich bewertet.
Meine Damen und Herren! Man spricht viel von der Parlamentskrise in Deutschland. In diesem Lande mag der einzelne Parlamentarier Achtung genießen; das Parlament als Ganzes genießt sehr wenig Achtung. „Wer soll das bezahlen!", das ist alles, was die Existenz dieses Parlaments in den Gemütern der Wanderer auszulösen scheint, die hier vorüberziehen.
In anderen Ländern ist es umgekehrt.
Ich will Ihnen sagen, wen die Schuld trifft. In diesen Ländern mag der einzelne Parlamentarier sehr wenig Ansehen genießen, das Volk aber ehrt sein Parlament, steht zu ihm und ist stolz darauf, es zu haben.
Warum ist das so?
Gewisse Parlamente haben sich diese Achtung verdient, nicht durch fleißige Ausschußarbeit, — —
— Ach, Herr Kollege Matthes, wenn Sie da oben als Schriftführer neben mir sitzen, sind Sie viel netter! —
Gewisse Parlamente haben sich diese Achtung verdient, nicht so sehr durch fleißige Ausschußarbeit
als dadurch, daß sie dem Volk je und je als Ausdruck demokratischer Selbstachtung erschienen sind,
oder dadurch, daß sie durch ihr Verhalten dem Volke je und je glaubhaft machen, daß es im Parlament einen Verteidiger hat, wenn es um Dinge geht, die ihm teuer sind. Verteidiger gegen wen? Nun, die Zeiten sind vorbei, in denen man in Ländern mit Parlamenten eine Verteidigung gegen Despotie und Dunkelmänner brauchte. Wo es das gibt, gibt es ja keine Parlamente mehr. Aber auch hier und jetzt kann das Parlament das Volk verteidigen gegen die Gewaltigen dieser Welt, wenn es darum geht, gegen sie Positionen zu verteidigen, die auch dieses Volk noch hält. Vor allem aber, meine Damen und Herren, will das Volk vom Parlament, daß dieses es verteidigt gegen „den Übermut der Ämter",
dagegen, daß in den elementaren Bereichen das Los des Volkes zum Gegenstand von Berechnungen der Bürokraten und der Tabellen der Fachleute gemacht wird, daß man es gegen eine Welt verteidigt, in der das Wort — es fiel gestern leider Gottes auch hier —„Menschenmaterial" einen Sinn hätte. Wenn ein Volk sagen kann: Gegen solches verteidigt uns das Parlament, dann wird dieses Parlament ihm ans Herz wachsen. Denn es will sein Parlament ja nicht
sehen als ein Gremium von „Fachleuten", als eine Art diskutierender Ersatzbürokratie, nicht als ein Kollegium von Technokraten, sondern als eine Einrichtung, bei der es auch — und ich möchte sagen: vordringlich — auf das Herz ankommt.
Nicht der tüchtige Fachmann Carnot ist es gewesen, sondern der Nichtfachmann Danton, der den Franzosen ihr Parlament liebgemacht hat. Freilich: die Entscheidungen, bei denen das Herz im Spiel ist, sind nicht gemacht, um die Fachleute zu erfreuen; das Herz stört immer, wenn man nur Tabellen zur Hand hat. Aber es ist nun einmal nicht die Aufgabe der Herren Technokraten — auch dann nicht, wenn sie Minister sind —, in einer Demokratie die Ziele zu setzen und die Impulse zu bestimmen, sondern es ist ihre Aufgabe, das was aus den Zielsetzungen des Parlaments und aus den Impulsen, die dort lebendig werden, folgt, technisch auszugestalten und zu realisieren. Können sie es nicht, dann sollen sie anderen, die sich mehr zutrauen, Platz machen.
In dem konkreten Fall, um den es sich hier handelt, ging es um den Brotpreis. Und das macht diesen Fall so gravierend. Der Brotpreis ist doch zu allen Zeiten etwas Besonderes gewesen, Herr Kollege Hammer, jenseits aller Teufelei und aller Dämonologie. Das Fleisch mag teurer werden — das empfindet jeder als bedauerlich und als eine ungute Sache; es rührt aber nicht die Tiefenschichten in den Seelen der armen Leute auf. Zu allen Zeiten jedoch ist der Ruf „Das Brot wird verteuert" ein Sturmglockenzeichen gewesen.
