Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ziffer 78, - 79, - 80, -81, - 81a. Damit wäre der Art. 1 erschöpft. Wer für diese eben noch aufgerufenen Ziffern ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Es ist angenommen.
Nunmehr rufe ich auf Art. 2 in derselben Art, wie Art. 1 aufgerufen wurde. I. Ziffer 1, - 2, - 3, -4, - 5, - 6, - 7, - 8, - 9, - 10, - 11.
— Zu Ziffer 11 hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Reismann.
Dr.' Reismann : In § 91 ist vorgesehen, daß, falls die Parteien in einem Prozeß sich nur über die Hauptsache verständigt haben oder besser: falls die Hauptsache auf andere Weise erledigt ist, das Gericht ohne Berücksichtigung der formalen Rechtslage nach billigem Ermessen entscheiden soll. Ich schlage vor, diesen Satz zu streichen. Es muß auch dann, wenn die Hauptsache erledigt ist, über die
Kosten, die dann noch zur Entscheidung stehen, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen entschieden werden. Bei den unter Umständen sehr erheblichen Objekten bedeutet es nicht etwa eine Verbesserung der Rechtspflege, wenn man von dem Verfahren nach dem normalen und strengen Recht abgeht, sondern eine Verschlechterung. „Nach billigem Ermessen", das bedeutet die Erlaubnis zur Bequemlichkeit für das Gericht; das bedeutet, daß man aus dem Ärmel schüttelt und über den Daumen peilt, daß man über Hunderte oder Tausende von Kosten frei entscheiden darf. Eine solche Ermessensentscheidung, ohne irgendeinen Beweis zu erheben — auch die schlichteste Form des Beweises wird durch diese Formel überflüssig —, eine Entscheidung, ohne sich sogar an die Rechtsvorschriften zu halten, diese Entscheidung nach billigem Ermessen bedeutet die Erlaubnis, vom geschriebenen Recht abzuweichen, das bedeutet, daß man über Tausende von Mark entscheiden kann unter Außerachtsetzung des geschriebenen Rechts, obwohl dabei unter Umständen eine Verzögerung nicht um eine Stunde Platz greifen, würde. Denn ob eine Rechtsnorm angewandt werden soll oder nicht, dafür bedarf es überhaupt keiner Beweiserhebung. Man sage nicht, es soll nur von Beweisen abgesehen werden. Es kann nach der Vorlage schlechthin nach billigem Ermessen, also gegen das geschriebene Recht, entschieden werden.
Ich konnte bei der Beratung dieser Angelegenheit im Ausschuß nicht dabei sein, aber ich glaube nicht, daß man sich der Tragweite dieser Worte bewußt geworden ist, meine Damen und Herren Kollegen. Ich glaube sicherlich nicht, daß es in der Absicht irgendeines Mitglieds des Rechtsausschusses liegt, von dem klaren geschriebenen Recht abzusehen, sondern höchstens von Beweiserhebungen; und ich bitte Sie deswegen, diesen Paragraphen nicht in der vom Ausschuß vorgeschlagenen Form durchgehen zu lassen, sondern dem von mir soeben dem Herrn Präsidenten überreichten Abänderungsantrag Folge zu leisten, worin es heißt: „In diesen Fällen entscheidet das Gericht durch Beschluß", aber ohne daß dabei die Worte gebraucht werden: „nach billigem Ermessen". Es hat nach dem Recht zu entscheiden. Und bei großen Objekten — es kann sich ja um Millionen oder Tausende handeln — sind die Werte, über welche durch Kostenurteile entschieden wird, unter Umständen viel höher, als das beim Bagatellprozeß von, sagen wir einmal, einem Objekt von 500 bis 600 DM der Fall gewesen ist.
Ich habe selber wiederholt Gelegenheit gehabt, über große Objekte Prozesse zu führen, die sich erledigten, und gerade bei großen Objekten findet im Laufe des Prozesses oftmals eine Erledigung statt. Die Beteiligten sind gerade bei größeren Objekten meist nicht so in den Streit verbissen, sondern einsichtig und verständigen sich oder erledigen die Hauptsache. Dann ist noch über die Kosten zu entscheiden, und gerade diese Kostenentscheidung muß nach dem Recht und nicht aus dem Ärmel geschüttelt nach irgendwelchen Vorstellungen von Recht und Billigkeit erfolgen. Entscheidung nach billigem Ermessen, das sieht so aus, als ob Recht und Billigkeit etwas anderes wären. In Wirklichkeit sollte es doch dasselbe sein, und wir bemühen uns, es so einzurichten, daß Recht und Billigkeit sich decken.
Ich möchte deshalb mit allem Nachdruck der vorliegenden Fassung widersprechen. Sie ist in der britischen Zone seit ungefähr eineinhalb Jahren in Gebrauch, und ich habe persönlich in meiner Anwaltspraxis oft die schlechtesten Erfahrungen da-
mit gemacht. Danach glaubte jeder Amtsrichter sich für berechtigt halten zu dürfen, das Recht aus dem Ärmel zu schütteln, und so, wie er es sich vorstellte, sollte es dann Recht sein.