Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben einigen selbstverständlichen technischen Forderungen, wie Erleichterungen der Paß- und Visumbestimmungen für Auslandsreisen und Erweiterung der Fahrpreisermäßigungen usw., enthält der uns vorgelegte Antrag - Programm für die Betreuung der deutschen Jugend — eine Reihe von Vorschlägen, die im einzelnen noch im Ausschuß beraten werden müßten.
Wir begrüßen und befürworten alle die Maßnahmen, die den deutschen Jugend- und Sportverbänden helfen, mit Jugendtreffen und echten sportlichen Veranstaltungen die deutsche Jugend für ihre Organisationen zu werben und zu begeistern. Wir begrüßen und fördern jede Art jugendlicher Gemeinschaftsbildung, die dem jungen Menschen im Kreise Gleichaltriger und Gleichgesinnter Erlebnisse und Erfahrungen vermittelt, die ihn vor der Vermassung schützt und ihm schon in jungem Alter das Gefühl für die Rechte und Pflichten gibt, die ihm in der Gesellschaft und in einem politisch freien demokratischen Staat gegeben bzw. auferlegt werden. Wir erwarten von der Bundesregierung und von den Länderregierungen, daß sie ihre Bemühungen um diese junge Generation in jeder Beziehung verstärken werden, für eine Jugend, die materiell durch den totalen Krieg und psychisch durch den Mißbrauch, den man im Hitlerreich mit ihr trieb, schwer geschädigt worden ist.
Hierzu gehört, daß man vor allem auch dem Teil der deutschen Jugend, der sich auch heute schon wieder in freien Verbänden um eine Neugestaltung jugendlichen Lebens bemüht, alle nötige Finanzhilfe, alle behördliche und alle menschliche Unterstützung gibt, die sie in die Lage versetzt, in anständigen Heimen unter ordentlichen Voraussetzungen ihre Gruppenabende, ihre Veranstaltungen, ihre Aussprachen und Treffen abzuhalten, daß man das Jugendwandern vor allem durch ein enges Netz von Jugendherbergen in Deutschland, aber auch über Deutschland hinaus durch den Fortfall des erschwerenden Visum- und Paßzwanges unterstützt.
Meine Damen und Herren! Die persönliche Beziehung zum Menschen der anderen Nation und der anderen Landschaft schafft doch erst die echte Verbindung, die zur Toleranz und zur Verständigung mit anderen Volksgruppen und Völkern führt.
Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ganz besonders die Bemühungen in Deutschland und im Ausland um den Austausch zwischen den jungen Menschen. Wir begrüßen es, daß man für sehr viele Gruppen, z. B. für die Studenten, generelle Erleichterungen schafft, möchten sie aber ausgedehnt wissen auf die Jugendlichen aus allen Schichten, d. h. auch auf die jungen Arbeiter.
Wir möchten die Kultusminister der Länder vor allem bitten, einen ständigen Schüleraustausch schon bei den jüngeren Jahrgängen als reguläre Schuleinrichtungen aller, also auch der Volks-, Berufs-, Ober- und Hochschulen einzurichten. Bedenken Sie bitte, daß fast 80 % unserer Jungen und Mädel durch die Berufs- und Volksschulen erfaßt werden und daß gerade diese im späteren Leben nur sehr wenig Möglichkeiten haben, aus eigener Anstrengung Auslandsfahrten unternehmen zu können. Ich bitte vor allen Dingen die deutschen Lehrer, sich dieser Aufgabe ganz besonders anzunehmen. Die Erziehung zur Einordnung in eine Fahrtengemeinschaft, der Reiz der Andersartigkeit der fremden Länder und seiner Bürger sind wesentliche pädagogische Faktoren. Sie fördern die charakterlichen Qualitäten, deren ein demokratisches Staatswesen bedarf, das diese jungen Menschen wenige Jahre später gestalten sollen.
Zu diesem Kapitel gehört auch die Unterstützung internationaler Jugendtreffen in Deutschland, die im Ausland das Verständnis für Deutschland weiter verbessern helfen.
In diesem Zusammenhang hoffen wir auch, meine Damen und Herren, daß es recht bald möglich sein wird, den § 4 des Reichsjugendwohlfahrtgesetzes als Pflichtaufgabe der Jugendämter wieder in Kraft zu setzen.
