Rede von
Heinz
Matthes
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen blicken viele Bewohner im Gebiet der Lüneburger Heide, vor allen Dingen in den Kreisen Soltau und Falling-bostel, mit größter Besorgnis in die weitere Zukunft. Seit dem eklatanten Zusammenbruch unseres Vaterlandes wollen die Sorgen der Bewohner in diesen drei Gebieten der Truppenübungsplätze in der Lüneburger Heide — Fallingbostel, Bergen-Belsen sowohl wie Munster-Lager — und des Bereiches um den Naturschutzpark kein Ende nehmen.
Die Platzbewohner und Anwohner, unter denen sich vor allen Dingen eine sehr große Zahl von Vertriebenen und Bombengeschädigten befinden, vor allem die auf dem Platz angesetzten Siedler, haben an sich schon eine sehr, sehr schwierige Lage. Ich greife nur einmal als Beispiel die Gemeinde Osten-holz heraus, die im Platzgebiet von Fallingbostel liegt. Die Undurchsichtigkeit der englischen Absichten und die fortwährenden Neufassungen und Abänderungen der Verträge, die mit den Siedlern zu schließen sind, haben eine völlig schwankende Situation geschaffen, in der die Siedler sich bereits seit 1946 befinden. Dieser Zustand ist für die Beteiligten selbstverständlich sehr besorgniserregend. Es ist menschlich wohl nur zu verständlich, daß der Kreis der Betroffenen nicht noch einmal das grausame Schicksal als Vertriebene auskosten will und hilfesuchend um Sicherung seiner neuen Existenz bangt.
Es sind nicht allein Schäden an kultivierten Feldern, an Wäldern, sondern auch an Brücken und Straßen zu verzeichnen. Bezeichnend für diese Art der Schäden ist das Beispiel der Gemeinde Oerbke im Kreis Fallingbostel, die hart am Platzgebiet liegt. Wer einmal die Verbindungsstraße von Fallingbostel nach Oerbke gekannt hat, wird sich heute kaum noch erinnern, daß diese Straße jemals in einem ordnungsmäßigen Zustand gewesen ist. Ich habe vor einiger Zeit versucht, auf dieser Straße zu fahren. Es ist mir nicht gelungen, so glatt über dieses Pflaster hinwegzukommen. Es ist ja auch viel leichter, wenn die Panzerfahrer, statt nebenan auf das Brachland zu fahren, mit ihren ungeheuer schweren Panzern dazu übergehen, auf der Straße
nicht nur das Oberflaster, das Klein- und Kopfpflaster herunterzureißen, sondern 30 bis 40 cm tief auch die Packlage herauszuheben. Diejenigen unter Ihnen, meine sehr geschätzten Damen und Herren, die das Heidegebiet kennen, wissen, daß dieser Sandboden kaum irgendwelchen Widerstand bietet, auch dort nicht, wo vor Jahrzehnten die ersten Straßen gelegt und nachher, damit sie verkehrstechnisch standhielten, in größerem Maße befestigt worden sind, so daß diese Gemeinde heute eigentlich ein isoliertes Dasein führen müßte.
Die Übungen, die in diesem Gebiet seit drei Jahren stattfinden und im Kreise Soltau in diesem Jahre bereits Ende März begonnen hatten, haben nun auch allgemein wieder ihren Anfang genommen. Gerade die Gemeinden im Raume von Soltau — Reinsehlen, Töpingen und Bispingen — haben vorwiegend unter den Manöverschäden der letzten Jahre gelitten, insbesondere in den Jahren 1949/50. Die dabei eingesetzten schweren Panzereinheiten fuhren über die Wiesen und Weiden, durch die Wälder und über die bestellten Getreidefelder. Dreijährige Schonungen fielen diesen Panzerungetümen genau so zum Opfer wie 25-jähriger Baumbestand. Die Bauern mußten teilweise, soweit es sich überhaupt noch lohnte, ihre Felder umpflügen und neu bestellen.
Das gleiche hatte ich im Kreise Fallingbostel festzustellen. Noch immer sind die Feststellungsbehörden beider Kreise dabei, die Schäden auszurechnen, so daß wir die Höhe des Schadens der letzten Manöver noch nicht endgültig zu übersehen vermögen. Einstweilen sind, so besagt ein Brief, den ich heute von dem Landrat des Kreises Soltau erhielt, 1179 Schadensfälle gemeldet. Ausgezahlt für diese Schadensfälle sind 145 547 DM, und noch sind weitere 217 ha Land in die Schadensfeststellung aufzunehmen.
