Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, Ihnen im Auftrag des Ausschusses für ERP-Fragen über die Drucksache Nr. 661 Bericht zu erstatten.
Die Drucksache Nr. 661 enthält einen Antrag der Fraktion der SPD betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über Verwendungsordnung der ERP-Zuwendungen. Im folgenden ist also nur von der Verfügung über die Gegenwertmittel, nicht von der in
Art. I Ziffer 1 des Abkommens über wirtschaftliche Zusammenarbeit vorgesehenen Verfügung über die den Gegenwertmitteln zugrundeliegenden Dollarbeträge zum Bezug der Hilfeleistungen aus den USA die Rede.
Die Materie, die ich vorzutragen habe, ist etwas spröde; aber der Ausschuß war einhellig der Ansicht, daß es sich bei dem Antrag der Fraktion der SPD um eine Angelegenheit von außerordentlicher politischer, juristischer und volkswirtschaftlicher Bedeutung handle.
Politisch steht die Frage im Mittelpunkt, ob bei der Verfügung über die doch hoch in die Milliarden gehenden Gegenwertmittel des Marshallplans das Parlament nur in einer mehr oder minder weitgehenden Weise „herangezogen" oder „beteiligt" werden soll, oder ob das Parlament die Bewilligung von sich aus in eigener Zuständigkeit auszusprechen habe. Wir haben es also hier mit einer Angelegenheit zu tun, die an die Stellung des Bundestags in unserem Staatswesen in einer sehr grundsätzlichen Weise rührt.
Rechtlich handelt es sich um die Frage, wie der Antrag der SPD zunächst in Aussicht zu nehmen schien, ob ein besonderes Gesetz zu erlassen sei, das die Verwendung der ERP-Mittel regelt und — was der Antrag ja auch von vornherein zu beinhalten schien — ob die Zuständigkeit des Parlaments durch dieses besondere Gesetz begründet werden solle oder ob nicht bereits nach dem geltenden Haushaltsrecht des Bundes die Verwendungsordnung gegeben sei, und zwar in dem Sinne, daß dem Bundestag selbst das Recht der Bewilligung zustehe, da es sich ja um Mittel des außerordentlichen Haushalts handle.
Volkswirtschaftlich ist zu fragen, ob es nicht ein Mißverhältnis sei, wenn sich der Bundestag um kleine und kleinste Haushaltsausgaben kümmere, aber die Verfügung über die für die deutsche Volkswirtschaft doch sehr wichtigen ERP-Milliarden der ausführenden Gewalt übertragen sei.
Zur Zeit wird die Verfügung von der fachlichen ERP-Organisation vorgenommen. Diese sogenannte fachliche ERP-Organisation wurde schon von dem Vorsitzenden des ERP-Ausschusses, Herrn Kollegen Pünder, noch in seiner Eigenschaft als Oberdirektor des Vereinigten Wirtschaftsgebietes eingerichtet. Sie besteht aus dem ERP-Ausschuß, dem ERP-Arbeitsausschuß, den ERP-Arbeitskreisen und ERPFachkomitees.
Die Fragen von grundsätzlicher Bedeutung, die hierbei auftauchen, werden von dem ERP-Ausschuß geklärt. Dieser Ausschuß setzt sich zur Zeit aus den zuständigen Staatssekretären der Bundesministerien, dem Präsidenten der Bank deutscher Länder, dem Vorsitzenden der Kreditanstalt für Wiederaufbau, ferner aus vier Länderministern und einem Vertreter der Gewerkschaften zusammen. Den Vorsitz des ERP-Ausschusses führt der Herr Bundesminister für den Marshallplan.
Der Ausschuß war nunmehr der Ansicht, daß die bisherige Art der Verfügung unter den heutigen Verhältnissen staatspolitisch nicht ausreichend sei, denn hier würden von seiten der Verwaltungsbehörden Akte vorgenommen, für die das Parlament die Zuständigkeit für sich in Anspruch nehmen müsse; und es hieße nun den Grundgedanken der parlamentarischen Demokratie, der ja an dem Bewilligungsrecht der Volksvertretung erwachsen sei, preisgeben, wenn der Bundestag hier nicht auf seinem Bewilligungsrecht bestünde.
