Rede von
Dr.
Hermann Louis
Brill
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Der Niedersächsische Minister der Justiz hat durch ein von Herrn Staatsminister Dr. Hofmeister unterzeichnetes Schreiben vom 24. Juli 1950 die Bitte ausgesprochen, eine Entscheidung über die Aufhebung der Immunität des Herrn Bundestagsabgeordneten Max Reimann herbeizuführen.
Dem Schreiben des Niedersächsischen Ministers der Justiz ist ein Schriftsatz des Oberstaatsanwalts in Hannover vom 23. Juli 1950 und eine Blattsammlung der Kriminalpolizei Hannover beigefügt. Aus dem Schriftsatz des Oberstaatsanwalts ergibt sich, daß bei dieser Behörde ein Ermittlungsverfahren gegen Reimann wegen Stimmhinderung — § 106 —, Freiheitsberaubung — § 239 — und Nötigung - § 240 des Strafgesetzbuches — anhängig ist. Der Anlaß zu dem Ermittlungsverfahren ist eine Anzeige der Frau Heti Fischer beigefügt, die sich als Verlobte des Bundestagsabgeordneten Kurt Müller bezeichnet, die dem Bundestagsabgeordneten Max Reimann vorwirft, in Berlin die Verschleppung des Bundestagsabgeordneten Kurt Müller mit dem Büro des derzeitigen Generalsekretärs der SED Ulbrich t bzw. mit Ulbricht selber verabredet zu haben.
In einem Brief der Frau Fischer an Reimann, datiert vom 19. Juli 1950 aus Hannover, ist diese Beschuldigung wie folgt wörtlich ausgedrückt worden:
Wenige Tage vor der Reise Kurt Müllers waren Sie selbst in Berlin, wo Sie mit Ulbricht und anderen Besprechungen hatten, die den Zweck verfolgten, den ahnungslosen Bundestagsabgeordneten Kurt Müller in die Ostzone zu locken, um ihn dort zu liquidieren.
Das gaben Sie mir selbst in unserer Unterredung am 23. 5. 1950 in Frankfurt zu verstehen, wo Sie mir auch unumwunden erklärten, daß Sie persönlich maßgebenden Einfluß auf die Verhaftung Kurt Müllers genommen hätten.
Somit fällt Ihnen die volle Verantwortung für das Schicksal Kurt Müllers zu.
In einer Vernehmung, die am 21. Juli dieses Jahres vor der Kriminalpolizei in Hannover stattgefunden hat, erklärte Frau Fischer darüber hinaus folgendes:
1. Die Weisung an den Bundestagsabgeordneten Kurt Müller, sich am 22. März nach Berlin zu begeben, ist der Gepflogenheit entsprechend vom politischen Sekretariat des Parteivorstandes in Frankfurt am Main gegeben worden.
2. Der Abruf nach Berlin ist mit Max Reimann verabredet worden, der ihn dann nach Frankfurt mitgeteilt hat.
3. Nach der Art der Verständigung Müllers konnte dieser nicht mit einer Verhaftung in Berlin rechnen; denn er hat weder etwas für die Versorgung seines Kindes sichergestellt noch irgendeine Vollmacht für die Abhebung seiner Rente hinterlassen, auch seiner Gewohnheit entgegen Frau Fischer nicht über seine Schritte informiert und ihr auch keine Mitteilung zukommen lassen.
4. Der Parteivorstand in Frankfurt am Main, insbesondere Max Reimann, haben ganz genau gewußt, zu welchem Zweck Kurt Müller rüberfuhr und wann er rüberfahren sollte.
5. Fünf Tage vor der Verschleppung Müllers hat Reimann Kurt Müller und Frau Fischer in Hannover besucht und bei ihnen gewohnt.
Er ist von da mit dem illegalen Kurierapparat nach Berlin gefahren und hat dort die Weisung bekommen, Müller nach Berlin zu schaffen.
6. Die Frau des Bundestagsabgeordneten Max Reimann hat. Frau Fischer bei ihrer Bitte, ihr behilflich zu sein, um die Rückkehr von
Kurt Müller zu ermöglichen, in einer ungewöhnlichen Weise unfreundlich abgewiesen.
7. Unter Benutzung von Decknamen hat Frau Fischer versucht, in Frankfurt am Main bei Fritz Sperling, Mitglied des Politbüros, Auskunft zu erlangen. Erst am 20. April ist sie angewiesen worden, den Kraftwagen von Müller, der in Hannover stand und der KPD gehört, mit dem Fahrer nach Frankfurt zu schicken.
8. Kurt Müller ist erst am 10. Mai nach einer Anklagerede von Reimann aus der Partei ausgeschlossen worden. Nach der Überzeugung von Frau Fischer soll Müller geopfert werden, um angesichts des Versagens der KPD in Westdeutschland Reimann zu retten; denn Kurt Müller sei der stärkere Mann im Politbüro gewesen. Es bestanden seit geraumer Zeit Differenzen, die Reimann für sich ausgenutzt hat.
9. Reimann hat sich Frau Fischer gegenüber geweigert, das Material, das er eingestandenerweise gegen Kurt Müller benutzte, Frau Fischer mitzuteilen.
10. Ein ehemaliger KZ-Kamerad aus Sachsenhausen, Bertram Dietz in Düsseldorf, hat einen offenen Brief an Reimann geschrieben, der mit der Frage beginnt: „Kain, wo ist Dein Bruder Abel?"
Frau Heti Fischer hat am Schluß ihrer Vernehmung wörtlich erklärt:
Ich mache in erster Linie vor allen Dingen den ersten Vorsitzenden der KPD Max Reimann verantwortlich.
Sie hat hinzugefügt, daß die weitere Verantwortung das Zentralsekretariat in Frankfurt am Main treffe. Schließlich hat sie erklärt, daß sie bereit sei, alle Aussagen vor einem Gericht unter Eid zu wiederholen.
Nach dem vom Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität aufgestellten und vom Bundestag wiederholt gebilligten Grundsätzen erscheint dem Ausschuß die Aufhebung der Immunität des Bundestagsabgeordneten Max Reimann dringend geboten. Der Ausschuß hat dabei die Vermutung strafbarer Handlungen noch auf § 234 des Strafgesetzbuches „Menschenraub" ausgedehnt.
Namens des Ausschusses, meine Damen und Herren, beantrage ich, der Bundestag wolle beschließen: Die Immunität des Abgeordneten Reimann wird aufgehoben.