Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß zunächst mein Bedauern aussprechen, daß bei dieser wichtigen Debatte. die Regierungsbank überhaupt nicht besetzt ist und insbesondere der Herr Finanzminister nicht anwesend ist.
Ich hätte ihn einiges zu fragen.
Ich muß weiter mein Bedauern darüber aussprechen, daß wir in einem Zeitpunkt, in dem wir nach allen Versprechungen mit Recht erwarten durften, über das Lastenausgleichsgesetz debattieren zu können, heute lediglich über ein sogenanntes Feststellungsgesetz sprechen. Wenn Sie das Gesetz allerdings selber lesen und nicht die Erklärungen dazu nehmen, die ein Teil der Antragsteller heute abgegeben hat, so könnten Sie auf die Frage kommen: Was hat dieses Gesetz denn überhaupt mit dem Lastenausgleich zu tun? Denn wenn Sie nur das Gesetz selber lesen, so hören Sie zwar von Behörden, Kontrollausschüs-
sen und Beschwerdeinstanzen, deren Kosten natürlich getragen werden müssen und die eingerichtet werden sollen, Sie hören von Bescheiden, die in Rechtsmittelverfahren aller Art zustande kommen; Sie lesen aber kein Wort darüber, was denn diese so feierlich zustande gekommenen Bescheide, was diese Papierehen überhaupt zu besagen haben sollen. Wenn Sie das Gesetz lesen, so haben Sie den Eindruck, als wäre es ein Glasperlenspiel, das um der reinen Kunst der Feststellung halber betrieben wird, und Sie können nicht sagen, wohin das alles führen soll.
Nun, ein Teil der Antragsteller allerdings hat uns heute gesagt, das sei der erste und entscheidende Schritt zum Lastenausgleich.
Hier möchte ich aber von vornherein einer Meinung widersprechen, nämlich daß wir uns, wenn wir nur recht eifrig solche Feststellungsspiele betreiben, mit dem Lastenausgleich dann ruhig und geruhsam Zeit lassen können. Wir sind ganz anderer Ansicht in diesem Punkt. Ich fürchte allerdings sehr, daß das, was uns der Herr Kollege Wackerzapp vorhin vorgetragen hat, nicht nur beiläufig ein Leitfaden für Anfänger über das Gesetzgebungsverfahren war, sondern tatsächlich die Vorstellungen aufzeigte, die einige Leute darüber haben, wie sich der Lastenausgleich entwickeln soll.
Nun haben wir allerdings, wie gesagt, von dem Herrn Kollegen Wackerzapp gehört, daß dieses Feststellungsgesetz ein entscheidender Anfang des Lastenausgleichs sein soll. Wenn das der Fall ist, muß man sich fragen: in welcher Situation stehen wir denn eigentlich? Die Regierung hat zusammen mit den Regierungsparteien vor einiger Zeit ein Kommuniqué über ihre Absichten zum Lastenausgleich der Öffentlichkeit übergeben. Ich sehe nur auf die zwei ersten Sätze dieses Kommuniqués:
Ausgangspunkt für alle Entschädigungen ist der festgestellte Schaden des Einzelnen, sei er Vertriebener oder Kriegssachgeschädigter. Über die Höhe der Entschädigung läßt sich heute noch nichts sagen, da die Höhe abhängt von der gesamten anerkannten Schadenssumme.
Soll das heißen — und offenbar soll es das heißen —, daß über wirkliche Leistungen aus dem Lastenausgleich überhaupt nicht gesprochen wird, bevor eine gesamte anerkannte Schadenssumme feststeht? Soll das heißen, daß eine Konkursquote ausgeschüttet wird, die über Arme und Reiche, über Starke und Schwache gleichmäßig herabträufelt? Und welcher Art kann denn diese Konkursquote sein? Was bedeutet denn diese Konkursquote, die auf einer gesamten anerkannten Schadensfeststellung beruhen könnte?
