Rede von
Oskar
Wackerzapp
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz über die Feststellung kriegsbedingter Vermögensverluste, Drucksache Nr. 1140. das wir Ihnen vorgelegt haben, ist nicht etwa eine flüchtige Improvisation, sondern im Gegenteil das Ergebnis einer sehr langwierigen
und eingehenden fachlichen Arbeit der Sachkundigen, insbesondere aus den Kreisen der Vertriebenenorganisationen. Der Grund dafür, daß wir das Gesetz nicht eher eingebracht haben, liegt darin, daß wir glaubten, die Regierung würde die Initiative ergreifen. Zehn Monate sind es jetzt her, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung versichert hat, die Herbeiführung eines sozialen Lastenausgleichs sei eines der dringendsten Erfordernisse. Wir haben nun den Eindruck, als ob die zur Ausführung dieser Worte berufenen Regierungsstellen sich nicht mit der erforderlichen Wärme und mit dem notwendigen Eifer hinter die Einlösung dieses Versprechens gestellt hätten. Erst zu Beginn dieses Jahres hat der Herr Bundesfinanzminister dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit eine urn-fangreiche Denkschrift über den Lastenausgleich vorgelegt. Sie enthielt im wesentlichen das wertvolle wissenschaftliche Gedankengut, das der Frankfurter Wirtschaftsrat und die Gutachterkommission sich in langwierigen Beratungen erarbeitet hatten. Aber es fehlte der zur Ausmünzung dieses wissenschaftlichen Schatzes erforderliche konstruktive Gesetzesvorschlag, durch den erst die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis hätten übergeführt werden können. Deswegen ist es notwendig, daß auf diesem Gebiet endlich etwas Durchgreifendes geschieht.
Nun sind wir der Meinung, daß der Lastenausgleich ein Problem von so umfassender Bedeutung ist, daß er nicht allein vom Finanzministerium gelöst werden kann. Deshalb sehen wir mit einiger Sorge dem Entwurf entgegen, den nunmehr das Finanzministerium zum Lastenausgleich vorbereitet hat. Wir sind der Ansicht, daß das Lastenausgleichproblem nicht die Angelegenheit eines einzigen Ressorts sein darf, daß es nicht durch noch so hochwertige finanztechnische Sachverständige gemeistert werden kann, sondern nur in einer großen staatsmännischen Gesamtkonzeption, getragen von sozialpolitischem Verantwortungsgefühl, aber auch vermischt mit einem Tropfen Herzblut. Denn der Lastenausgleich ist besonders für uns Heimatvertriebene nicht eine Frage, die sich lediglich im materiellen Bereich erschöpft, sondern eine Angelegenheit, die auch auf ideelle und psychologische Gebiete übergreift.
Wir sind nun der Meinung, daß der Lastenausgleich dringend in Angriff genommen werden muß. Die Linderung der Not unter den Vertriebenen und auch unter den Fliegergeschädigten erduldet keinen längeren Aufschub. Die Entwicklung zum Radikalismus ist unübersehbar. Sturmzeichen zeigen sich am Horizont. Ich brauche nur das Wort Schleswig-Holstein zu erwähnen. Deshalb muß alles getan und darf nichts unterlassen werden, was den Lastenausgleich schnell in eine gesetzgeberische Form bringen kann und auch seinen praktischen Vollzug zu sichern in der Lage ist. Zu diesem Zweck haben wir unser Feststellungsgesetz als eine wesentliche Grundlage für den künftigen Lastenausgleich, die unbedingt vorweg erarbeitet werden muß, eingereicht.
