Rede von
Dr.
Erich
Mende
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen sind zwei Anträge überwiesen worden, der Antrag Drucksache Nr. 30 der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen vom 26. September 1949 betreffend die Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Regelung der Versorgung der Körperbeschädigten und Hinterbliebenen durch Kriegsfolgen, ferner ein Antrag Drucksache Nr. 36 der Fraktion der Deutschen Partei betreffend die Aufhebung der Sozialversicherungsdirektive 27 und die Vorlage eines Gesetzes für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene.
Der Ausschuß hat zunächst in einer Beratung am 27. Oktober 1949 die Anträge zurückgestellt bis zur bundeseinheitlichen Regelung der Kriegsopferversorgung und Vorlage des Entwurfs des Bundesversorgungsgesetzes. Im Rahmen dieser Beratung hat der Vertreter des Herrn Bundesarbeitsministers dem Ausschuß mitgeteilt, daß wir mit der erschütternden Zahl von 4 Millionen Beschädigten und Hinterbliebenen zu rechnen haben, so daß jeder elfte Deutsche im Bundesgebiet als Kriegsbeschädigter oder Hinterbliebener versorgt werden muß. Zur Gegenüberstellung die Zahlen Englands: England hat bei gleicher Bevölkerungszahl nur rund 500 000 Versorgungsfälle beider Kriege. Die Aufwendungen betrugen im Jahre 1948 1,2 Milliarden DM, im Jahre 1949 im Bundesgebiet 2 Milliarden bis zu 2,1 Milliarden DM.
Auch in einer weiteren Beratung am 18. Januar 1950 sah sich der Ausschuß nicht in der Lage, diese beiden Anträge zu diskutieren, weil der Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums zum Bundesversorgungsgesetz noch immer nicht vorlag und nach der Meinung des Ausschusses die Beratung dieser beiden Anträge im Rahmen der Beratungen des Bundesversorgungsgesetzes erfolgen sollte. Am 18. Januar hat der Vertreter des Herrn Bundesarbeitsministers, Ministerialdirektor Eckert, den Bundesversorgungsgesetzentwurf für die nächste Zeit zugesagt und den Ausschuß gebeten, von einer Behandlung der beiden Anträge abzusehen. Am 20. Januar 1950 hat der Herr Bundesarbeitsminister hier bei den Beratungen des Überbrückungsgesetzes eine Summe von 3 Milliarden DM für die Bundesversorgung angekündigt, oder er glaubte, diese große Summe annehmen zu müssen. Er hat bei den Beratungen des Überbrückungsgesetzes seinerzeit das Plenum aufgefordert, von weitergehenden Anträgen abzusehen und sie zurückzustellen bis zu den Beratungen des Bundesversorgungsgesetzes. Auch der Herr Bundesfinanzminister hat zu dem Bundesversorgungsgesetz bereits am 31. Januar 1950 Stellung genommen, indem er im Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen erklärte: Wir rechnen mit einem Betrag von 3 Milliarden DM, wenn an diesem Gesetz nichts weiter geändert wird.
Sie sehen somit, daß bereits im Stadium der Beratungen des Überbrückungsgesetzes gewisse bindende Erklärungen zu dem zu erwartenden Bundesversorgungsgesetz gemacht wurden.
Am 7. Februar 1950 beschloß der Ausschuß erneut die Zurückstellung, und am 1. März 1950 wurde bei den Ausschußberatungen festgestellt, daß es nicht möglich sei, das Bundesversorgungsgesetz am 1. April bereits im Ausschuß vorzulegen. Das lag daran, daß die Kriegsopferversorgung, 1946 durch das Kontrollratsgesetz 34 zerschlagen, in den verschiedenen Ländern sich sehr heterogen entwickelt hatte und es großer verwaltungstechnischer Maßnahmen bedurfte, um aus diesem Durcheinander eine Koordination der Kriegsopferversorgung durchzuführen.
Der Antrag Drucksache Nr. 36 wurde am 15. März 1950 im Ausschuß beraten. Der Herr Vertreter des Bundesarbeitsministers erklärte dabei, daß mit der Vorlage des Entwurfs in Kürze, vermutlich noch Ende dieses Monats, gerechnet werden könne. Am 26. April hat der Ausschuß wiederum über den Stand der Vorarbeiten beraten und dabei einstimmig zum Ausdruck gebracht, daß nicht nur aus versorgungsrechtlichen Gründen, sondern auch aus politischen Gründen eine Beschleunigung der Vorarbeiten für das Bundesversorgungsgesetz unumgänglich sei.
Schließlich ist der Ausschuß am 18. Juli zusammengetreten und hat Ihnen in der Zwischenzeit einen Antrag unterbreitet des Inhalts, daß die Bundesregierung ersucht wird, dem Deutschen Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes über die Regelung der Versorgung der Körperbeschädigten und Hinterbliebenen durch Kriegsfolgen so rechtzeitig zuzuleiten, daß die erste Beratung des Gesetzentwurfes in einer der ersten Sitzungen des Bundestages nach den Parlamentsferien auf die Tagesordnung gesetzt werden kann. Inzwischen haben wir erfahren, daß das Bundesversorgungsgesetz bereits das Kabinett passiert hat und dem Bundesrat zugeleitet wurde. Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung darf ich daher erklären, daß dieser Antrag des Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen hiermit gegenstandslos wird und gleichzeitig gebeten wird, von einer Beratung, für die 40 Minuten vorgesehen waren, Abstand zu nehmen,
da die Dinge überholt sind.
Ich darf aber in diesem Zusammenhang ein Bedenken zum Ausdruck bringen, das im Ausschuß einstimmig geäußert wurde. Wir haben festgestellt, daß der vorläufige Referentenentwurf in die Presse gekommen ist und einzelnen Verbänden zugeleitet wurde, sodaß die Parlamentarier in die groteske Situation kamen, weniger zu wissen als die Nichtparlamentarier draußen.
Es ist für die Vertreter einer gesetzgebenden Körperschaft unmöglich, daß sie auf dem Umwege über die Presse oder über die Syndizi von Wirtschafts- und sonstigen Verbänden über die Gesetzesvorarbeiten im Kabinett orientiert werden.
Der Ausschuß hat daher beschlossen, über den Geschäftsordnungsausschuß und über den Ältestenrat vorstellig zu werden mit dem Ziel, zu erreichen, daß in Zukunft alle Referentenentwürfe, die Wirtschaftsverbänden, sonstigen Verbänden oder der Presse zugeleitet werden, mindestens an dem gleichen Tag, möglichst vorher, in einigen Exemplaren den Fraktionen des Hauses zugehen, damit den Parlamentariern des Bundestages die peinliche Situation, die in diesem Falle entstanden war, in Zukunft erspart bleibt.