Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 1030 fordert von der Bundesregierung die Vorlage eines Jugendprogramms, eines Programms für die wirtschaftliche, staatspolitische und kulturpolitische Betreuung der deutschen Jugend.
Es erhebt sich zunächst die Frage: Ist der Bund überhaupt kompetent für den damit zusammenhängenden Fragenkomplex? Die Zuständigkeit des Bundes leitet sich aus Art. 74 Ziff. 7 des Grundgesetzes her, der die Zuständigkeit für die öffentliche Fürsorge begründet. Es unterliegt auch nach dem Studium der Protokolle des Parlamentarischen Rates keinem Zweifel, daß die Jugendfürsorge unter die öffentliche Fürsorge im weitesten Sinne rubriziert werden kann.
Was fordert nun der Antrag im einzelnen? Es sollen zunächst im Rahmen dieses Jugendprogramms Veranstaltungen auf gesamtdeutscher Basis, und zwar auf kultureller und sportlicher Ebene, durchgeführt und einmal im Jahr ein „Tag der deutschen Jugend" veranstaltet werden. Wir wollen in der Bundesrepublik durch gesamtdeutsche Veranstaltungen in einer ehrlichen Form das Bekenntnis der Jugend zu unserem Staat zum Ausdruck bringen. Sehen Sie, in der Sowjetzone veranstaltet man Pseudofriedenstreffen und -tagungen, die mit ehrlichem Bekenntnis zu dem Staat und zur Demokratie schlechthin nichts zu tun haben.
Man verkündet dort die Idee der Befreiung Westdeutschlands vom kapitalistischen Joch des Petersbergs.
Nach dem Rezept von Gustave le Bon werden dieselben Sätze immer wiederholt. Man will eine Einheit Deutschlands unter Hammer und Sichel schaffen, und das ganze Problem wird mit einer Massenpsychose verbunden. Man gibt Millionen von Mark für dieses große Pseudofriedenstreffen in Berlin aus. Man versammelt einige Hunderttausend junger Menschen wie früher mit Tausenden von Fanfaren, Musikkapellen und dergleichen. Meine Damen und Herren, wer das Treffen der FDJ in Berlin erlebt hat, weiß, daß die Nationalsozialisten noch Amateure waren, daß Schirach ein Amateur war gegenüber der Methodik der Berufsrevolutionäre aus dem Osten.
Ich glaube, es ist Zeit, daß wir hier unser Bekenntnis zur deutschen Einheit in Freiheit ablegen, wobei
der Schwerpunkt auf dem letzten Begriff zu liegen hat.
Meine Damen und Herren, die Symbolik, die durch gesamtdeutsche Veranstaltungen zum Ausdruck kommt, soll auch schon in den Schulen eingeführt werden. Wir wollen dort nach Art der früheren Reichsjugendwettkämpfe der Weimarer Republik wieder sportliche Wettkämpfe durchführen. An einem Tag im Jahr soll die gesamte deutsche Jugend in den Schulen, in den Volksschulen, in den mittleren und in den höheren Schulen an solchen Jugendwettkämpfen teilnehmen. Der Sieger soll mit einem Diplom oder irgendwelchen anderen Auszeichnungen durch den Herrn Bundespräsidenten bedacht werden. Wir glauben, daß diese sportlichen Wettkämpfe dazu dienen werden, die Jugend schon sehr früh an den Staat heranzuführen. Man sollte auch die Symbolkraft einer Auszeichnung des Siegers durch das Staatsoberhaupt nicht unterschätzen und sich die guten Erfahrungen aus den Reichs-i ugendwettkämpfen der Weimarer Zeit zunutze machen.