Dieser Ruf hatte je und je und hat auch in dieser Zeit ein biblisches Pathos.
— Sehen Sie das anders?
Es ist sehr gut, daß Sie öffentlich bekunden, daß Sie hier anders empfinden.
Die Regierung hatte versprochen, es werde keine Verteuerung des Brotes und keine Verschlechterung des Brotes geben. Anderntags kam aber schon die Verteuerung, kam die Verschlechterung; zum mindesten drohten sie zu kommen. Da begriff das Parlament, was das Volk von ihm erwartete. Es rief am 14. Juli — und viele hier auf dieser Seite haben da mutig mitgerufen — den Fachleuten zu: „Halt, eure Tabellen in Ehren — aber das Brot ist ein besonderes Ding, das darf nicht verteuert werden;
die Regierung muß die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Brotpreises weiterlaufen lassen, und ihr da oben seid dazu da, die Mittel hierzu ausfindig zu machen!
Meine Damen und Herren, wer in diesen Tagen draußen dem Volk aufs Maul geschaut hat, der weiß, daß hier endlich einmal ein Echo gekommen ist.
Ich habe in Mannheim manches Mal von den Leuten dort gehört: Es hat d o c h einen Sinn, daß wir ein Parlament in Bonn haben. Es war fast so wie damals, als der Müller von Sanssouci sagte: Es gibt noch ein Kammergericht in Berlin! Die Leute sagten: Es gibt noch ein Parlament zu Bonn! Zum ersten Mal habe ich damals das Wort gehört: Unser Bundestag.
Und nun geht der Herr Bundeswirtschaftsminister hin und erklärt: „Da waren Hysteriker am Werk und keine Wirtschaftspolitiker".
Nun geht der Herr Bundeswirtschaftsminister her und denunziert urbi et orbi das Parlament als eine Art Verein von Psychopathen. Ein anderer Minister soll gesagt haben — ich weiß nicht, ob es stimmt —, der Beschluß des Bundestages sei idiotisch. Sei es drum! Wenn es wahr sein sollte, paßt es ins Bild. Vielleicht sind wir dann allerdings mehr im Gebiet der Folklore oder dessen, was man heimatliches Brauchtum zu nennen pflegt.
Meine Damen und Herren! Dieses Haus wird sich fragen müssen, ob es sich eine solche Behandlung gefallen lassen will. Es geht dabei nicht darum, ob man einem Minister die Manieren nachsehen will oder nicht; auch dann nicht, wenn dieser selbe Minister in derselben Stadt München am 16. Oktober 1948 laut den „Tagesnachrichten der Verwaltung für Wirtschaft" — es ist sein eigenes Blatt — vom 18. Oktober 1948 gegenüber anderen Gremien schon einmal mit dem Wort „Hysteriker" operiert hat. Es geht darum: Ist dieses Parlament damit einverstanden, daß Minister der Bundesregierung glauben, es sei ihres Amtes, Beschlüsse des Parlaments zu zensieren?
Mit anderen Worten: es geht darum, zu entscheiden: Wer ist wem verantwortlich, das Parlament den Ministern oder die Minister dem Parlament?
Ich meine, daß das Grnudgesetz dieser Bundesrepublik darüber einige Aussagen macht.
Wenn das Parlament einen Beschluß faßt, dann hat die Regierung diesen Beschluß auszuführen.
Tut sie es nicht und läßt dieses Parlament der Regierung dies nach, dann verrät es damit, daß es ihm an Selbstgefühl mangelt;
dann darf es sich nicht wundern, wenn das Volk es ebenso einschätzt, wie es selber sich einschätzt.
Darum war es vielleicht auch nicht glücklich, daß dieses Haus am 20. Juli, jüngst also, gegen einen Antrag gestimmt hat, durch den festgestellt werden sollte, daß die Regierung den Beschluß des Parlaments nicht ausgeführt hat.
Meine Damen und Herren, ich habe schon ein andermal gesagt: Wenn es sich darum handelt, ob ordnungsgemäß gefaßte Beschlüsse dieses Parlaments von der Regierung beachtet oder nicht beachtet werden, dann sollte sich jeder in diesem Hause — ob er hier sitzt oder ob er dort sitzt — in erster Linie als Verteidiger der Prärogativen dieses Hauses fühlen und nicht als Eideshelfer der Regierung!