Ich will Sie nicht mit vielen Zahlen überschütten; aber einige Zahlen darf ich nennen, die ich der Einfachheit halber der Denkschrift des Finanzministers entnehme. Die Flüchtlingsschäden betragen 25 bis 30 Milliarden DM, wenn Sie die Geldschäden mitrechnen, die Sachschäden im Währungsgebiet vielleicht 28 Milliarden DM, die Verluste an Reichswerten, die nach diesem Gesetzentwurf auch festgestellt werden sollen, 30 Milliarden DM; von den übrigen Währungsschäden, die sich dann immer noch in der Größenordnung von 120 Milliarden DM bewegen, überhaupt nicht zu reden. Was für Vorstellungen darüber, welche
Konkursquote überhaupt herauskommen könnte, haben Sie denn? Wagen Sie es denn wirklich, einmal zu sagen, daß nach den Entwürfen und den Ziffern, die man aus dem Finanzministerium hat hören können, auf eine solche Schadenssumme vielleicht 1 % pro Jahr gezahlt werden könnte? Das ist noch nicht einmal eine Verzinsung, geschweige denn eine Tilgung, geschweige denn eine Konkursquote.
Wenn Sie hiervon ausgehen und solche festgestellten Summen zugrunde legen wollen, so frage ich weiter: kann denn an solchen Zahlen das wirkliche Gewicht der Verluste und das wirkliche Gewicht der daraus hervorgehenden Ansprüche richtig gewogen werden? Wo bleibt denn da dasjenige, was in Zahlen gar nicht zu fassen ist? Will man sich denn gar nicht klarmachen, was der Verlust der Heimat bedeutet, was es bedeutet, in der Mitte seines Lebens aus allem, was man geschaffen hat, aus allem, was man gekannt hat, herausgerissen, neu anfangen zu müssen? Glauben Sie, das in Zahlen und Konkursquoten und in Schadensfeststellungen festhalten zu können? Will man sich nicht klarmachen, was es für den jungen Menschen heißt, aus dem Elternhaus, aus der Heimat, aus allem, was ihn beschützt hat, aus allem, worin er verwurzelt war, herausgerissen, in diese heute besonders schlimme und gefährliche Welt hinauszukommen? Wollen Sie das in solchen Zahlen und Feststellungen festhalten, oder soll diese Feststellung, wie wir von Herrn Dr. Trischler gehört haben, nicht für den Lastenausgleich, sondern für höhere Zwecke dienen?
Es ist von Herrn Wackerzapp auch von dem ideellen Interesse gesprochen worden, das man daran hätte, künftigen Generationen beweisen zu können, wieviel Besitz man einmal gehabt habe. Offenbar wird das für eine besondere Ehre angesehen! Es ist vom Interesse für Reparationsfeststellungen usw. gesprochen worden. Halten Sie es wirklich für möglich, solcher Dinge halber die Soforthilfeämter lahmzulegen? Denn das passiert, wenn Sie ihnen, wie es hier vorgesehen ist, diese Feststellungen übertragen, diese in ihrer Bedeutung durchaus unbestimmten Feststellungen.
Ich will in diesem Stadium nicht über den Wert von Feststellungen sprechen, die sich auf Bescheinigungen von Landsmannschaften gründen; aber ich möchte darauf hinweisen, daß Bescheinigungen dieser Art denn doch schon in großem Umfang vorliegen. Ich habe hier ein Schreiben des Hilfsvereins Pinneberg für Kriegsgeschädigte — solche Schreiben können genau so gut von jedem anderen Kreisverein dieser Organisation kommen —, das darauf hinweist, daß allein schon in diesem Landkreis 25 000 solcher Anträge -registriert sind, die auch nichts anderes bedeuten als diese Feststellungen, die hier getroffen werden sollen. Mit Recht stellt man hier die Frage: Warum will man neue Formulare herausgeben und damit die Soforthilfeämter zusätzlich beauftragen? Ein neuer Beamten- und Angestelltenapparat wird in kostspieliger Weise aufgezogen, und Papier- und neue Druckkosten zu Lasten der Steuerzahler werden verursacht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sozialdemokratische Partei hat es sich immer und in erster Linie zur Aufgabe gemacht, für die Flüchtlinge, für ihre Ansprüche und für die Ansprüche aller Geschädigten zu sprechen. Die Sozialdemokratische Partei lehnt es ab, sich zum
Sprachrohr von Funktionären von Flüchtlings-und Geschädigtenverbänden zu machen, deren Funktion offenbar darin gesehen wird, den Flüchtlings- und Geschädigtenbegriff zu verewigen, der schon längst verschwunden sein sollte, wenn es mit rechten Dingen zuginge.