Wir wollen auch, daß auf der Berufsebene Wettkämpfe stattfinden, weil wir der Meinung sind, daß Wettkämpfe stark anreizend wirken. Man sollte die Berufswettkämpfe wieder einführen, die ja zur Heranbildung eines höchstqualifizierten Nachwuchses in allen Gebieten dienen. Die Gewerkschaften und einzelne Länder sind schon dabei, diese Berufswettkämpfe wiederaufleben zu lassen. Man kann nicht sagen, diese Berufswettkämpfe seien typisch nationalsozialistischer Art, weil es einmal Reichsberufswettkämpfe unter der Führung der DAF gegeben hat. Das Kriterium dieser Berufswettkämpfe ist vielmehr ein sozialpolitisches und hat mit nationalsozialistischem Gedankengut gar nichts zu tun, es sei denn, daß man die Schulung einbegreift, die damals in die Reichsberufswettkämpfe hineingelegt wurde. Auf diesen Gedanken dürfte aber heute wohl niemand mehr kommen.
Was nun die Ziffern 4 und 5 des Antrags anlangt, so sind wir uns bewußt, daß darüber die Meinungen natürlich auseinandergehen. Was wollen wir mit der Einrichtung eines freiwilligen Landdienstes? Dieser freiwillige Landdienst soll mit dazu helfen, der Landwirtschaft die fehlenden 200 000 Arbeitskräfte zuzuleiten.
— Ich glaube, Sie haben das Gefühl,. daß Sie hier
Wind machen müßten, weil Sie anscheinend mit
Ihren Parteigängern in Berlin gleichgeschaltet sind.
— Lassen Sie das ruhig!
— Sie haben ja nachher die Möglichkeit, dazu zu sprechen.
Dieser freiwillige Landdienst soll also zunächst einmal Arbeitskräfte in die Landwirtschaft führen; er soll aber gleichzeitig die Möglichkeit der Heranbildung eines fachlichen Nachwuchses auf dem Gebiet der Landwirtschaft bieten. Meine Damen und Herren, wir haben hier mit dem studentischen Landdienst und mit dem jüdischen Landdienst der dreißiger Jahre gute Erfahrungen gemacht. Damals brauchten Studenten, die nach Palästina auswandern wollten, eine fachliche Ausbildung in der Landwirtschaft. Diese bekamen sie, indem sie für. mehrere Monate zu einem Bauern gingen. So wurde beiden
Teilen geholfen. Der Bauer hatte eine Arbeitskraft, und der Student lernte die Landwirtschaft und bekam sein Diplom. Ich glaube, etwas Ähnliches kann man heute dadurch durchführen, daß man den Bauern für die Einstellung von Nachwuchskräften besondere Vergünstigungen steuerlicher oder sonstiger Art gibt; denn die Belastung mit einem Lehrling ist natürlich nicht zu übersehen. Auf der anderen Seite aber sollte man dann auch dem jungen Landdienstmann für eine Absolvierung seiner Landdienstlehre ein Diplom geben, um ihn bevorzugt in gewisse Berufskategorien einreihen zu können.
Meine Damen und Herren! Auch noch ein anderer Gedanke wird vielleicht im Rahmen des Jugendprogramms zu diskutieren sein, und zwar die Frage der Meliorationen und der Schaffung von Siedlerstellen für die Landdienstjugend im Emsland. Ich bin mir dessen bewußt, daß das Emsland und der Name des Emslandes dadurch geschändet ist, daß man das Emsland in der Vergangenheit zur größten Menschenschändung mißbraucht hat. Aber das bedeutet nicht, daß man jeglichen Gedanken an Meliorationsarbeiten verneinen sollte. Im Gegenteil! Man sollte alles tun, um eben in dieser Gegend des Ems-landes, in dem Burtanger Moor, Land zu schaffen, vielleicht in großzügiger Absprache mit dem holländischen Nachbarn, um auf diese Weise dann Siedlerstellen für die freiwilligen Landdienste in diesem Emslandmoor zu schaffen. Man bekommt auf diese Weise eine Verbreiterung unserer Ernährungsbasis und man schafft viele tausend Siedlerstellen für ostdeutsche Bauernsöhne. Darum wird meine Fraktion darangehen, einen . Gesetzentwurf „Emsland" auszuarbeiten, den Sie Ihnen dann im Laufe der nächsten Monate nach eingehenden Beratungen mit dem Landeskulturamt Niedersachsen-Oldenburg und den verschiedensten Stellen vorlegen wird.