Die Anregungen des Antrages Nr. 1030 finden in vielen Punkten unsere Zustimmung. Wir verstehen jedoch nicht, daß die Freie Demokratische Partei als antragstellende und zugleich Regierungspartei nicht vor seiner Einreichung oder mindestens zugleich mit ihr bei der Regierung angemahnt hat, wieweit die vom Bundestag im April beschlossenen Sofortmaßnahmen zur Behebung der Not der berufs-, arbeits- und heimatlosen Jugend sind, die auf Grund eines sozialdemokratischen Antrages vorgeschlagen und vom Bundestag angenommen worden sind.
Diese Maßnahmen, meine Damen und Herren, wurden in sehr sorgfältiger und ernsthafter Arbeit vom Bundestags-Jugendfürsorgeausschuß zusammengestellt. Sie könnten wirklich sehr viel dazu tun, der Jugend zunächst das zu sichern, was die erste Voraussetzung aller weiteren Förderungsmaßnahmen sein muß, nämlich dem jungen Menschen die Sicherung seines Lehrberufs zu geben, ihm einen Arbeitsplatz zu schaffen, ihm das Dach über dem Kopf zu sichern nach dem unsteten Leben der Nachkriegsjahre.
Wir würden ferner sehr gern eine schnelle Verabschiedung unseres Antrages zur Kinderbeihilfe sehen, der die Sicherung des Kindes, des Jugendlichen und seiner Familie erstrebt.
Meine Damen und Herren! Die Anziehungskraft eines demokratischen Staates, der seinen Bürgern
und seiner Jugend nicht das Blendwerk der Massenaufmärsche mit Fackeln und Fanfaren anbieten will, um sie so geräuschloser um ihre Freiheit und in Zwangsarbeitsläger und KZ's zu bringen, — die Anziehungskraft dieses Staates besteht in der Sicherung der sozialen Existenz seiner Bürger und vor allem seiner jungen Bürger.
Sichtbare ernste Bemühungen auf diesem Gebiet würden das Vertrauen zum heutigen Staat ganz außerordentlich stärken.
Wir bemängeln in diesem Zusammenhang weiter, daß noch immer nicht ein einheitliches fortschrittliches Jugendarbeitsschutzgesetz vorgelegt worden ist, das die Arbeitskraft der Jugendlichen fördert und schützt. Hierin sehen wir einen sehr schweren Mangel der jetzigen Staatsführung, der jedoch, meine Damen und Herren, sich nicht nur auf jugendpolitisches Gebiet begrenzt, sondern im gesamten Raum der Sozialpolitik besteht.
In Anbetracht der bedrohlichen Nachbarschaft und der Ausbreitungstendenzen des Bolschewismus bitte ich Sie auch heute wieder, sich der vollen Tragweite einer unsozialen Politik bewußt zu sein. Von der Sozialdemokratie ist sehr oft darauf hingewiesen worden, daß das beste Bollwerk gegen den Totalitarismus faschistischer und bolschewistischer Prägung der soziale Staat, die soziale Demokratie ist. Das gilt auch besonders für die Lage der Jugend. Wir bitten deshalb noch einmal um einen genauen Bericht über die getroffenen Maßnahmen in dieser Beziehung.
In diesem Zusammenhang erkläre ich für meine Fraktion, daß die Punkte 4 und 5 des FDP-Antrages Nr. 1030 von uns entschieden abgelehnt werden.
Zum Punkt 4: Die Landarbeit muß im Rahmen eines ordentlichen Arbeitsverhältnisses gemacht werden. Das Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium muß sich zusammen mit den Bauernorganisationen einmal genau überlegen, wie man den ländlichen Beruf anziehender macht.
Denn darauf kommt es ja doch wohl an. Landflucht und das Widerstreben, eine Landarbeit anzunehmen, haben nicht zuletzt ihre Ursache in der schlechten Unterbringung der Hilfskräfte und in den schlechten Arbeitsbedingungen.
Dazu kommt, daß man sich in dörflichen Gemeindeverwaltungen noch immer nur sehr wenig darum bemüht, den gesteigerten kulturellen Ansprüchen auch der Landjugend etwas entgegenzukommen.
