Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Dr. Schröder hat heute morgen bei der Begründung des Gesetzentwurfs im wesentlichen zwei große Kreise gezogen. In den einen Kreis setzte er die betrieblichen Belange und in den anderen Kreis die überbetrieblichen Belange. Ich glaube, Herr Dr. Schröder, daß diese scharfe Scheidung mit der Wirklichkeit, in der wir stehen, nicht das geringste zu tun hat. Sie führten selbst aus, daß in 20 % der Betriebe 80 % der Arbeitnehmer beschäftigt sind. Diese 80 % in unserem Bundesgebiet sind rund 10 Millionen Menschen, die, oh sie in Arbeit stehen oder nicht in Arbeit stehen, das gesamtwirtschaftliche Leben doch sehr entscheidend beeinflussen.
Wir sind vor einigen Tagen in WatenstedtSalzgitter gewesen — Sie sind mit dort gewesen —, und wir haben gesehen, daß die ganzen Schwierigkeiten dieses Gebiets letzten Endes daher kommen, daß das dort liegende große Werk nicht mehr in Betrieb ist. Ich glaube, daß hier ein Musterbeispiel dafür vorhanden ist, wie sehr die Gemeinden davon abhängen, in ihrem Raum lebensfähige Betriebe zu haben, die auch funktionieren. Das Gedeihen oder Nichtgedeihen eines Betriebes kann Tod oder Leben für die Gemeinde bedeuten. Insofern ist jedes Betriebsinteresse von bedeutendem Gesamtinteresse.
Ich glaube aber, schon zwischen Ihren Ausführungen und der Begründung des Entwurfs einen gewissen Widerspruch zu finden. Sie schreiben in der Begründung auf Seite 18 unter § 1 über die Aufgaben der beiden Partner im Betrieb und sagen da am Ende des ersten Absatzes:
Bei der Erfüllung dieser Aufgabe dürfen sie aber nicht nur ihre beiderseitigen Belange im Auge haben, sondern müssen sich in den Rahmen der Gesamtwirtschaft fügen, von der ihr Betrieb nur ein Glied ist.
Damit stellen Sie doch selbst klar heraus, daß hier nicht davon die Rede sein kann, das Geschehen im Betrieb sei reines Privatinteresse. Das Geschehen im Betrieb beeinflußt sehr stark das gesamtwirtschaftliche Geschehen. Ich habe aber Ihren Ausführungen als Wesentliches entnommen, daß es darauf ankommt, eine klare Trennung zwischen der Arbeitnehmerschaft im Betrieb und den Gewerkschaften zu vollziehen. In derselben Begründung sagen Sie auf Seite 19 dann weiter, daß die Betriebsräte nicht an Aufträge und Weisungen gebunden sein sollen, und setzen in Klammern hinzu „Marschrouten". Damit bringen Sie also zum Ausdruck, daß die Arbeitnehmer nicht aus freiem Entschluß irgendwelche Entscheidungen treffen würden, sondern von gewerkschaftlichen Instanzen in ihrer Entschlußfreiheit gehemmt oder in eine bestimmte Richtung gedrängt würden. Das ist das, was ich Ihrer Begründung als Wesentlichstes entnommen habe.
Der Ausschuß für Arbeit hat sich bei den verschiedensten Besichtigungen in verschiedenen Werken bemüht, einen Eindruck von dem zu gewinnen, was an wirklich echtem Mitbestimmungsrecht in den Betrieben vorhanden ist; ich denke jetzt besonders an die Besichtigung der Gute-Hoffnungs-Hütte in Oberhausen. Hier handelt es sich um ein entflochtenes Werk, und anwesend war der Vater dieser ganzen Idee, Herr Dr. Dinkelbach. Er hat dann in Ausführungen klar erkennen lassen, und auch in der Diskussion wurde das erhärtet, daß in den entflochtenen Werken bei den Aufsichtsräten nun ein wesentlich größeres Interesse für die wirtschaftlichen Belange festzustellen sei, als das bis zum Zusammenbruch der Fall war. Ich glaube, Herr Dr. Dinkelbach ist zu einer solchen Äußerung befugt. denn meines Wissens war er bis zum Zusammenbruch in mehr als 30 Aufsichtsräten tätig — ich glaube, es waren sogar fast 40, jedenfalls aber 30 —, so daß er sich also wohl ein sehr gutes Urteil bilden kann. Das Eigenartige ist mir nun, daß, wie ich weiß, der Urheber dieses Gesetzentwurfs, Herr Dr. Schröder, doch engster Mitarbeiter des Herrn Dr. Dinkelbach ist.