Weiter ist nun zu sagen, daß die angeblich geplante Zuziehung einzelner Abgeordneter zu einem Ausschuß der Verwaltungsbehörden dem parlamentarischen Bewilligungsrecht niemals entsprechen würde oder dieses gar ersetzen könne. Eine solche Hinzuziehung von Abgeordneten zu Ausschüssen der Verwaltung wäre für das Parlament völlig unverbindlich. Ja, es wäre auch zweifelhaft, ob solche gemischten administrativ-parlamentarischen Ausschüsse mit exekutiven Funktionen rechtlich überhaupt zulässig wären, würden doch die Mitglieder unter völlig verschiedenen rechtlichen Umständen tätig, die einen unter dem Schutz der parlamentarischen Immunität, die andern ohne eine solche; die einen — das sind die Verwaltungsbeamten — unter einer Verantwortung gegenüber einem Minister und die andern — die Parlamentarier — ohne eine solche Verantwortung, und beide zusammen ohne eine faßbare Verantwortung gegenüber dem Parlament.
Nun wandte der Vertreter des Finanzministeriums in den Beratungen des ERP-Ausschusses und des Unterausschusses ein, daß einer Behandlung der ERP-Gegenwertmittel als Haushaltsmittel und dementsprechend einer Verfügung über diese Mittel durch das Parlament verschiedene Gründe entgegenstünden. Erstens: Der Art. III des Gesetzes betreffend das Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 5. 12. 49, das im folgenden kurz als das Ratifizierungsgesetz bezeichnet werden wird. Zweitens: Die Rechtsnatur der Geldbeträge gemäß Art. I Ziffer 3 des soeben genannten Abkommens. Drittens: Das Mitwirkungsrecht der Vereinigten Staaten gemäß Art. IV Ziffer 6 und Art. V Ziffer 4 des Abkommens. Ich bitte den Herrn Präsidenten 0 um die Erlaubnis, Art. III des Ratifizierungsgesetzes vorlesen zu dürfen:
Die in Zusammenhang mit dem Abkommen der Bundesrepublik Deutschland entstandenen und noch entstehenden Vermögenswerte bilden ein Sondervermögen des Bundes, auf das die Vorschriften der Reichshaushaltsordnung Anwendung finden.
Hierzu führte nun in den Beratungen der Vertreter des Finanzministeriums etwa folgendes aus:
Die Erklärung der ERP-Gegenwerte zu Sondervermögen gemäß Art. III des Ratifizierungsgesetzes bedeute, daß es sich hier um eine Angelegenheit der reinen Vermögenswirtschaft und nicht mehr der Haushaltswirtschaft handle. Sondervermögen gebe es verschiedene, zum Beispiel bei der Post, bei der Eisenbahn, bei der Soforthilfe, bei dem Arbeitslosenversicherungsstock usw. Ein Sondervermögen werde nun nach besonderen Vorschriften verwaltet. Das hieße, daß die haushaltsrechtlichen Vorschriften auf die Bewirtschaftung keine unmittelbare Anwendung fänden, sondern nur die allgemeinen Grundsätze. Für die Bewirtschaftung des Sondervermögens müsse jedoch eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, und dieses besondere Gesetz könne dann auch die Beteiligung der parlamentarischen Instanzen vorsehen. Soweit jedoch aus dem ERP-Sondervermögen statt rückzahlbarer Kredite sogenannte verlorene Zuschüsse gegeben würden, durch welche eine Vermögensminderung eintrete, seien dann die haushaltsrechtlichen Vorschriften anzuwenden, d. h. es seien entsprechende Bestimmungen in das Haushaltsgesetz aufzunehmen.
Die gesetzliche Grundlage, die zur Bewirtschaftung eines Sondervermögens erforderlich ist, hatte wohl auch die antragstellende Fraktion im Auge, als sie die Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Verwendungsordnung forderte, und von der gleichen Voraussetzung ging offenbar auch der Herr Vizekanzler in seiner Erklärung vor dem Plenum am 26. April aus. Die Vertreter des Finanzministeriums vertraten diese Auffassung auch noch in den Beratungen des ERP-Unterausschusses und des Hauptausschusses Ende vorigen Monats.