Hier liegt eine sehr dankenswerte Aufgabe für die Organisationen und die Selbstverwaltungskörperschaften.
Der Arbeitsdienst, meine Damen und Herren, der in Punkt 5 des FDP-Antrages noch schamhaft als „freiwillig" bezeichnet worden ist, der in einer Gesetzesvorlage der gleichen Partei vom 7. Juni im niedersächsischen Landtag aber schon unverhohlen ein Zwangsarbeitsdienst ist
und dem man den Pferdefuß des Reichsarbeitsdienstes der Nazizeit schon ansieht, wird schärfstens von uns bekämpft.
Wir sind sicher, daß wir die überwiegende Zustimmung der deutschen Jungen und Mädel finden.
Wir brauchen keine Notstandsarbeit, sondern echte Berufsausbildung. Wir brauchen echte Arbeitsplätze im Rahmen eines durchgreifenden Arbeitsbeschaffungsprogramms für unsere Achtzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen, damit sie ihr erlerntes Wissen weiterverwerten und sich vor allem ein Fundament für die Schaffung einer Familie bauen können.
Sie sollen nicht wieder mit geschultertem Spaten in Reih und Glied marschieren.
Die glatte Ablehnung dieser Art des Arbeitsdienstes hat jedoch nichts mit den Fürsorgemaßnahmen zu tun, die teilweise als Jugendaufbauwerk bezeichnet werden und die die entwurzelte und schon sozial gefährdete Jugend in der Nachkriegszeit in Aufnahmeheimen zusammenfaßten, ihnen dort ein neues Zuhause schafften und ihnen nach seelischer und körperlicher Gesundung dann Arbeits- und Lehrstellen zu vermitteln versuchten. Das ist eine soziale Tat, die unsere volle Unterstützung findet. Bei aller Förderung der ideellen Werte der Jugendarbeit erwarten wir nach wie vor die größten finanziellen Anstrengungen durch den Staat für eine gute, familienähnliche Unterbringung der Kinder und Jugendlichen, die an den Geschehnissen der letzten Jahrzehnte am schuldlosesten sind, ihre Eltern und Heimat verloren haben und Störungen erlitten, deren Auswirkungen erst in späteren Jahren sichtbar sein werden. Sichern wir der Jugend ein häusliches und ein Familienleben, eine Arbeits- und Berufsmöglichkeit! Aktivieren wir ihren Wissensdurst und ihre Lernfreude, die jeder junge Mensch hat! Der moderne Berufs- und Schulunterricht, der aufgeschlossene, gemeinschaftsfördernde Erzieher, die gut geleitete Volkshochschule, die in ein System von Heimvolkshochschulen, ähnlich wie es in Schweden und Dänemark ist, einmünden kann und die vor allen Dingen auch den Wissensdurst der Land- und Stadtjugend zu befriedigen vermag, dazu ein Ausbau der anregenden und fördernden Tätigkeit der Landesjugendämter für die Jugend, die noch nicht zu einer Organisation gestoßen ist, mit dem Ziel der Persönlichkeitsbildung werden, meine Damen und Herren, den jugendlichen Nachwuchs bilden, der nötig ist, um einen demokratischen und freiheitlichen Staat mit Leben zu erfüllen. Alles, was wir in dieser sicher sehr harten und sehr sorgenvollen Zeit an der Jugend unterlassen, wird das spätere staatliche Leben vervielfacht belasten.
Neben diesen Maßnahmen fordern wir, daß in allen Schulen und Universitäten die Soziallehre ein Lehrfach wird, ein Pflichtfach werden muß, damit auch von hier aus das Bewußtsein staatsbürgerlicher Notwendigkeiten und gesellschaftlicher Verpflichtungen vertieft wird. Die Demokratie und die Selbstverwaltung, meine Damen und Herren, kann in allen Altersstufen gelebt und auch gelehrt werden. Ich möchte Sie an die Stabilität der politischen Verhältnisse in den nordischen Staaten, in Amerika und England erinnern, die ihre Ursache nicht zuletzt darin hat, daß das demokratische Bewußtsein ihrer Bürger bei ihnen ständig geschult und erhalten wird. Auch unsere Jungen und Mädel müssen erfahren, daß es ohne Pflichten keine Rechte gibt. Sie müssen sie üben lernen. Aber eine gesunde junge Generation ist immer bereit, Pflichten, die ihrem Alter angemessen sind, zu erfüllen. Wir Erwachsenen müssen der Jugend wieder das Gefühl geben, nicht Untertanen, sondern Bürger ihres Staates zu sein,
an dessen Ausgestaltung sie mitwirken soll. Deshalb begrüßen wir auch die Bemühungen um die Annäherung der Staats- und Kommunaiverwaltungen an die Jugend, wie sie sich etwa im Städtetag dokumentiert hat, oder wie es in meiner Stadt, in Hamburg, geschieht, wo in einer Woche durch Öffnung aller Jugend-, Schul- und Kultureinrichtungen das Leben der hamburgischen Jugend und ihre Betreuung für die hamburgischen Bürger sichtbar gemacht wird.