Nun hat auch die Regierung in ihrem Entwurf zum allgemeinen Lastenausgleichsgesetz vorgesehen, daß eine Feststellung der Vermögensschäden eintreten soll. Aber dies kann doch erst dann erfolgen, wenn das große allgemeine Lastenausgleichsgesetz endgültig durchgesetzt worden ist. Hierbei bitte ich jedoch zu bedenken, daß ich den Optimismus, als ob das große allgemeine Lastenausgleichsgesetz schnell zur Tat werden könne, in keiner Weise teilen kann. Dazu ist das Problem viel zu tiefgreifend und zu umfassend. Es greift über in die allgemeine Staatspolitik, in die Sozialpolitik, in das Geld- und Kreditwesen und hat auch außenpolitische Ausstrahlungen. Zu den in der Natur der Sache liegenden Schwierigkeiten treten aber zusätzlich noch die in dem kunstvollen, aber komplizierten Gang unserer Gesetzgebungsmaschinerie enthaltenen Hemmungen. Ich bitte Sie, einmal ganz kurz zu verfolgen, wie sich mutmaßlicherweise das allgemeine Lastenausgleichsgesetz parlamentarisch entwickeln wird. Wenn der Herr Finanzminister seinen Referentenentwurf im Kabinett durchgesetzt haben wird — so ganz einfach wird es auch dort nicht sein, weil von den verschiedenen Ressorts dazu besondere Bedenken oder Vorschläge zu erwarten sind —, geht der Entwurf an den Bundesrat. Der Bundesrat, dessen sachkundige und hochwertige Arbeitsweise wir kennen und schätzen, wird zu vielen Punkten aus guten Gründen Bedenken erheben und selbständige Vorschläge machen. Danach wird die Gegenäußerung des Bundesrats der Regierung zugeleitet. Sie nimmt dazu Stellung. Die Angelegenheit kommt schließlich vor das Plenum, und nun wandert sie üblicherweise in die Ausschüsse. Da setzt nun eine weitere zeitraubende Hemmung ein. Die Last, die wir uns selber über die Maßnahmen des Grundgesetzes hinaus noch aufgebürdet haben, nämlich daß wir die einheitliche politische Willensbildung aus dem Plenum überwiegend in die Ausschüsse — in 39 Ausschüsse — verlagert haben, kommt nunmehr zum Tragen. Nach der Geschäftsordnung wird das allgemeine Lastenausgleichsgesetz etwa folgenden Ausschüssen überwiesen werden: dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen — wegen des Blicks nach dem Osten hin —, dem Ausschuß für Berlin, dem Haushaltsausschuß, dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen, dem Ausschuß für Geld und Kredit, dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik, dem Ausschuß für Lastenausgleich, dem Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen, dem Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft, dem Ausschuß für Sozialpolitik, dem Ausschuß für Heimatvertriebene, dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, dem Ausschuß für Bau-und Bodenrecht.
Das sind also 14 Ausschüsse.
— Meine Damen und Herren! Ich bitte, darauf aufmerksam machen zu dürfen, daß dieses die nach der Geschäftsordnung zu erwartende Entwicklung ist.
Nun kennen und schätzen wir alle die Arbeit unserer Ausschüsse. Wir wissen, was hier für eine ungemein große Leistung vollbracht wird, die in der Öffentlichkeit niemals Anerkennung findet. Aber wir kennen auch die Schatten dieser Vorzüge, daß nämlich unsere Ausschüsse sehr viel Zeit brauchen, um zu einem Ergebnis zu kommen. In dieser schwierigen Materie des Lastenausgleichs wird das ganz besonders der Fall sein.
Nun werden sich die Zuständigkeiten überschneiden. Es kommen Voten der verschiedenen Ausschüsse mit unvereinbarem Inhalt heraus, die koordiniert und auf einen Nenner gebracht werden müssen. Wenn dies alles gelungen ist, dann kommt die ganze Angelegenheit endlich vor das Plenum. Wir finden dann als Material vor: den Gesetzentwurf der Regierung, die Gegenerklärung des Bundesrates sowie die Stellungnahme der
Regierung, weiter die Voten und Gegenvoten von 14 Ausschüssen und, was wir nicht vergessen wollen, einige Zentner oder Tonnen von Denkschriften, Protestresolutionen und von Statistiken, was wir nun alles hier verarbeiten sollen.
Es wird des ganzen taktischen Geschicks - oder ich darf viel besser sagen: der ganzen diplomatischen und strategischen Kunst unseres Präsidenten bedürfen, das Schiff der Gesetzgebung so zu steuern, daß es wirklich den rettenden Hafen erreicht. Aber wenn wir nun auch hier im Bundestag durchgekommen sind, geht das ganze Gesetzeswerk doch noch an den Bundesrat. Er muß ja seine Zustimmung geben. Dann setzt das geistvolle Geschicklichkeitsspiel des Art. 77 des Grundgesetzes ein, um eine Koordinierung zu erzielen. Wenn wir das endlich erreicht haben, dann muß letzten Endes auch die Hohe Kommission noch ihr Einverständnis dazu geben. Da vieles ins währungspolitische Gebiet hinüberspielt und wir jetzt bereits erlebt haben, daß schon bei einem so relativ einfachen Problem wie der Spareraufwertung große Hemmungen sowie staatspolitische Verwicklungen zu erwarten sind, braucht man keine große Phantasie zu haben, um sich vorzustellen, daß das endgültige Lastenausgleichsgesetz auch beim besten Willen aller Beteiligten nicht schnell über die Bühne gehen kann.
