Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der Debatte über ein so grundlegendes Anliegen, wie es die Frage der Mitbestimmung für weiteste Schichten in unserem Volk darstellt, kann uns nicht befriedigen und wird am allerwenigsten die Kreise befriedigen, die seit Jahren sehnsüchtig auf die Verwirklichung dieses Anspruches warten. Im Laufe des Tages sind in diesem Hause Ansichten geäußert worden, die nicht in das 20. Jahrhundert gehören, sondern in die Aera der vorbismarckschen Zeit. Wie ganz anders wäre das Echo zu dem Antrag der CDU und auch zur Vorlage der SPD gewesen, wenn sie in dieser maßvollen Form 1945 vorgelegt worden wären! Damals war es ausgemachte Sache, daß die zukünftige Wirtschaft nur gemeinsam und mit gleichen Rechten gestaltet und geleitet werden müßte.
Eigentumssorgen beschwerten uns damals nicht, die einen nicht, weil sie nie Eigentum besessen hatten, und die anderen nicht, weil es ihnen genommen war. Gemeinsam wurde angefaßt, gehungert, gedarbt, gearbeitet und nochmals gearbeitet, um die Zeit der schlimmsten Not zu überwinden. Nicht zuletzt dank der von der Gewerkschaftsbewegung im Ausland erworbenen Vertrauensgrundlage, die unserem Volke damals Leben und Lebensmöglichkeit gesichert hat, ist es möglich gewesen, durch die schlimmsten Zeiten nach dem Zusammenbruch hindurchzukommen.
Worauf stützt sich der Marshallplan? Doch zuerst und zunächst — und das gehört in diesen Zusammenhang hinein— auf das Vertrauen zur unbesiegbaren Arbeitskraft und zum Leistungspotential des deutschen Volkes und damit zuvörderst zum Arbeitswillen und der Arbeitsfähigkeit der deutschen Arbeiterschaft, sicher auch des Unternehmertums, ganz unbestritten; aber nicht eines Unternehmertums, das seinen Blick rückwärts wendet, sondern eines Unternehmertums, das nach vorne schaut und instinktiv die ungeheuren Möglichkeiten erkennt, die sich aus einem neuen Anfang, aus dem Anfang einer neuen Ordnung der Beziehungen zwischen Unternehmern, Betriebsleitung und Belegschaft ergeben, Möglichkeiten der Befriedung und der Uberwindung sozialer Spannungen, des Ausgleichs, einer Volkwerdung im Sozialen. Glaubt jemand noch im Ernst, wir könnten der sogenannten Gefahr des asiatischen Kollektivismus begegnen, ohne zuvor diesen Gefahren bei uns im Wirtschaftlichen und Sozialen den Nährboden entzogen zu haben? Noch ist Bereitschaft vorhanden, viel guter Wille ist da. Verscherzen wir diesen Augenblick nicht!
Was steht denn der Ausgestaltung eines echten Mitbestimmungsrechts im Wege? Sie verweisen auf die Gewerkschaften und malen den Teufel an die Wand. Wenn die Gewerkschaftsbewegung teuflisch gewesen wäre, dann hätte sie 1945 etwas ganz anderes getan, als geschehen ist. Dann hätte sie nicht für Ruhe und Ordnung gesorgt, die Betriebe geschützt und manchmal auch Leute geschützt, die es ihr heute nicht zu danken wissen.
All das wissen wir aus persönlicher Erfahrung zu genau.
Es wird erklärt, in der Verankerung der gewerkschaftlichen Mitwirkung im Gesetzeswerk vollende sich die Totalität des Managertunis. Nun, seien sie versichert, Burnhams Buch ist nicht nur für die Gewerkschaften geschrieben worden, sondern, ich glaube, in weit stärkerem Umfang noch für die andere Seite. Im übrigen ist diese Seite des Problems weit mehr eine Funktion soziologischer Verhältnisse als Gegenstand gesetzestechnischer Gestaltung.
