Rede von
Dr.
Otto
Kneipp
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn etwas unsere Abhängigkeit vom Petersberg dokumentiert hat, dann ist es die Behandlung dieses Falles,
und wenn etwas für eine alsbaldige Revision des Besatzungsstatuts spricht, dann ist es gerade die Behandlung dieser Zollbegünstigungsliste.
Es steht ja in Ziffer 2 g des Besatzungsstatuts, daß in der Außenhandelspolitik und der Devisenwirtschaft die Hohen Kommissare noch besondere Rechte geltend machen können. Aber wir müssen heute im Rahmen dieser Aussprache erneut fordern, daß gerade dieser Punkt so rasch wie möglich abgeändert wird, und daß hier eine gewisse Souveränität, wenn
ich den Ausdruck gebrauchen darf, der Bundesregierung alsbald hergestellt wird.
Die Darlegungen des Herrn Finanzministers, die leider schlecht verständlich waren, haben uns das eindeutig ad oculos demonstriert.
Sowohl die Landwirtschaft als auch die Industrie, also die Gesamtwirtschaft ist daran interessiert, daß diese Zollbegünstigungsliste so rasch wie möglich abgeändert wird.
Als dieses Gesetz im Wirtschaftsrat im August vorigen Jahres über die Bühne ging, da hatten wir ganz andere Verhältnisse als heute. An die Stelle eines gewissen Mangels oder eines besonders großen Mangels vor allen Dingen auf dem Gebiete der Land- und Ernährungswirtschaft ist ein gewisser Überfluß eingetreten. Ich habe dieses Gesetz heute früh einmal nachgeprüft, wie es sich auf Landwirtschaft und Industrie verteilt. 48 der 68 Positionen erstrecken sich auf die Land- und Ernährungswirtschaft, und 20 Positionen auf industrielle Erzeugnisse.
Wenn ich mir vorstelle, daß z. B. Schaffleisch noch zollfrei eingeführt werden kann, während in Deutschland kein Landwirt seine Schafe zu mehr als 25 bis 28 DM je Schaf auf dem Markt überhaupt abstoßen kann, dann ist das doch ein Beweis, daß so rasch wie möglich eine neue Zolliste eingeführt werden muß.
Ich darf auch darauf hinweisen, daß damals, im August vorigen Jahres, die Konservenindustrie noch nicht in diesem Überfluß steckte, in dem sie heute steckt. Auch Konserven aller Art konnten damals zollfrei eingeführt werden. Heute erstickt unsere Konservenindustrie in ihren riesigen Vorräten.
Ich bin aber auch mit der gesetzlichen Behandlung des Falles durch die Regierung nicht ganz einverstanden. Das Parlament hätte damals, als diese Schwierigkeiten auftauchten, sofort Kenntnis bekommen müssen, und es hätte versucht werden müssen, meiner Ansicht nach auf dem Wege über ein neues Gesetz, den Gesetzgeber — das ist der Bundestag — damit zu befassen.
Ich stehe aber auch auf dem Standpunkt, daß die ganze Sache durch die Hohen Kommissare nicht formell einwandfrei verlaufen ist. Denn man hat ja keinerlei öffentliche Bekanntmachung irgendwelcher Art erfahren. Also wäre praktisch nach Ablauf des Zollbegünstigungsgesetzes das alte noch geltende Gesetz — das ist praktisch der Bülowsche Tarif des Jahres 1902 mit seinen Abänderungen 1925 und später — ohne weiteres in Kraft.
Man hat manchmal den Eindruck, als ob sich auf dem Petersberg Einflüsse geltend machten, die der gesamten Wirtschaft durchaus abträglich sind,
und es muß ein Sinn der Aussprache heute sein, die Hohen Kommissare auf dem Wege über ein in der Richtung einiges Parlament aufzufordern, diese Einflüsse auszuschalten.