Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion möchte ich folgende Erklärung abgeben.
Am 1. Juli 1950 hat die Bundesregierung willkürlich und ohne die gesetzlich vorgeschriebene vorherige Befragung des Bundestags die Brotgetreidepreise heraufgesetzt. Alle Voraussagen und Versprechungen der Bundesregierung, daß diese Preiserhöhung für Brotgetreide durch Verringerung der Verdienstspannen des Handels, der Mühlen und der Bäcker abgefangen werden und daher zu keiner Verteuerung des Brotes führen werde, haben sich als trügerisch erwiesen. Die willkürliche Erhöhung des Brotgetreidepreises hat vielmehr zu einem Chaos auf dem Brot- und Mehl-
markt und zu einer unerträglichen Verteuerung praktisch aller Brotsorten geführt.
Nach der Erklärung des Herrn Stellvertreters des Bundeskanzlers von heute steht nunmehr fest, daß die Bundesregierung nicht gewillt ist, das Versprechen zu halten, das der Herr Bundeskanzler wiederholt der Bevölkerung und insbesondere auch den Gewerkschaften gegeben hat. Die Regierungserklärung beweist auch, daß die Bundesregierung nicht beabsichtigt, dem Beschluß des Bundestags vom 14. Juli 1950 Rechnung zu tragen,
nach dem der Brotpreis durch das Mittel der Subventionen auf dem alten Stand gehalten werden sollte. Die Preise in der jetzt von der Bundesregierung dem Bundestag vorgelegten Anordnung über die Festsetzung von Getreidepreisen entsprechen im wesentlichen den Preisen die die Regierung am 1. Juli 1950 festgesetzt hat und die zu der gegenwärtigen Brotverteuerung geführt haben.
Wenn die Regierung jetzt nachträglich die Zustimmung des Bundestags zu der Getreidepreiserhöhung einholen will, so versucht sie damit, die Verantwortung für die von ihr verschuldete Situation dem Bundestag zuzuschieben.
Alle Versuche der Regierung, die Brotverteuerung durch Qualitätsverschlechterung des Brotes zu verschleiern oder den Brotpreis nur für ein sogenanntes Konsumbrot festzuhalten, ihn im übrigen aber steigen zu lassen, insbesondere für Weizenbrot und Gebäck, werden von uns abgelehnt.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bekennt sich nach wie vor zu dem Grundsatz der Stabilisierung der Brotgetreidepreise. Dabei müssen die Preise so festgesetzt werden, daß sie den Lebensinteressen von Erzeugern und Verbrauchern gerecht werden.
Dieser Grundbedingung entspricht nur eine Getreidepolitik, welche die völlige Aufrechterhaltung der bisherigen Brotpreise ohne jede Qualitätsverschlechterung ermöglicht. Da die Erklärung des Herrn Stellvertreters des Bundeskanzlers und die Anordnung über die Festsetzung von Getreidepreisen dieser Grundbedingung nicht entsprechen, lehnt die sozialdemokratische Fraktion diese Anordnung ab.
Im Anschluß an diese Erklärung möchte ich dem Hohen Hause noch von einem Telegramm des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes von heute an den Herrn Stellvertreter des Bundeskanzlers Kenntnis geben. In diesem Telegramm heißt es:
Die Tagespresse berichtet heute morgen übereinstimmend, der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard habe vor der Fraktion der CDU/ CSU erklärt, mit den Gewerkschaften solle ein Einvernehmen in der Brotpreisfrage erzielt worden sein. Sollte der Bundeswirtschaftsminister eine solche Erklärung abgegeben haben, so entspricht sie nicht den Tatsachen.
Bundesvorstand und Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes haben sich zu keinem Zeitpunkt mit der Einführung eines sogenannten Kompromißbrotes einverstanden erklärt, sondern auf der Einlösung des Kanzlerwortes und der Durchführung des Bundestagsbeschlusses über Subventionen für Brotgetreide bestanden. Für seine 5 Millionen Mitglieder.
welche mindestens 20 Millionen Verbraucher in der Bundesrepublik umfassen, erheben wir erneut schärfsten Protest gegen die Verteuerung des Brotes und gegen alle bisherigen Maßnahmen der Länder, Preis- und Qualitätsbestimmungen für ein neues Konsumbrot festzulegen. Die Verbraucherschaft der Bundesrepublik will kein sogenanntes ArmeLeute-Brot,
sondern besteht bei ihrem schmalen Einkommen auf Durchführung des Bundestagsbeschlusses, welcher die Rückkehr zu den alten Brotpreisen ermöglicht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund erwartet für die deutschen Gewerkschaften den sofortigen Erlaß eines Höchstpreisgesetzes, um damit den unerträglich gewordenen Preissteigerungen auf allen Gebieten zu begegnen.
Das Telegramm ist unterzeichnet: „Der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Georg Reuter."
Schließlich möchte ich dem Hohen Hause im Namen der sozialdemokratischen Fraktion folgenden Antrag vorlegen:
Der Bundestag sieht in der Erklärung der Bundesregierung keine Erfüllung des Beschlusses des Bundestages vom 14. Juli 1950. Der Bundestag beauftragt die Bundesregierung, den Beschluß des Bundestags vom 14. Juli 1950 durchzuführen.
Die sozialdemokratische Fraktion beantragt ferner, über diesen Antrag namentlich abzustimmen.