Der Punkt 5 sieht die Schaffung eines Jugendhilfsdienstes vor, und zwar eines freiwilligen Jugendhilfsdienstes mit dem Schwerpunkt auf der Berufsausbildung und mit der Selbstverwaltung in den einzelnen Heimen. Während beim Landdienst der Landdienstwillige in der Bauernfamilie wohnen soll, wird sich bei der Einrichtung des Jugendhilfsdienstes die Unterbringung in Heimen etwa in einer Zusammenfassung von 100 oder auch vielleicht 200 Jugendhilfsdienstwilligen nicht vermeiden lassen, aber stets unter Selbstverwaltung und demokratischer Wahl. Man wählt in diesen Heimen seine Sprecher, und schon dieses Kriterium gibt niemandem ein Recht, von einem Arbeitsdienst zu sprechen.
Wir leben in einer Zeit der Begriffsverwirrungen; Sie sehen ja gerade im Augenblick, wie schwer es ist, für den Begriff des Angreifers und des Angegriffenen allgemeingültige Definitionen zu finden. Mit dem Arbeitsdienst alter Prägung und marschierenden Bataillonen hat dieser Vorschlag des Jugendhilfsdienstes nichts gemein; und es ist eine Begriffsverwirrung ohnegleichen, ihn auf das alte Gleis zu bringen.
Was hat dieser Jugendhilfsdienst für einen Sinn? Er soll vor allem die berufliche Ausbildung der heimat- und elternlosen Jugend zum Endziel haben. Meine Damen und Herren, wir haben nach der Feststellung der Universität Tübingen schon über 100 000 herumstreunende Jungen und Mädchen. Wir haben durch den Verlust von vielen Millionen Vätern viele Millionen junger Menschen, die heimat- und elternlos sind; an Stelle des Vaters, des normalerweise üblichen Erziehungsfaktors, tritt
I nunmehr die Gemeinschaft, die gewisse erzieherische Aufgaben übernehmen muß. Wir glauben, es ist eine gute Lösung, wenn man diese heimat- und elternlose Jugend in Heimen, die vom Land oder Vorn Bund zur Verfügung gestellt werden, unterbringt, sie am Vormittag in einigen Stunden Gemeinschaftsarbeit, über deren erzieherischen Wert keine 'Zweifel herrschen sollten, zusammenbringt, um am Nachmittag etwa sechs Stunden lang die Berufsausbildung als Schneider, Schuhmacher usw. unter Anleitung qualifizierter Lehrkräfte zu praktizieren. Wir haben das Beispiel in einigen Umschulungslagern für Schwerversehrte mit gutem Erfolg seit Jahren durchgeführt. Ich denke da an die Landeskrankenanstalt Pyrmont. Ich kann mir denken, daß, wenn am Ende dieser Berufsausbildung im freiwilligen Jugendhilfsdienst dann die Gesellen-, ja sogar die Meisterprüfung steht, ein großer Teil junger Menschen sich freiwillig in diese Heime begibt, und ich bitte, daß die dafür zuständigen Stellen sich die bisher gemachten Erfahrungen in Tübingen und in Süddeutschland zunutze machen, wo man derartige Jugendaufbauwerke auf freiwilliger Basis mit großem Erfolg eingerichtet hat.