Es ist aber dringend notwendig, daß dennoch bald etwas geschieht. Die Not unter den Vertriebenen ist riesengroß. Für viele von ihnen ist der Lastenausgleich die letzte Hoffnung und der letzte Halt, der sie vor dem Versinken ins Proletariat und in die Deklassierung bewahren soll. Diese Kreise dürfen nicht enttäuscht werden, und es darf kein Mittel unversucht bleiben, um die endgültige Gestaltung des Lastenausgleichs möglichst rasch durchzuführen.
Diesem Zweck soll nun unser Gesetz dienen, das einen wichtigen Bestandteil, eine technische Voraussetzung des allgemeinen Lastenausgleichs vorwegziehen will. Wir sind der Meinung, daß der echte Lastenausgleich, wenn er mit dem Begriff des Rechts und der Gerechtigkeit vereinbar sein soll, auf einer individuellen Feststellung der erlittenen Verluste fußen muß, die nach bestimmten Grundsätzen zu erfolgen hat. Ich möchte auf den Inhalt unserer Vorlage nicht im einzelnen eingehen, sondern nur darauf hinweisen, daß wir in unserem Gesetz nicht etwa eine Aussage darüber machen wollen, ob, in welcher Höhe und in welcher Art etwa die von uns festgestellten Vermogensschäden auszugleichen sind. Das alles ist die Aufgabe des endgültigen und allgemeinen Lastenausgleichsgesetzes. Der Sinn unseres Gel setzes ist mehr statistischer Natur; es sollen die Daten festgehalten werden, die nachher die Grundlage für ' die endgültige Gestaltung des Lastenausgleichs bilden sollen. Weher wollen wir in unserem Gesetz, daß die Wertbemessung möglichst einfach stattfindet. Die Pauschalierung soll in weitem Umfang Platz greifen. Wir wollen für die Feststellung auch keine aufgeblähte Verwaltungsbürokratie haben, sondern wünschen, daß die Organisationen der Vertriebenen und der Fliegergeschädigten weitgehend selbstverantwortlich eingeschaltet werden.
Ich darf zum Schluß kommen, indem ich darauf hinweise, daß wir Heimatvertriebenen über den materiellen Charakter und über die finanzielle Bedeutung hinaus auch noch ein ideelles Interesse an dem Gesetz haben. Wir Vertriebenen sind vielfach infolge des unmenschlichen Zwanges, unterdem die Austreibung erfolgt ist, zerrissen und zerlumpt hier im Westen angekommen, und bei der oft verblüffenden Unkenntnis der heimischen Bevölkerung über die Verhältnisse im Osten hat man oft geglaubt, uns als ein kümmerliches Pack ansehen zu können, das immer in armseligen Verhältnissen gelebt hat. Und wenn man beteuerte, man habe früher bessere Zeiten gekannt, dann wurde das oft mit mitleidigem Lächeln abgelehnt. Es ist auch für die Erhaltung des Selbstgefühls und der Selbstachtung der Vertriebenen durchaus wichtig, daß sie nunmehr eine Bescheinigung in die Hand bekommen, wodurch sie nachweisen können, daß auch sie früher einmal Männer von Einkommen, Besitz, Vermögen und sozialer Geltung gewesen sind.
Deswegen richte ich an Sie die Bitte, diesem unserem Gesetzentwurf zuzustimmen, der in keiner Weise dem materiellen Lastenausgleichsgesetz vorgreifen soll, sondern so gestaltet ist, daß er in die künftige Konzeption systematisch eingefügt werden kann. Dieser unser Gesetzentwurf ist ein geeignetes, taugliches, aber auch notwendiges Instrument, um die Lastenausgleichsgesetzgebung an den Punkten, wo es überhaupt möglich ist, vorwärtszutreiben und zu positiven Erfolgen zu führen. Wir bitten Sie, unseren Antrag den zuständigen Ausschüssen, aber mit weiser Beschränkung nur dem Vertriebenenausschuß und dem Lastenausgleichsausschuß zu überweisen, wobei der Lastenausgleichsausschuß die Federführung haben soll.