Mit Bezug auf die Vorlage der CDU hat Herr Kollege Schröder in seiner ausgezeichneten Begründung heute vormittag bereits darauf verwiesen, daß sie in puncto Einschaltung der gewerkschaftlichen Vertretung ausgebaut werden kann, wie ich überhaupt in der Konzeption der Vorlage Nr. 970 und in den Vorschlägen des Deutschen Gewerkschaftsbundes durchaus die Möglichkeit einer Synthese erblicke. Nichts wäre verfehlter, als zu sehr mit absoluten Standpunkten zu operieren. Was wir beschreiten, ist Neuland, das zwar vermessen und aufgezeichnet ist, das aber innen noch erforscht und beschritten werden muß. Es muß das Anliegen des ganzen Hauses und hier wiederum seiner besten Kräfte sein, die Sehnsucht der Millionen Arbeitnehmer nach verantwortlicher Mitgestaltung im Wirtschaftsleben zu erfüllen.
Nach 1945, nach Bochum und Hattenheim gibt es kein Zurück mehr. Kirchen und Gewerkschaften, Parteien und Verbände haben sich des Anliegens der Arbeiterschaft angenommen, manchmal unter verschiedenartigen Aspekten, aber stets aus der Erkenntnis der absoluten Notwendigkeit heraus. Auf dem Katholikentag 1949 ist das Mitbestimmungsrecht der Arbeiterschaft programmatisch verkündet worden, und zwar nicht als eine neue Idee, die erst nach 1945 geboren worden wäre, sondern in konsequenter Durchbildung katholisch-sozialen Denkens, eines Denkens, das aus der Schule Kettelers kommt, das den päpstlichen Rundschreiben „Rerum novarum" und „Quadragesimo anno" entspricht. Vom Katholikentag zu Freiburg über Breslau, Dortmund und den Katholikentag in Essen führt ein gerader Weg zur Entschließung von Bochum. Die KAB, die katholischen Arbeitervereinsbewegung als aktivste Träger dieser Manifestation hat alle Mißdeutungen ihrer bekannten Erklärung, jede liberale Verwässerung, aber auch jede klassenkampfmäßige Ausnutzung und Mißdeutung zurückgewiesen. Der christlich-sozialen Bewegung kommt das große Verdienst zu, geistiger Wegbereiter für unser gemeinsames Anliegen gewesen zu sein. Von der geistigen Bereitschaft aber beider Teile der Wirtschaft ist Erfolg oder Mißerfolg dieser Arbeit abhängig. Wir sind daher allen dankbar, die den Boden haben bereiten helfen für die Verwirklichung dessen, was uns heute aufgegeben ist.
Ich bin angesichts der Fülle der Probleme, die mit einem wirksamen Mitbestimmungsrecht verbunden sind, keineswegs der Ansicht, daß die Arbeiten, die unter der Führung des Herrn Bundesarbeitsministers durchgeführt worden sind, nutzlos vertane Zeit sind. Im Gegenteil, sie haben die Lage geklärt und sind, wie ich aus meiner täglichen Erfahrung weiß, auch durchaus wertvoll für die weiteren Beratungen. Die Arbeit in den Ausschüssen wird gerade diese Feststellung in vollem Umfange bestätigen. Ich hoffe, daß diese Beratungen sorgfältig erfolgen werden und von dem Willen getragen sind, dem berechtigten Wunsch der Arbeiterschaft und ihrer gewerkschaftlichen Vertretung zu entsprechen.
Der Antrag der CDU soll unser Anliegen aus dem Bereich theoretischer Erörterungen in den Kreis der praktischen Gestaltung führen. Er läßt Raum für jeden guten Gedanken, der hinzukommt, sofern er geeignet ist, dem Ziele zu dienen, dem sich die überwältigende Mehrheit dieses Hauses, wie ich zuversichtlich hoffe, verpflichtet weiß, eben der Mitbestimmung der Arbeiterschaft in allen Zweigen der Wirtschaft. Der erste Schritt ist mit dem Antrage der Christlich-Demokratischen Union getan worden, und hier bin ich im Gegensatz zu der Auffassung meines Herrn Kollegen Böhm der Ansicht, daß es richtiger ist, zunächst einmal einen Schritt zu tun und dann den zweiten, als vielleicht zwei Schritte auf einmal zu versuchen und dabei zu Fall zu kommen.