Wenn nun Herr Dr. Dinkelbach selbst diese Einrichtung als etwas Nachahmenswertes hinstellt, dann ist es mir eigentlich unerklärlich, daß sein enger und vertrauter Mitarbeiter diesen Weg nicht weiter beschreitet.
— Dann würde es mich freuen, nachher eventuell belehrt zu werden. Ich sehe aber einen Widerspruch darin, Herr Dr. Schröder, daß Sie, wie § 46 der Vorlage erkennen läßt — und das ist das Wesentliche in Ihrem Entwurf —, keine Einschaltung der Gewerkschaften in den Aufsichtsrat wollen.
- Sie sprechen von einem Vorschlagsrecht der Gewerkschaften, und zwar bezieht sich das, wenn ich es recht verstanden habe, auf Mitglieder des Betriebes, die von Gewerkschaften vorgeschlagen werden.
— Dann habe ich das nicht recht verstanden. Sie sprechen aber im ersten Teil des § 46 davon, daß nur Arbeitnehmer Mitglieder sein können. Dann finde ich das zumindest sehr unklar ausgedrückt. denn im ersten Satz steht ganz eindeutig, daß der Aufsichtsrat zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer gebildet wird.
Wenn nun verlangt wird, daß nur Mitglieder der Betriebe in den Aufsichtsräten sein sollen, dann müßten wir uns fragen, mit welchem Recht die andere Seite nun alle möglichen fachlich geeigneten oder richtig erscheinenden Personen in die Aufsichtsräte hineinholt. Wenn heute morgen davon gesprochen wurde, daß die Aufsichtsräte und der Vorstand nach dem Aktiengesetz eine gewisse
Verantwortung tragen, so möchte ich doch gern hören, wie oft es vorgekommen ist, daß Vorstandsmitglieder vor Gericht gezogen wurden, weil sie unfähig waren oder weil das ihnen anvertraute Werk nachher nicht mehr lebensfähig war. Die Unfähigkeit dieser Personen hat sich, wie wir das in den meisten dieser Fälle erlebt haben, so ausgedrückt, daß Konkurs angemeldet wurde. Dann war aber meist nicht der Betroffene, der Unfähige aus dem Vorstand der Leidtragende, sondern die Leidtragenden waren dann die in dem Betrieb beschäftigten Arbeiter. Sie wurden arbeitslos, und bei größerer Erwerbslosigkeit wurde es dann zu einem erheblichen Teil auch doch erforderlich, aus Steuergeldern Mittel zu Unterstützungen zur Verfügung zu stellen. Dabei hat die Riesenarbeitslosigkeit vor 1933 doch klar aufgezeigt, daß dann im wirtschaftlichen Gefüge irgendeine große Unordnung oder irgendeine Unfähigkeit vorhanden sein mußte, sonst hätte es dazu nicht kommen können.