Die übrigen Punkte betreffen Dinge, die an sich selbstverständlich sein sollten, wie die Erleichterung des Wanderns durch eine Fahrpreisermäßigung. Wir glauben, daß die Bundesbahn es durchaus verantworten kann, für Jugendwanderer anstelle der bisherigen fünfzigprozentigen Fahrpreisermäßigung eine fünfundsiebzigprozentige Ermäßigung einzuführen. Wir glauben, daß es höchste Zeit ist, den jungen Arbeitern und Studenten die Möglichkeit zu geben, so wie wir es einst taten, Radtouren von Köln bis Marseille und bis tief nach Italien, bis hinunter nach Sizilien, zu machen, ohne daß man durch Grenzen gehemmt ist. Das ist jetzt nicht möglich; denn sie brauchen sechs Formulare mit sechs Paßbildern und einer großen Anzahl von Formalitäten, um ein Visum nach Frankreich zu bekommen. Hier also in Absprache mit den anderen Staaten möglichst Erleichterungen durchzuführen, ist auch ein Mittel, Europa in die Realität zu bringen.
Meine Damen und Herren! Daß für den Austausch der Jugend der demokratischen Länder mehr getan werden muß, ist ebenso selbstverständlich, wie die Frage des Ausbaues unserer Jugendherbergen; und wenn Sie noch auf die Punkte 9 und 10 Ihr Augenmerk richten, nämlich auf das Amateurfunkwesen und den Segelflug, so lassen Sie mich auch dazu folgendes sagen. Das Amateurfunkwesen ist durch den Nationalsozialismus 1933/34 stark eingeschränkt worden. Es ist höchste Zeit, daß dem Bastler in der Jugend insbesondere durch die öffentlich-rechtlichen Körperschaften, zum Beispiel durch den doch sehr kapitalkräftigen NWDR, die Möglichkeit geschaffen wird, selbst an der Forschung der Ultrakurzwellentechnik, vielleicht sogar an der Fernsehtechnik mitzuarbeiten; und wir glauben, daß aus dieser Sphäre des Bastelwesens auf dem Gebiete des Amateurfunks sich große Ergebnisse auch für unsere gesamte Entwicklung technischer Art ergeben würden.
Daß Sie den deutschen jungen Menschen wieder den Segelflug gestatten sollten, daß man alles tun müßte, um bei der Hohen Kommission die Genehmigung hierfür zu erreichen, beweist ja die vor einigen Tagen in Örebro stattgefundene Veranstaltung der Segelflieger der demokratischen Länder der Welt. Wer dagegen einwendet, das Segelfliegen führe dann doch wieder über die vormilitärische Ausbildung zum Lastensegler, dem möchte ich folgendes sagen: Wenn man die Dinge
so simplifiziert, dann muß man auch das Radfahren verbieten. Denn die Radfahrer sind letzten Endes zu Radfahrbataillonen zusammengefaßt worden; ja dann müßte man auch das Jugendwandern einschränken, denn das Jugendwandern ist die Grundlage des späteren Infanteriemarschierens. Also diese Argumente sollten endlich fallen gelassen werden. Man sollte der deutschen Jugend die Möglichkeit des Segelfliegens auf der Rhön und auf der Wasserkuppe geben.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, viele Anregungen, Verbesserungen und Ergänzungen zu diesem Programm Ihrerseits noch beizutragen. Ich empfehle Ihnen, diesen Antrag einstimmig anzunehmen und ihn an den Ausschuß für Jugendfürsorge als den federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für innere Verwaltung zu überweisen.
Lassen Sie mich ein Schlußwort zu dem Problem der deutschen Jugend sagen. Wir stehen unter dem unerbittlichen Naturgesetz des ewigen Werdens und Vergehens. Vor Parlamentariern und Journalisten erübrigt es sich, auf die Bedeutung der Jugend für die Entwicklung des Staates und der Gemeinschaft hinzuweisen. Ich könnte hier von Platon bis Heuss so viele weisheitsvolle Aussprüche zitieren.
Ich will es mir ersparen. Aber Heuss hat beim Bundessportfest voriges Jahr gesagt:
Nicht der Staat soll die Jugend haben, sondern
die Jugend soll den Staat haben und ihn tragen. Tragen Sie Ihrerseits dazu bei, die Jugend weit mehr an den demokratischen Staat heranzuziehen, als das leider bisher geschehen ist.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Herr: Bundesinnenminister.