Wenn ein Minister einen solchen Beschluß nicht verantworten kann, so mag das gute Gründe haben. Es mag vorkommen, und dabei braucht nicht der geringste Makel auf den Minister zu fallen. Aber dann muß er zurücktreten. Ein Nachfolger wird sich finden lassen. Aber statt den Beschluß des Bundestages auszuführen oder statt zu erklären, „Ich kann vor meinem Gewissen den Beschluß nicht ausfüh-
ren", hat der Herr Bundesminister dieses Haus beschimpft. Und das ist unerträglich!
Das dar f dieses Haus sich nicht gefallen lassen, nicht aus albernen Prestigeerwägungen heraus, sondern weil es hier gilt: principiis obsta!
— ach, Verzeihung: „Widersetze dich den Anfängen!" — und weil es sich darum handelt, meine Damen und Herren, hier eine der Tugenden der Demokratie zu üben, jene, die da heißt: Wachsamkeit!
Es scheint mir so, als ob bei einigen Herren des Ministeriums viel zuviel Neigung bestünde, dieses Haus als eine Art von eigentlich überflüssiger Erschwerung der Regierungsgeschäfte zu betrachten.
Es ist auch völlig richtig — Herr von Rechenberg, Sie werden mir zustimmen, wir sind oft einig —, es ist auch völlig richtig: es regiert sich sehr viel bequemer ohne Störungen aus diesem Hause. Denn was wollen Sie alles wissen, meine Damen und Herren! — Fast lauter Dinge, die „Sie nichts angehen" und die die Herren Minister viel besser verstehen als wir alle. Eine parlamentarische Demokratie erschwert den Betrieb der Bürokratie; aber, meine Damen und Herren, unter sehr vielen anderen Dingen heißt Demokratie auch Verzicht auf Patentlösungen, und Demokratie heißt, diese Erschwerungen — obwohl man sie als Erschwerungen kennt — wollen, weil man weiß, daß allzu bequemes Regieren etwas kostet, nämlich die Freiheit.
Es gibt dann noch eine Reihe anderer Vorfälle, die man nur dann richtig in ihrer Gesamtheit verstehen kann, wenn man davon ausgeht, daß die Regierung glaubt, dem Parlament nicht allzuviel Achtung schuldig zu sein. Da gibt es zum Beispiel einen Brief vom 10. Juli, den der Herr Bundesjustizminister an den Ausschuß für Geld und Kredit gerichtet hat:
„Auf Grund eines Beschlusses des Bundeskabinetts vom 7. Juli sehe ich mich nicht in der Lage, dem Ausschuß die in Aussicht gestellten Vorschläge zur Formulierung der Beschlüsse vom 7. Mai zu übermitteln."
Mit anderen Worten: die Bundesregierung hat beschlossen, ihren bürokratischen Apparat diesem Parlament dann nicht zur Verfügung zu stellen, wenn aus diesem Hause Initiativanträge kommen, die ihr nicht gefallen.
Dieses Haus wird hier Remedur schaffen. Wenn ihm die Regierung ihren Beamtenapparat versagt, werden wir uns selber einen schaffen müssen!
Und wir werden es tun.
Dann erinnere ich Sie nur an die höchst „rücksichtsvolle" Information dieses Hauses über wichtigste Angelegenheiten. Man wollte offensichtlich unsere Nerven schonen und hat uns die meisten Dinge erst dann mitgeteilt, wenn der Deckel auf dem Brunnen lag. Oder: Mitteilungen, die ein Ausschuß erbeten hat, werden lediglich zu Händen des Ausschußvorsitzenden gegeben mit der Auflage,
diese Auskünfte den Mitgliedern des Ausschusses nicht mitzuteilen.
Was fängt der Ausschußvorsitzende mit solchen Mitteilungen an? Er ist doch kein Schlüssellochgucker; er will doch diese Mitteilungen haben, um den Ausschuß informieren und um eine Debatte im Ausschuß wecken zu können, eine Debatte, aus der heraus dann nützliche Anregungen an die Regierung gehen sollen!