Die Arbeiterschaft hat aus diesen Ereignissen die Lehre gezogen, daß es nötig sei, die Demokratie auch in die Wirtschaft einzubauen, nicht, wie eben vom Abgeordneten Degener gesagt wurde, den Betriebsparlamentarismus einzuführen, sondern die Arbeiterschaft hat erkannt, daß die Demokratie der Weimarer Republik nicht die Lebenssicherheit gab. Es war eine politische Demokratie. In dieser politischen Demokratie haben sich die Kräfte des Kapitalismus sehr blühend entwickelt. Es kam zu Riesengebilden, bis zu 300 000 Menschen in einem Gebilde in der Hand von wenigen Wirtschaftsmachthabern. Diese Gebilde haben das gesamte Wirtschaftsleben entscheidend beeinflußt. Wenn hier heute morgen von einer Nebenregierung gesprochen wurde, von einer Nebenregierung der Gewerkschaften, ja, meine Damen und Herren, ich möchte doch einmal fragen: Hat nicht so etwas wie eine Nebenregierung der Großindustrie bestanden, sind nicht hier und dort noch die großen Verwaltungspaläste zu finden? Und wann sind sie gebaut worden? Die Jahreszahlen, die an den Stirnseiten angebracht sind, zeigen ja, daß sie in Zeiten größter Not erbaut wurden. Aus diesen Palästen heraus wurde entscheidend von der Nebenregierung her das gesamte Leben in der deutschen Republik beeinflußt. Die Konzernherren haben entscheidend dazu beigetragen, daß es möglich wurde, über diese Nebenregierung eine Regierung zu ermöglichen, die das Unglück, in dem wir heute sitzen, letzten Endes allein verschuldet hat. Sie wissen genau, worauf ich dabei anspiele, auf die großen Spenden der Großindustrie an die NSDAP; Sie wissen auch wohl, daß im Thyssen-Prozeß von Thyssen selbst zum Ausdruck gebracht wurde, daß ihm die Brüningsche Wirtschaftspolitik nicht zusagte und aus diesem Grunde die Arbeitslosigkeit von ihm ver- schärft wurde. Bitte, das können Sie nachlesen, meine Damen und Herren! So ist das doch zu sehen! Man muß sich das einmal vorstellen: ein Mensch mit solch einer Auffassung vom Gesamtwohl steht an der Spitze von Gebilden mit 300 000 beschäftigten Menschen; welch ungeheuer verderblicher Einfluß auf das gesamte Leben!
Ich will nicht zu sehr in der Vergangenheit herumkramen. Es ist auch jetzt noch interessant, meine Damen und Herren! Im vorigen Jahr war im Industriegebiet im August/September eine ziemlich starke Kurzarbeitswelle wirksam. Es ist dabei interessant zu sehen, daß der Auftragsbestand für die eisenschaffende Industrie — zu Anfang des vorigen Jahres gleich 100 gesetzt - im Laufe des
Jahres bis August auf 70 absank. Die Produktion im vorigen Jahr — Anfang des Jahres ebenfalls gleich 100 gesetzt — stieg aber bis August auf 130, so daß dann Mitte August Auftragsbestand und Produktion um 60 auseinanderklafften. Und dann erfolgten die Wahlen und praktisch fast mit dem Wahltag setzte die große Kurzarbeitswelle hier ein.
Ich will nicht bestimmte Schlüsse ziehen, ich überlasse es jedem selbst, die ungeheueren Möglichkeiten zu beurteilen, die hier vorhanden waren. Wenn ich als Betriebsratsvorsitzender eines großen Betriebes mit immerhin 71/2 Tausend Menschen Belegschaft in die betrieblichen Unterlagen hineinschaue wie auch die anderen verantwortlichen Leiter des Werkes, dann habe ich dabei immer empfunden, wie eng, wie unbeweglich ich in meiner Tätigkeit als Betriebsratsvorsitzender praktisch bin, wenn die außerbetrieblichen Einflüsse so stark sind, daß ich mich im Betrieb selbst gar nicht dagegen wehren kann. Bei bester Einsicht im Betrieb, bei bestem Wollen, mit der Leitung zusammen einen Betrieb aufzubauen, eine Leistung zu vollbringen, den Arbeitern den Arbeitsplatz zu sichern, war es einfach nicht möglich, auf Grund der allgemeinen Lage hier vom Betrieb aus irgendwie einen Einfluß zu nehmen.
Wenn dann damals gleich in der Arbeiterschaft, in der Arbeitnehmerschaft — ich darf doch das Wort gebrauchen, das der Kollege Degener nicht so sehr wünschte — das große Bangen, die Angst auftauchte, nun erwerbslos zu werden, so ist die letzte Ursache dafür doch in dem Streben nach Sicherheit zu finden, die ja auch mit diesem Gesetzentwurf in etwa angesprochen wird. Es ist doch die Angst des arbeitenden Menschen, morgens draußen zu stehen, nicht mehr seine Familie ernähren zu können, die Angst, die ihn dazu treibt, neue Wege zu suchen, dieses doch schon so oft erlebte Hoch und Tief nicht wieder zu erleben. Wenn man dann heute morgen von Herrn Dr. Hammer hörte, wie er in seinen Ausführungen von der Stoppuhr und von dem Meister sprach, daß er sagte, das letzten Endes doch die Betriebsgemeinschaft das Tragende ist, dann möchte ich dem Herrn Dr. Hammer sagen: Sein Fraktionskollege, unser stellvertretender Bundeskanzler Herr Blücher war es, der im vorigen Herbst erklärte, man solle nicht soviel Gerede um das Mitbestimmungsrecht machen, man solle dem Arbeiter einen vernünftigen Akkord geben, und alle Fragen wären geklärt. Ich glaube, wer die Frage so sieht, geht sehr an dem Leben vorbei.
