Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Man muß schon sagen, dab der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, der uns hier vorgelegt worden ist, von einer wirklichen Grundsatzlosigkeit zeugt. Ich hatte bei einer fruheren Debatte bereits Gelegenheit, auf einen alten Aufruf der Sozialdemokratischen Partei hinzuweisen, der u. a. auch den N amen des gleichen Herrn trug, dessen Name heute unter dem Abanderungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion steht, namlich des Abgeordneten Ollenhauer. In jenem Aufruf im Jahre 1934 wird als eine der Grundlehren der Erfahrungen der Weimarer Republik und ihrer Justiz die Streichung des Grundsatzes der Unabsetzbarkeit der Richter verlangt. Das war eine der wesentlichen Erkenntnisse der Sozialdemokraten in den Konzentrationslagern und in der Emigration. Heute, im Jahre 1950, ist dieser Grundsatz langst vergessen, und man bemüht sich, solch eine wirklich — man muß sagen — lächerliche Einschrankung an dem reaktionären Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter vorzunehmen wie die Fixierung der Altersgrenze auf 68 Jahre. Ich hatte vor kurzem die Gelegenheit, mit einem Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion über eine andere Grundsatzfrage zu diskutieren, und er gab mir auf meine Frage, wie sich denn die Entscheidung der Sozialdemokratischen Partei zu einem bestimmten alten Grundsatz der sozialistischen Arbeiterbewegung verhalte, zur Antwort: „Ja, es gibt erstens Grundsätze, und es gibt zweitens eine Parteidisziplin; und in diesem Falle haben wir uns nun einmal für die Parteidisziplin entschieden."
Es ist ein sehr betrübliches Zeichen für die Entwicklung der sozialdemokratischen Fraktion und der Parteiführung, daß man eine Parteidisziplin in den Himmel hebt, die nur basiert auf der Zerschlagung alter sozialistischer Grundsätze der deutschen Arbeiterbewegung. Ich denke, es würde sich wirklich lohnen, statt einen Bericht zu erstatten, wie wir ihn vorhin vom sozialdemokratischen Sprecher über 1 1/2 Stunden lang gehört haben, danach zu fragen, welche Lehren wir heute aus den Erfahrungen der Weimarer Justiz und der Hitler-Justiz zu ziehen haben. Davon war in der 1 1/2-stündigen Rede des Herrn Berichterstatters Dr. Greve keineswegs die Rede. Ich denke, die Erfahrungen aus jener Zeit zeugen davon, daß es ein falsches, ein gefährliches, ein undemokratisches Prinzip ist, der Justiz eine Sonderstellung über dem Staat, über dem Parlament, über dem Volk einzuräumen. Wir haben bekanntlich in der Praxis der Gerichte der Weimarer Zeit genügend erlebt, wie sich die Justiz zum willigen Werkzeug der reaktionärsten Elemente machte und wie sie schließlich darum konsequent auch zum bereitwilligsten Instrument der Hitlersehen Terrorpraxis geworden ist.
Es gibt einen Kontrollratsbeschluß, das Kontrollratsgesetz Nr. 4, in dem verlangt wird, daß alle jene Richter und Staatsanwalte, die wahrend der Nazizeit maßgeblich beteiligt waren an der terroristischen Urteilssprechung, aus den Diensten der Justiz zu verschwinden haben. Dieses Kontrollratsgesetz, das vom Oktober 1945 stammt und unter anderem von Eisenhower mitunterschrieben wurde, ist gröblichst vernachlassigt und mit Füßen getreten worden, sonst ware es nicht möglich, daß 90 % der Richter und der gleichgestellten Staatsanwalte, die unter Hitler ihren Dienst versehen haben, in höheren Funktionen sich auch heute in den Diensten der AdenauerRegierung befinden und sich den N amen einer demokratischen Justiz geben.
Das Prinzip der Unabsetzbarkeit der Richter ist eines der Grundprinzipien der antidemokratischen reaktionären Justiz und muß darum in einer wirklichen demokratischen Ordnung beseitigt werden. Die Tatsache, dab die sozialdemokratische Fraktion sich auch hier im Schlepptau der Rechten des Hauses befindet, beweist, daß sie von ihren alten Grundsatzen abgegangen ist und nichts anderes als Leitmotiv ihres Handelns empfindet als die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen reaktionären antidemokratischen Ordnung unter amerikanischem Kommando.
Gestatten Sie mir, daß ich noch eine Bemerkung zum § 2 Abs. 3 dieses gleichen Artikels 1 mache. In diesem Absatz wird cue Verlängerung der Ausbildungszeit zwischen erster und zweiter Staatsprufung auf mindestens dreieinhalb Jahre verlangt. Besser hatte man auch hier nicht auszudrücken vermocht, wie sehr man sich die Justiz ais Klasseninstrument der reaktionärsten Schichten denkt. Sie haben kein Gefühl fur die Not der jungen Referendare, ebensowenig wie für die Not der übrigen Schichten der Jungakademiker! Es macht Ihnen nichts aus, daß die Absolventen der juristischen Fakultäten keine Aussicht haben, eine ordentliche Stellung zu bekommen. Es macht Ihnen nichts aus, daß darum die ausgebildeten Juristen in den ohnedies überfüllten Rechtsanwaltsberuf gedrängt werden. Hauptsache ist, das Privileg der herrschenden Schichten, das Privileg der Reichen auf die führenden Stellungen der Justiz wird gewährleistet. Ich frage Sie: welcher Arbeitersohn und welche Arbeitertochter kann es sich erlauben, eine siebenjährige Ausbildungszeit bis zur Richterreife aus eigenen Mitteln zu finanzieren?
Niemand kann das. Aber Sie wollen das nicht! Sie wollen, daß Ihre Justiz, die Sie über das Parlament, über die Legislative und Exekutive und isoliert über das Volk stellen, der kleinen Schicht, jener privilegierten Oberschicht angehört, die es seit je vermocht hat, den Staatsapparat zu lenken dm Sinne der großen Herren des Kapitals und der Finanzen. Darum auch hier der Vorschlag auf Erweiterung auf dreieinhalb Jahre Ausbildungszeit zwischen den beiden Prüfungen.
Ich erspare es mir, namens meiner Fraktion Anträge einzubringen,
die eine wirkliche demokratische Regelung dieser Grundfragen der Justiz beinhalten. Es würde bedeuten, vor diesem Forum Anträge zu stellen, über deren Ablehnung Sicherheit besteht, darum, weil Sie nicht wollen, daß die Justiz ein demokratisches
Organ wird. Wir beschränken uns deshalb darauf, diese beiden Artikel abzulehnen.