Nun ist hier aber festzustellen, daß die Erklärung der ERP-Gegenwerte zu Sondervermögen — und zwar gleich von dem Augenblick an, in dem diese Mittel für den Bund verfügbar werden — einen juristischen Widerspruch enthält. Diese Mittel werden mit der Einzahlung auf das entsprechende Sonderkonto zunächst einmal Einnahmen des Bundes und müssen deshalb auch zunächst als Einnahmen gemäß Art. 110 des Grundgesetzes behandelt werden. Über diese Einnahmen wird nun in doppelter Weise verfügt. Ein kleiner Teil wird als verlorene Zuschüsse gegeben, während der Hauptteil als Kredite mit bestimmtem Zinsfuß, mit bestimmten Rückzahlungsverpflichtungen usw. gegeben wird. Sowohl nun die Bewilligung der verlorenen Zuschüsse als auch die Bewilligung der Kredite — nach Rahmenvertrag, Zweck und Bedingungen — haben die gesetzgeberischen Körperschaften bei der Verabschiedung des Haushalts auszusprechen. Die Forderungsrechte, die hierdurch entstehen — und erst diese Forderungsrechte —, bilden das Sondervermögen des Art. III des Ratifizierungsgesetzes, und auf die Bewirtschaftung dieses Sondervermögens sind die Vorschriften der Reichshaushaltsordnung über Sondervermögen anzuwenden.
Daß die Gegenwertmittel zunächst einmal Einnahmen sind und nicht durch eine geheimnisvolle Verwandlung zu Sondervermögen werden, ohne erst Einnahmen gewesen zu sein, sollte heute eigentlich von niemand mehr bestritten werden. besonders wenn man die Rechtsnatur dieser Einnahmen gemäß Art. I Ziffer 3 des Abkommens über wirtschaftliche Zusammenarbeit in Betracht zieht. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Geld von amerikanischer Seite als .,grants" oder ,.claims". als „unentgeltliche Zuwendung" oder unter Begründung einer „Forderung" der USA gegeben wird. In jedem Falle wird eine Besetz- und ordnungsmäßige Finanzwirtschaft diese Beträge als außerordentliche Haushaltseinnahmen behandeln und der Verfügung durch die gesetzgebenden Körperschaften unterwerfen müssen. Soweit dem Ausschuß Nachrichten vorliegen, wird so auch in anderen MarshallplanLändern verfahren.
Daß sich die Vereinigten Staaten gemäß Art. IV Ziffer 6 und Artikel V Ziffer 4 des Abkommens ein Mitwirkungsrecht vorbehalten haben, mag als eine Besonderheit für Deutschland betrachtet werden, ändert aber an der Rechtsnatur der Gegenwertmittel als Einnahmen und ihrer grundsätzlichen Behandlung im Haushalt nichts. Den Bestimmungen des ECA-Vertrages über die Mitwirkung der Vereinigten Staaten könnte man im Haushaltsplan durch einen entsprechenden Vermerk ohne besondere Schwierigkeiten Rechnung tragen.
Der Ausschuß war nun der Ansicht, daß die Angelegenheit von der Bundesregierung mit größerer Beschleunigung, als es geschehen ist, hätte bearbeitet werden sollen.
Der Antrag der Fraktion der SPD liegt bereits seit
März dieses Jahres vor. Im Mai legte die Regierung
der ECA-Mission den Verwendungsplan über die neuen 1,8 Milliarden betragenden Gegenwertmittel für das Marshallplanjahr 1950/51 vor. Eine weitere Verzögerung kann nun von seiten des Parlaments
— dieses war die einhellige Auffassung des Ausschusses — nicht mehr hingenommen werden.
Auch diese zeitlichen Gründe widersprechen dem Erlaß eines besonderen Verwendungsgesetzes. Auf der anderen Seite ist nach den Beratungen des Ausschusses die Lage nun mehr so weit geklärt, daß die haushaltsrechtlichen Bestimmungen auf die Verteilung der Gegenwertmittel unverzüglich angewandt werden können.
Der Ausschuß hat daher einstimmig beschlossen, dem Hohen Hause folgenden, im Haushaltsrecht der Bundesrepublik bereits begründeten Antrag zur Annahme zu unterbreiten. — Ich glaube, es ist ist wohl nicht nötig, den Antrag zu verlesen. Ich wollte nur ergänzend sagen, daß es sich bei Ziffer 2 um ein Zahlenmaterial handelt, das dem Ausschuß zum Teil schon vorgelegt worden ist. Es wird sich also in mancher Beziehung nur um eine Fortführung und Ergänzung handeln.
Des weiteren habe ich dem Hohen Hause zu berichten, daß sich der Ausschuß für Wirtschaftspolitik in seiner 22. Sitzung ebenfalls mit der Angelegenheit befaßt und den nachstehenden Beschluß gefaßt hat:
Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik tritt dem Antrag des Ausschusses für ERP-Fragen bei und bittet den Bundestag, entsprechend diesem Antrag zu beschließen.
Ich habe daher im Namen der beiden Ausschüsse dem Hohen Hause zu empfehlen, den erstatteten Bericht anzunehmen.