Wenn Herr Seebohm, der Verkehrsminister, ebenfalls erklärte, daß dieses große Streben nach Sicherheit doch in Sklaverei führen müsse, meine Damen und Herren, dann glaube ich, daß Herr Seebohm niemals in Unsicherheit gelebt hat.
Ich glaube nicht, daß er gebangt hat: Bin ich bei denen, die den blauen Brief bekommen und damit wer weiß für wie lange Zeit die Hoffnung begraben muß, irgendwelche Anschaffungen zu machen?
Sie irren mächtig, meine Damen und Herren, die Sie hier heute gegen die Grundsätze des eingebrachten Gesetzentwurfes sprachen, wenn Sie glauben, daß es dem Arbeiter darauf ankäme, momentan irgendwelche Pfennige sich zu sichern. Es geht ihm darum, die Ernte des langen, mühevollen Ar-" beitslebens zu sichern. Das ist sein Bestreben. Wenn hier immer wieder versucht wurde, eine Trennung zwischen Gewerkschaften und den Männern in den
Betrieben zu vollziehen, so glaube ich, daß man auch hier die Lage sehr verkennt.
Von meinen Fraktionsfreunden ist hier auf die Bedeutung der Gewerkschaften in der Vergangenheit hingewiesen worden. Ich glaube auch, daß die Einsichtigen hier erkannt haben, welche Rolle sie gespielt haben. Wir im Betrieb haben es genügend oft erlebt. In den schwierigsten Situationen haben uns die Gewerkschaftssekretäre zur Verfügung gestanden, und es wäre manchmal böse ausgelaufen, wenn nicht das gesamtvolkswirtschaftliche Interesse von den berufenen Gewerkschaftsvertretern im Betrieb den Arbeitnehmern klargemacht worden wäre.
Wir erleben auch, daß die ganze Schulung der Gewerkschaften doch letzten Endes geleitet ist von gesamtvolkswirtschaftlichen Interessen. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es auch einem Teil dieses Hauses bekannt ist, daß ein Streik nicht von heute auf morgen vom Zaune gebrochen werden kann; da muß die Zusage des Gewerkschaftsbundes vorliegen; auch hier spielen gesamtvolkswirtschaftliche Interessen eine große Rolle. Ich möchte das denen sagen, die heute meinten, daß die Gewerkschaften hier nur Machtansprüche stellten.. Ich glaube, daß diejenigen, die nun dauernd die Gewerkschaft ausschalten möchten, nicht im geringsten die Rolle erkannt haben, die die Gewerkschaft in der Vergangenheit gespielt hat. Sie war es doch, die sich mit eingesetzt hat, daß das ganze Wirtschaftsleben wieder in Gang kam. Denken Sie an die Parolen „Der Bergmann zuerst!", die überall zu lesen waren, und daran, welcher Einfluß der Gewerkschaft dahintersteckte, die Bergarbeiter mit an die Arbeit zu bringen.
Ich glaube, daß man hieraus erkennen kann, wie sehr der schaffende Mensch Mittelpunkt der ganzen Gesellschaft ist. Diese ganze Gesellschaftsordnung wird nicht eher ein sicheres Gefüge haben, als bis dieser schaffende Mensch wieder in den Mittelpunkt der Gesellschaft gerückt ist und bis der Arbeiter als Mensch in dieser Gesellschaft geachtet wird. Dafür kämpft die Arbeiterschaft mit den Gewerschaften. Ich möchte das allen denen sagen, die glauben, eine Trennung vollziehen zu können zwischen den arbeitenden Menschen in den Betrieben und der Gewerkschaft.
In diesem Sinne werden wir bei der Beratung des Gesetzes im Ausschuß unsere Anträge einbringen.