Wir wollen uns nicht auf einen Weg drängen lassen, auf dem der Lastenausgleich .n einem Interessengegensatz zwischen den verschiedenen Geschädigtengruppen, die alle gleichen Anspruch auf unsere Hilfe und unser Verständnis haben, ersticken muß.
Wir wünschen die Situation zu klären. Ich möchte daher folgende Fragen an die Regierung stellen: Ist es die Absicht der Regierung, von dem Grundsatz, daß das Stichtagsvermögen des 20. Juni 1948 dem Lastenausgleich unterliegt — ein Grundsatz, zu dem wir uns in Frankfurt mehrfach einstimmig bekannt haben —, abzugehen? Beabsichtigt sie, die größere Hälfte der Lastenausgleichsfinanzierung auf laufende Steuergelder, auf Zahlungen, die auf andere Steuern verrechnet werden, auf die allgemeine Fürsorge abzuwälzen, und beabsichtigt sie, auf diese Weise der Abwälzung auf die Schultern der breiten Massen Tür und Tor zu öffnen?
Zweitens: Ist es die Absicht der Regierung, die Leistungen der Soforthilfe auf etwa die Hälfte zu kürzen und wegen des Restes dieses so mühsam errungenen Rechtsanspruchs für die Armen und Schwachen wieder auf die Fürsorge zu verweisen?
Drittens: Sind in den Plänen der Regierung überhaupt Mittel für Vermögensentschädigungen, wie sie hier in Frage kommen könnten, vorgesehen? Wenn ja, welche Quote würde sich denn nach diesen Grundsätzen hier errechnen; und noch einmal: wenn ja, beabsichtigt man, diese Quote in gleichmäßiger Gerechtigkeit eines Konkursverwalters oder auch Finanzministers auf Arme und Reiche gleichmäßig niederregnen zu lassen? Und wenn nein, wie ist denn nun die Stellungnahme der Regierung zu diesem Gesetz? Was bedeutet denn dann dieses Gesetz?
Herr Bundesfinanzminister und meine Herren von der Bundesregierung, diese Fragen werden nicht im Protokoll hier vermodern, sondern sie werden Ihnen so lange wiederholt werden, bis Sie eine eindeutige Antwort darauf gegeben haben und die Folgen dieser Antwort auch auf sich nehmen. Die Sozialdemokratische Partei möchte es in aller Deutlichkeit klarmachen, daß sie allen Versuchen, eine Minderung der Soforthilfeleistungen, die immerhin das Allermindeste sind, mit Ablenkungsmanövern, Feststellungsmanövern und anderen Berechnungsmanövern in die Wege zu leiten, schärfsten Widerstand entgegensetzen wird. Unserer Ansicht nach sind, wenn die Mittel knapp sind -- und sie werden immer zu knapp sein —, nicht Arme und Schwache, Große und Kleine vor der Konkursquote gleichzusetzen, sondern wir müssen zwischen denen, die wirklich geschädigt, die wirklich an der Wurzel getroffen sind, und denen, die irgendwann einmal etwas verloren haben, unterscheiden. Wir sind gegen eine Schadensfeststellung zur Ablenkung von der eigentlichen Lastenausgleichsaufgabe.
Wir halten ein Feststellungsverfahren erst dann
für sinnvoll, wenn feststeht, was geleistet werden soll, nach welchen Gesichtspunkten es geleistet werden soll und was festzustellen deswegen notwendig und zweckmäßig ist.
Wir wünschen nicht die Feststellung von Vermögensverlusten, sondern die Feststellung der Leistungen und Abgaben des Lastenausgleichs. Mit andern Worten: Wir wünschen kein Feststellungsgesetz, wir wünschen das Lastenausgleichsgesetz!
Und um das ganz klar zu machen und Ihnen auch Gelegenheit zu geben, klar dazu Stellung zu nehmen, habe ich die Ehre, Ihnen den Antrag der Abgeordneten Reitzner, Frau Krahnstöver, Matzner, Zuhlke, Ollenhauer und Fraktion der SPD vorzulegen. Er heißt:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Bundestag bis zum 1. September 1950 den Gesetzentwurf über den Lastenausgleich vorzulegen.
Ich darf den Antrag übergeben. Meine Damen und Herren! Sie haben eben aus dem Munde des Herren Finanzministers gehört, daß technische Bedenken gegen diesen Termin nicht geltend gemacht werden können.