In diesem Zusammenhang will ich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß einem englischen Bericht zufolge, der dort oben in der Gegend herausgegeben wurde, z. B. für die Herbstmanöver des Jahres 1949 Manöverrechte über ein ausgedehntes Gelände im Gebiet von Paderborn geltend gemacht wurden. Der während dieser Manöver verursachte Schaden führte zu etwa 2410 Schadensersatzforderungen, zu deren Begleichung 620 000 DM ausgezahlt wurden. Wir klagen schon an sich über die Höhe der Besatzungskosten. Weite Kreise unseres Volkes sind der Überzeugung, daß zunächst wenigstens die Manöverschäden auf ein Mindestmaß gebracht werden müssen. Abgesehen von dem materiellen Schaden gebietet uns die ernährungspolitische Lage die Ausnutzung jeden Quadratmeter Bodens. Um so unverständlicher erscheint uns daher der bisher entstandene und der noch zu erwartende Schaden.
In einer britischen Stellungnahme heißt es:
„Die britischen Truppen in Westdeutschland sind die einzigen, die zur Verteidigung desjenigen Teils von Westdeutschland zur Verfügung stehen, der gegenwärtig die britische Besatzungszone bildet. Es ist dabei unbedingt erforderlich, daß diese Truppen auf dem höchstmöglichen Stand der Ausbildung und Einsatzfähigkeit gehalten werden. Um dies zu erreichen, ist es notwendig, daß diese Truppen das ganze Jahr hindurch eine fortlaufende, den Gegebenheiten Rechnung tragende Ausbildung erhalten".
Dieser Auffassung, meine Damen und Herren, können und wollen wir uns nicht widersetzen. Wir haben aber im Interesse der betroffenen Bevölkerung
die dringende Bitte an die Besatzungsmacht, mit größter Sorgfalt darauf zu achten, daß Ausbildungsgelände auf das für die zu erfüllenden Aufgaben notwendige räumliche Mindestmaß zu beschränken. Ich weiß von den beteiligten Kreisen — aus dem Munde der Landräte —, daß die zuständigen Residence officers jener Kreise bisher nichts unversucht gelassen haben, dort Hilfe zu leisten, daß sie in weitestem Maße den Wünschen der Bevölkerung Rechnung tragen wollten. Wir haben nicht zu untersuchen und wollen es nicht untersuchen, wo die Verantwortlichen zu suchen sind.
Ich bin als Sprecher der Betroffenen gezwungen, Sie auf einen weiteren Punkt dieser betrüblichen Angelegenheit hinzuweisen. Am 12. Mai 1950 sprach sich der Niedersächsische Landtag mit großer Mehrheit für einen Antrag meiner dortigen Fraktion aus, auf eine stärkere Beachtung der Vorschriften über die Naturschutzgebiete in der Lüneburger Heide hinzuwirken und bei dem britischen Landeskommissar vorstellig zu werden, daß bei den Manövern in Zukunft keine Flurschäden verursacht werden. Einer Mitteilung vom 6. Juli 1950 zufolge wollten das niedersächsische Kultusministerium und die Naturschutzämter in direkten Verhandlungen die britischen Verwaltungsbehörden ersuchen, bei Manöverübungen die Naturschutz- und Kulturgebiete Norddeutschlands weitgehend zu schonen.
In mit britischen Beamten geführten Gesprächen, so heißt es nach einer Verlautbarung aus unterrichteten Kreisen, sei noch keine bindende Zusage erreicht worden. Es sei darauf hingewiesen worden, daß man zwar bemüht sein werde, größere Ernteschäden zu vermeiden, daß jedoch die derzeitige weltpolitische Lage größere Manöver notwendig mache, bei denen Flurschäden leider nicht ganz zu verhindern wären.
Wir können auch keineswegs an dieser Frage der Erhaltung des Naturschutzparkes vorübergehen. Dem Herzen dieser herrlichen Lüneburger Heide, die unendlich viele tausend und zehntausend Freunde in unserem deutschen Lande hat, drohen weiter schwere Verwüstungen ebenso wie den umliegenden Kulturländereien. Daß das Anliegen des Naturschutzes alles andere ist als romantisierendes, die brennenden Probleme der Gegenwart mißachtendes Träumen, ist jedem Natur- und Tierfreund, jedem Einsichtsvollen klar. Naturschutz ist Zusammenschau dessen, was die Menschen von der Landschaft erwarten. Naturschutz ist letztlich nichts anderes als Dienst am Menschen und an bedrängter Tierwelt.