Meine Damen und Herren! Die Jugend ist heute zweifellos ökonomisch, soziologisch und psychisch in einer so andersartigen Situation, daß es nötig ist, auf der Bundesebene eine leistungsfähige Zentral-
und Forschungsanstalt für Jugendfragen auf zubauen. Diese muß mit den modernen wissenschaftlichen Methoden, in Zusammenarbeit auch mit der ausländischen Wissenschaft, die während unserer Abgeschlossenheit im Hitler-Reich zu sehr wichtigen Erkenntnissen gekommen ist, die auftretenden Jugendprobleme gründlich studieren und sie vor allen Dingen auch für die Praxis auswerten. Sie müßte eine Koordinierungsstelle werden und zugleich anregend für die Länderjugendarbeit sein. Sie muß der Gesprächspartner für die Bundesjugendorganisationen, für die internationalen Einrichtungen werden, wie es zum Beispiel die UNESCO ist. Alle diese Dinge können heute noch nicht gemacht werden. Wir werden einen entsprechenden Antrag in Kürze nachreichen.
In Anbetracht des Umfangs der Aufgaben auf jugendpolitischem Gebiet, denen wir uns nicht entziehen können und nicht entziehen wollen, wenn unsere Jugend nicht in Passivität und Resignation zurückfallen soll — ich führte es bereits an anderer Stelle aus —, was zu einer Bedrohung der Entwicklung unseres Staates führen würde, fordern wir einen außergewöhnlichen Anruf an alle verantwortungsfreudigen und gutwilligen Deutschen. Im Namen meiner Fraktion mache ich Ihnen den Vorschlag, einen „Jugendgroschen" einzuführen, der freiwillig, vielleicht durch Aufkleben einer kleinen Marke auf Theater- und Kinokarten, bei Sport- und sonstigen geselligen Veranstaltungen, auf Wettscheinen usw., entrichtet wird. Viele Deutsche, die dazu noch in der Lage sind und denen die Sache der Jugend am Herzen liegt, werden bereit sein zu helfen. Dieser „Jugendgroschen" soll helfen, an den vielen Aufgaben, die vor uns liegen, etwas mitzutun. Gerade unsere Erwachsenengeneration ist es unserem Nachwuchs schuldig.
Wir schlagen die Verwaltung eines solchen „Jugendgroschens" in Form einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft vor, deren Zweckbestimmung und Zusammensetzung einer näheren Auseinandersetzung unterliegen müßte. Dieser „Jugendgroschen" soll kein Bettelgroschen sein. Reichere Länder wie die Schweiz und Schweden führen ähnliche Aktionen seit Jahren durch, und zwar manchmal in Form einer Sonderbriefmarke oder, wie in Schweden, in Form der Solsticka, der Sonnenhölzchen, als einer ständigen Einrichtung. Es sind Streichholzpäckchen, die bebildert sind, mit einem Aufschlag verkauft werden und deren Erträge für Jugend- und Kindereinrichtungen zusätzlicher Art verwendet werden. Der Jugendgroschen soll Ausdruck der Fürsorge sein und vor allen Dingen Ausdruck der Zusammengehörigkeit zwischen den erwachsenen und den jungen Bürgern unseres Landes. Ich glaube, das werden auch die Jungen verstehen, denen wir helfen wollen und von denen wir hoffen, daß sie einmal
die freiheitsbewußten Träger eines demokratischen und sozialen Staates werden.