Rede von
Dr.
Fritz
Baade
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat die Frage aufgeworfen, wie die wissenschaftlichen Institute in Deutschland zu der Frage der Arbeitsbeschaffung stehen und insbesondere zu der Notwendigkeit, die Planung in den Dienst der Arbeitsbeschaffung zu stellen. Ich glaube, die wirtschaftswissenschaftlichen Institute haben mit ihrer Denkschrift „Lebensfähigkeit und Vollbeschäftigung" eine klare Antwort auf diese Frage gegeben. In einer Gemeinschaftsarbeit, an der dreißig deutsche Wissenschaftler mehrere Monate lang beschäftigt gewesen sind und an der das Institut für Konjunkturforschung in Berlin, das Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, das Institut für angewandte Wirtschaftsforschung in Essen unter Professor Döbritz und das Institut in Bremen unter Senator Harmssen beteiligt waren, ist einmütig festgestellt, daß die Aufgabe der Arbeitsbeschaffung, vor der wir heute in Deutschland stehen, eine Aufgabe ganz besonderer Art ist.
Es handelt sich nicht darum, irgendeinen kleinen Konjunkturrückgang in Deutschland zu überwinden. Es handelt sich darum, eine durch die Verstümmelung des Krieges und der Nachkriegszeit in ihrer Grundstruktur veränderte und eigentlich lebensunfähig gemachte Wirtschaft planvoll wieder aufzu-
2706 Deutscher Bundestag. — 75. und 76. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juli 1950
bauen, ja, mehr als das: sie planmäßig in ihrer Struktur umzubauen. Es ist ganz ausgeschlossen, daß durch irgendeinen Marktmechanismus die Arbeitslosen in Schleswig-Holstein oder in den anderen mit Flüchtlingen überfüllten Ländern Beschäftigung bekommen könnten. Es ist ganz ausgeschlossen, daß wir auf die selbstheilenden Kräfte der kapitalistischen Wirtschaft warten könnten, um diese Menschen aus den Gegenden, in denen sie schlechterdings niemals Arbeit finden können, dorthin zu saugen, wo für sie Arbeit beschafft werden könnte. Und dabei handelt es sich darum, ihnen nicht nur irgendeine Arbeit zu verschaffen, sondern eine produktive Arbeit, wie wir sie brauchen, um die Lebensfähigkeit der deutschen Wirtschaft wiederherzustellen, nämlich durch eine gewaltige Verstärkung unseres Sozialprodukts und eine gewaltige Verstärkung unserer exportfähigen Gütermenge in Deutschland. Das ist eine Aufgabe, die mit dem Marktmechanismus niemals gelöst werden kann. Das ist eine Aufgabe, die nur durch das äußerste Maß von Planmäßigkeit in der Durchführung überhaupt jemals gelingen kann. Es ist gar kein Zweifel, daß bei dieser Planung der Staat mit öffentlichen Aufträgen in stärkstem Maße vorangehen muß. Es ist auf der anderen Seite auch kein Zweifel, daß alle Kräfte der freien Initiative in Deutschland für die Durchführung dieser Arbeiten mobilisiert und aufgerufen werden müssen. Es ist also gar kein Zweifel, daß hier eine Synthese zwischen staatlicher Planung und Mobilisierung aller privaten Initiativkräfte in der deutschen Wirtschaft in einem Umfang stattfinden muß, wie wir es bisher in Deutschland noch nicht gehabt haben.
— Verehrter Herr Kollege, ich glaube, daß man mit derartigen Scherzen diesem Problem nicht gerecht wird. Es handelt sich hier um eine Lebensfrage des deutschen Volkes.
Wir haben heute einen Zustand der Arbeitslosigkeit, der viel schlimmer ist und viel schwerer zu überwinden ist als der Zustand der Massenarbeitslosigkeit mit 6 Millionen Arbeitslosen, die wir im Jahre 1932 leider Hitler für sein angebliches Wirtschaftswunder überlassen haben. Der grundlegende Unterschied zwischen damals und heute — das ist in der Denkschrift dieser Institute, die Sie ja zum Teil kennen, eingehend dargelegt worden — besteht darin, daß auf die 6 Millionen Arbeitslosen, die es im Jahre 1932 gab, die fertigen Arbeitsplätze gewartet haben. Es waren die Arbeitsplätze, die sie kurz vorher erst verlassen hatten. Auf die 2 Millionen sichtbaren Arbeitslosen, die wir in diesem Winter hatten, zu denen nach der Denkschrift der Institute mindestens noch einmal 1 Million unsichtbare Arbeitslose hinzuzurechnen sind und zu denen in den nächsten Jahren weitere Millionen von Arbeitslosen aus den starken Jugendlichenjahrgängen kommen werden, das heißt, auf die insgesamt 4 bis 41/2 Millionen Menschen in Deutschland, für die wir Arbeitsplätze schaffen müssen, warten überwiegend keine fertigen Arbeitsplätze. Es sind Arbeitsplätze für vielleicht 10 bis 20 % von ihnen vorhanden. Die übrigen müssen in einem Planungswerk geschaffen werden, das über das Planungswerk des sogenannten Hitlerschen Wirtschaftswunders weit hinausgeht.
Ich darf sagen, daß ich einer derjenigen bin, die in der Zeit vor Hitler schon gewußt und gesagt haben, wie man mit der Arbeitslosigkeit fertig werden kann. Ich war damals sozialdemokratischer
Reichstagsabgeordneter und habe mit dem Statistiker Wladimir Woytinsky und dem Führer des Deutschen Holzarbeiterverbandes, Fritz Tarnow, zusammen den sogenannten WTB-Plan, den Woytinsky-Tarnow-Baade-Plan, entworfen, in dem die ganzen Instrumente der Vollbeschäftigungspolitik für die damalige Wirtschaftsstruktur bereits entwickelt gewesen sind. Leider ist diesem Plan von der Regierung Brüning damals nicht gefolgt worden. Leider hat die Regierung Brüning in die selbstheilenden Kräfte des kapitalistischen Wirtschaftslebens dasselbe Vertrauen gehabt, das wir bei der heutigen Bundesregierung leider auch noch in allzu starkem Maße vertreten sehen. Dann ist Hitler gekommen und hat diese 6 Millionen Menschen Rüstung produzieren lassen und hat damit Deutschland und die Welt ins Unglück gebracht.
Wir müssen daraus gelernt haben, daß eine Volkswirtschaft sich Massenarbeitslosigkeit nicht gefallen lassen muß. Wir müssen daraus gelernt haben, daß wir einer solchen Aufgabe gegenüber eine Generalmobilmachung betreiben müssen. Wir müssen nur im Gegensatz zur Hitlerischen Arbeitsbeschaffung, die die Menschen unproduktive Dinge hat produzieren lassen, die Menschen diesmal produktive Dinge produzieren lassen. Daß wir das ohne einen Plan machen können, das können Sie niemand erzählen!