Meine Damen und Herren! So bedauerlich es ist, daß dieses Gesetz, das eine weit größere Bedeutung hat, als die Öffentlichkeit vielleicht glaubt annehmen zu können, vor leeren Bänken und mit so geringer Aufmerksamkeit hier im Hause erörtert wird, so sehr begrüßen wir es, daß diese Vorlage des Rechtsausschusses zustande gekommen ist, nicht nur, weil es sich, wie ich bereits andeutete, um ein sehr wichtiges Organisationsgesetz handelt, eines der ersten verfassungergänzenden Gesetze, das nunmehr verabschiedungsreif wird, sondern vor allen Dingen auch deshalb, weil es in diesem Falle möglich gewesen ist, ein solches verfassungänderndes Gesetz aus der Mitte des Parlaments heraus ohne Regierungsvorlage zu erarbeiten. Sie haben dem Bericht des Herrn Berichterstatters entnehmen können, daß der Vorlage ein Entwurf der SPD vom Dezember 1949 und auf der andern Seite ein Entwurf der Regierungsparteien vom Mai 1950 zugrunde liegen. So groß die Verschiedenheiten in der Auffassung zu sein schienen, wenn man die ursprünglichen Entwürfe betrachtet, so sehr ist es gelungen, hier allgemein befriedigende Lösungen zu finden, und zwar ohne daß schlechte Kompromisse geschlossen worden sind. Es ist hier gelungen, sich gegenseitig zu überzeugen. Ich glaube, sagen zu dürfen, daß das ein erfreuliches Ergebnis der legislativen Vorarbeit innerhalb dieses Parlaments ist.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit der sachlichen Bedeutung dieses Gesetzes noch einige Worte widmen. Von Gegnern der Richterwahl ist vielfach behauptet worden, diese führe zu einer Politisierung der Richterschaft im Sinne einer Parteipolitisierung. Ich glaube, daß nichts unrichtiger ist als gerade das.
Ich bin der Auffassung und der Überzeugung, daß die Richterwahl, so wie sie das Grundgesetz vorgesehen hat und wie sie nunmehr nach dieser Gesetzesvorlage, wenn sie angenommen wird, durchzuführen wäre, zu dem Gegenteil dessen führt, was jetzt befürchtet worden ist. Sie führt zur Entparteipolitisierung der Richter.
Früher wurden die Richter im Reich und in den Ländern — auch nach 1945 in einem großen Teil der Länder — von der Exekutive ernannt, und den entscheidenden Einfluß auf die Ernennung hatte der jeweilige Fachminister, der in einer parlamentarischen Demokratie immer parteigebunden oder dort zumindest parteiabhängig ist. Die Gefahr, daß bei diesem Verfahren uer Berufung allein durch die Exekutive parteipolitische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, ist nie ganz von der Hand zu weisen. Bei der jetzt gefundenen Lösung aber besteht die Möglichkeit, daß die Fachminister oder der Fachminister auf der einen Seite und der Richterwahlausschuß auf der andern Seite, die ja gemeinsam über die Berufung zu entscheiden haben, sich gegenseitig an einer einseitigen Parteipolitik bei der Richterberufung hindern. Hinzu kommt, daß durch diese Regelung dem Parlament bei der Berufung der Richterschaft die Möglichkeit der Kontrolle der Exekutive gegeben wird. Vielleicht wird man einwenden, daß eine solche Kontrollmöglichkeit mit dem Grundsatz der Gewaltentrennung, die ja immer als Grundlage eines Rechtsstaates gilt, nicht zu vereinbaren sei. Nach unserer Auffassung trifft das nicht zu; denn dieser Gewaltentrennung muß auf der anderen Seite die Gewaltenhemmung entsprechen, durch die verhindert werden soll, daß eine der an sich voneinander unabhängigen Gewalten allzu mächtig wird.
Obwohl wir dieser Vorlage als ganzes zustimmen, ja sie sogar begrüßen, haben wir in Einzelheiten einige Bedenken. Wir halten den § 1 Abs. 1 der Vorlage, der eine Vorschrift des Grundgesetzes wiederholt, für überflüssig. Wir halten auch den § 14, der davon spricht, daß die gewählten Richter vorn Bundespräsidenten zu ernennen sind, für überflüssig, weil auch diese Vorschrift bereits im Grundgesetz enthalten ist. Ich fühle mich allerdings veranlaßt, im Zusammenhang mit dieser Vorschrift darauf hinzuweisen, daß dem Herrn Berichterstatter ein Irrtum unterlaufen ist, wenn er ausgeführt hat, bei der Erörterung des § 14 sei im Rechtsausschuß die Auffassung vertreten worden, daß dem Bundespräsidenten bei der Ernennung der Richter ein materielles Prüfungsrecht zustehe. Diese Auffassung ist unrichtig. Wenn sie sich im Protokoll finden sollte, wäre dem Protokollführer ein Irrtum unterlaufen, und ich widerspreche deshalb ausdrücklich der Darstellung des Herrn Berichterstatters. Es ist nach den Erörterungen im Ausschuß die Meinung vertreten worden, daß dem ernennenden Bundespräsidenten zwar ein formelles Prüfungsrecht zusteht, daß aber die Frage oder die Streitfrage, ob er ein materielles Prüfungsrecht hat, offengeblieben ist und auch nicht dadurch entschieden werden kann, daß man den § 14, so wie er jetzt in der Vorlage enthalten ist, in das Gesetz aufnimmt.
Wir betrachten diesen Gesetzentwurf als einen ersten Schritt, um die Justizkrise zu überwinden. Wir glauben, daß die Richter, die in dieser Weise berufen werden, eine weit größere Vertrauensgrundlage haben als jene, die, wie das früher die Regel war, nur durch die Exekutive ernannt worden sind. Wir hegen bei dieser Gelegenheit die Erwartung, daß diesem Gesetzentwurf bald auch die Vorlage eines Richtergesetzes nachfolgen möge, das jenem Zustand ein Ende setzen soll, den wir seither hatten und der von Professor Bader in Freiburg einmal treffend gekennzeichnet worden ist, indem er ausgeführt hat, der Richter in Deutschland sei seither im Grunde nichts anderes gewesen als ein kleiner richtender Justizbeamter. Wir brauchen dieses Richtergesetz, um aus dem deutschen Richter endlich das zu machen, was er sein soll: einen wirklichen Repräsentanten der dritten, der rechtsprechenden Gewalt.