So ist es verständlich, daß weit über das Lüneburger Land in allen Teilen unseres Vaterlandes unendlich viele Menschen um diese 20 000 ha große Fläche des Naturschutzgebietes am Wilseder Berg im Kreise Soltau mit allen Kreiseingesessenen und Beteiligten wegen seiner weiteren Verwüstungen bangen. Noch sind die ungeheuer tiefen Spuren, die britische Panzer während der letzten Frühjahrsmanöver hinterlassen haben, auf Feldern und Wiesen, in den Wäldern, auf Feldwegen und Straßen, an den Brücken deutlich zu sehen. Aber die Hoffnungen, daß der Kreis Soltau insbesondere und der Naturschutzpark, der seit drei Jahren trotz aller Einwendungen - ich muß das wiederholen — bei den zuständigen britischen Dienststellen immer wieder zum Übungsplatz für Panzer ausgewählt wurde, verschont bleiben würden, sind enttäuscht worden. Seit dem 11. dieses Monats haben die großen Übungen des Sommers begonnen.
Gestern morgen erschien fettgedruckt mit Schlagzeilen in der dortigen Zeitung des Kreises Falling-
bostel ein Artikel mit der Überschrift „Die Panzerflut brach los". Es heißt dort:
Am Wochenende brach in Hartem, wie vor einem Jahr, die Panzerflut los. Durch die Kartoffelfelder, durch das kurz vor der Reife stehende Korn, über die Steckrübenfelder geht die vernichtende Spur. Die Pächter dieser Ländereien sind ausnahmslos Kleinstsiedler und Forstarbeiter. Welch große Sorgfalt haben sie den Feldern angedeihen lassen, und mit welcher Freude sahen sie der Ernte entgegen! Und wie sehr sind sie auf den Ertrag angewiesen, haben sie doch noch nicht ihren anerkannten Schaden vom vorigen Jahr ersetzt erhalten.
Ich habe mich bei Besuchen in diesem Gebiet selbst davon überzeugen müssen, daß die Menschen sich selbst vor den Pflug gespannt haben, und nun sehen sie erneut für weitere Wochen das Gelände verwüstet. Auf eins muß ich dabei hinweisen : der Boden der Lüneburger Heide verträgt ein derartiges Umbrechen durch die Panzer keineswegs wie andere, schwere Böden. Die geringe Ackerkrume, die wir dort zu verzeichnen haben, wird von den Panzern rücksichtslos untergepflügt. Über diese Dinge ließe sich unendlich viel sagen.
Ich möchte Sie nur zum Schluß, meine Damen und Herren, mit einem Wort auf die Haager Landkriegsordnung hinweisen. Die Haager Landkriegsordnung hat eine Art von goldenem Mittelweg zwischen der Souveränität des militärischen Machtstaates und den Menschenrechten des Individuums zu finden gesucht. Wenngleich in ihr die Rede davon ist, daß die militärischen Notwendigkeiten allen Versuchen auf Milderung des Krieges vorgehen, so ist ja gottlob von diesen Kriegsnotwendigkeiten in unserem Lande nicht mehr zu sprechen. Die militärische Notwendigkeit ist dagegen nur dasjenige, was zur Durchführung von Kampfhandlungen oder zum Schutze des eigenen Militärs notwendig ist. Im Hinblick auf die angerichteten Schäden und auf das, was sich in diesen Wochen noch ereignen wird, vermögen wir also das, was dort geschehen ist und geschieht, nicht als militärische Notwendigkeit anzuerkennen.
Zum Schluß ist daher in diesem Zusammenhang folgende Feststellung am Platze: Zur Zeit gilt nach der Auffassung meiner politischen Freunde zweierlei Völkerrecht: eines für die deutschen Staatsangehörigen und einen Teil der Menschen mit deutscher Muttersprache und eines für die übrige Welt. Wir hoffen und erwarten, daß dieser Grundsatz recht bald keine Gültigkeit mehr besitzen möge. Angesichts der schon angerichteten und vielleicht noch eintretenden Schäden wird es uns Abgeordneten unsagbar schwer gemacht, die junge Demokratie und die unbedingt notwendige Ausbreitung und Vertiefung der europäischen Verständigungs- und Versöhnungsidee an die betroffenen deutschen Menschen in diesen Gebieten heranzutragen und offensive Demokratie zu treiben. Wir haben in der Bundesrepublik seit dem Zusammenbruch 1945 gegenüber der Besatzungsmacht ein hohes Maß an Selbstdisziplin und stärkste Abneigung gegen politische Abenteuer gezeigt. Das geschah und geschieht immer wieder in der Hoffnung auf eine bessere und gesicherte Zukunft in der europäischen und darüber hinaus in der großen Völkerfamilie.
Wir bitten nun das Hohe Haus, unserem Antrag, der Ihnen, meine verehrten Damen und Herren, in der Drucksache Nr. 1114 vorliegt, zuzustimmen, damit die Bundesregierung unverzüglich dem Wunsche
0 der betroffenen Bevölkerung entsprechend bei dem britischen Hohen Kommissar vorstellig werden kann.