Oder denken Sie daran, wie leer häufig die Regierungsbank ist! Noch gestern wurde Ihnen von einer Reihe von Rednern aus der Mitte des Hauses geklagt, daß die Regierung Beschlüsse dieses Parlaments nicht honoriert habe, daß sie gezögert habe, ja daß sie zögerlich gehandelt habe, weil ihre diese Beschlüsse nicht in den Kram paßten, obwohl das Volk wartete: beim Mitbestimmungsrecht, beim Versorgungsgesetz, beim Lastenausgleich!
In dies e Zusammenhänge, meine Damen und Herren, gehört der Ausspruch des Herrn Bundeswirtschaftsministers. Wenn sich das Haus eine solche Behandlung und eine solche Einschätzung gefallen lassen will, gut! Es wird aber dann die Folgen zu tragen haben; denn das Volk wird das Parlament so einschätzen, wie dieses sich selber einschätzt und dann, meine Damen und Herren — und hier wird die Sache bedenklich —, werden Kräfte aufstehen und Gehör finden, die zu primitiven oder elementaren Lösungen mehr Vertrauen haben als zu konstitutionellen.
Wenn das Haus das nicht will — und es dar f das nicht wollen —, wenn es begreift, daß Demokratie die politische Ausdrucksform des Willens eines Volkes zur Selbstachtung ist, dann wird es sich diese Behandlung vom Herrn Bundeswirtschaftsminister nicht gefallen lassen können, sondern wird dagegen Front machen müssen.
Aber hier genügt nicht ein platonischer Protest. Ich sage Ihnen — und ich meine es ohne jeden Sarkasmus, sondern so, wie es gesagt ist —: man sollte dem Herrn Bundeswirtschaftsminister gegenüber soviel Achtung aufbringen, daß man ihm zumutet, für seine Worte in angemessener Weise einzustehen.
Denn was hier geschehen ist, ist keine Bagatelle, ist nicht eine bloße Entgleisung, sondern ist der Ausdruck einer Gesinnung gewesen,
das ist der Ausdruck einer politischen Haltung gewesen,
das ist der Ausdruck einer Staatsgesinnung gewesen, die nicht demokratisch ist.
Meine Damen und Herren, wir haben in Art. 98 des Grundgesetzes — —
Meine Damen und Herren, wir haben in Art. 98 des Grundgesetzes eine Bestimmung, die sich auf die Richter, also auf die Organe unseres Staates bezieht,
die Gott sei Dank unabhängig und unabsetzbar sind. In diesem Artikel steht, daß ein Richter dann der Richteranklage unterworfen werden kann, wenn er innerhalb oder außerhalb des Dienstes gegen die demokratischen Grundsätze dieser Bundesrepublik verstößt. Wir haben diesen Satz damals im Parlamentarischen Rat einstimmig dahin definiert: ein solcher Verstoß liege dann vor, wenn der Richter ohne kriminelles oder disziplinäres Verschulden durch sein Verhalten zeigt, daß er nicht von dem demokratischen Pathos getragen ist, das diesem Staat zugrunde liegen soll.
Wenn ein Richter diese Worte gebraucht hätte, dann, meine Damen und Herren, hätte man ihn unter die Richteranklage gestellt,
und das Bundesverfassungsgericht hätte ihn verworfen.
Hier muß klar zum Ausdruck gebracht werden, daß Männer von solcher politischer Grundgesinnung — mögen sie sonst so ehrenwert sein wie auch immer — auf der Regierungsbank nichts zu suchen haben;
denn dorthin gehört nur, wer zutiefst davon überzeugt ist, daß die Staatsgewalt vom Volk ausgeht,
daß das Parlament dieses Volk vergegenwärtigt und
daß, wer das Parlament beschimpft, das Volk trifft.
Darum schlagen wir Ihnen, meine Damen und Herren, vor, Sie möchten beschließen, den Herrn Bundeskanzler zu ersuchen, dem Herrn Bundespräsidenten die Abberufung des Herrn Bundeswirtschaftsministers vorzuschlagen. Der Herr Bundespräsident hat Respekt vor der Verfassung; er weiß, was demokratische Selbstachtung gebietet, und er weiß auch, wie teuer es zu stehen kommt, wenn die Zeit eines Tages die Rechnung für verpaßte Gelegenheiten präsentiert. Er wird, wenn das Haus so beschließen sollte, wie es das — ich sage es noch einmal — seiner Ehre schuldig ist, der Empfehlung des Herrn Bundeskanzlers Folge leisten.