Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das hier vorliegende Gesetz, das nach der zweiten und dritten Lesung heute hier verabschiedet werden soll, ist das erste von insgesamt drei Gesetzen, das dieses Hohe Haus zu verabschieden hat. In Kürze werden folgen: das Darlehensgesetz und das Flaggenführungsgesetz. Nach Art. 27 des Grundgesetzes bilden alle deutschen Kauffahrteischiffe eine einheitliche Handelsflotte. Nach Art. 87 und Art. 89 ist die Schiffahrt in bundeseigene Verwaltung zu nehmen. Daher hat der Bund nach Art. 74, der die Aufgaben der konkurrierenden Gesetzgebung umreißt, dieses Gesetz vorgelegt, das die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt festlegt.
In § 1 Abs. 1 finden Sie eine Präambel. Eine Präambel in einem Gesetz ist etwas sehr Ungewöhnliches. Die besondere Bedeutung des Wiederaufbaus der deutschen Seeschiffahrt rechtfertigt aber diese Präambel, die auf ausdrücklichen Wunsch des Bundesrats hineingenommen wurde.
In § 1 Satz 1, der ursprünglich dahin lautete, daß dem Bund die Unterstützung der Länder bei der Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Seehäfen obliegt, mußte das Wort „Unterstützung" in „Vorsorge" abgeändert werden, da der Herr Bundesfinanzminister Bedenken hatte, daß sich aus der Formulierung des Bundesrats gewisse Verpflichtungen für den Bund ergeben würden. Das Wort „Vorsorge" ist auf Grund einer Vereinbarung mit dem Bundesfinanzministerium zustande gekommen.
In Abs. 2 des § 1 wird bestimmt, daß alle Aufgaben des Reiches vor dem 8. Mai 1945 auf den Bund übergehen. Im einzelnen ist nicht aufgeführt, um welche Aufgaben es sich handelt. Es handelt sich hier um eine Generalklausel; das Nähere ergibt sich aus den einzelnen Paragraphen und aus der Begründung. Im wesentlichen handelt es sich um das Seemannsrecht, die Schiffssicherheit, die
Deutscher Bundestag — 75. und 76. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juli 1950 2695
Schiffsbesetzung und um Seeunfälle. Das Lotsenwesen ist in diesem Zusammenhang nicht erwähnt; denn es ist bereits auf Grund des Art. 89 Abs. 2 des Grundgesetzes an die Bundeswasserstraßenverwaltung übergegangen. Dabei handelt es sich nicht um das Lotsenwesen der Häfen.
In Abs. 2 ist weiter gesagt, daß Aufgaben, die dem Reich durch Rechtsvorschriften in der Zeit vom 30. Januar 1934 bis zum 8. Mai 1945 übertragen worden sind, ab 1. April 1952 auf die Länder übergehen. Das ist auf ausdrücklichen Wunsch der Küstenländer geschehen. Für den Fall, daß auch nach 1952 die Dinge dem Bund erhalten bleiben müssen, wird es notwendig sein, hierfür besondere Gesetze zu schaffen.
In § 1 Abs. 3 sind noch ausdrücklich der Fischereischutz und das Hydrographische Institut genannt worden. Die besondere Fassung in einem Paragraphen ist deswegen notwendig, weil diese Aufgaben zeitweilig der Kriegsmarine oblagen. Sie müssen daher in diesem Gesetz als Aufgaben des Bundes besonders betont werden.
In § 2 wird die Mitwirkung des Bundesrats sichergestellt. Das ist nichts weiter als eine Angleichung an das Grundgesetz. Gewisse redaktionelle Änderungen, die der Bundesrat wünschte, hielt der Ausschuß für Verkehrswesen nicht für erforderlich.
In § 3 ist das Seeschiffsvermessungsamt genannt worden, das durch einen Kontrollratsbeschluß 1946 für den Bund auf Hamburg übertragen wurde. Im Augenblick besteht keine Notwendigkeit, weitere Seeschiffsvermessungsämter einzurichten. Landesanstalten werden erst bei Bedarf im Zuge des Wiederaufbaus der gesamten deutschen Seeschiffahrt eingerichtet werden müssen.
In § 4 Abs. 1 ist die Frage der See-Berufsgenossenschaft geregelt. Die See-Berufsgenossenschaft hat zwei Aufgaben: erstens ist sie Träger der Sozialversicherung in der Seeschiffahrt; zweitens hat sie internationale Übereinkommen zum Schutze des Lebens auf See durchzuführen. Bei Wegfall der zweiten Aufgabe wäre eine eigene Bundesoberbehörde erforderlich. Aus diesem Grunde bleibt diese zweite Aufgabe für internationale Übereinkommen der See-Berufsgenossenschaft erhalten. Da die Aufgaben sich in vielen Fällen überschneiden, sieht der § 4 ferner vor, daß die Aufsicht der Bundesverkehrsminister im Einvernehmen mit dem Bundesarbeitsminister ausübt. Die hierzu vom Bundesrat gestellten Abänderungsanträge waren im wesentlichen nur redaktioneller Art.
In § 4 Abs. 2 ist dem Bund die Entmagnetisierung übertragen. Das ist deswegen erforderlich, weil wir immer noch mit der Minengefahr zu rechnen haben. Aber für diese Aufgaben genügen zwei Anlagen, die sich am Nordostseekanal befinden.
In § 5 wird bestimmt, daß die seemännischen Fachschulen Einrichtungen der Länder sind. Diese Aufgabe ist am 22. September 1938 den Ländern übertragen worden. Ich darf darauf hinweisen, daß hierunter nicht die Ingenieur- und Maschinistenschulen fallen, die Angelegenheiten des Bundes bleiben.
Meine Damen und Herren! Schließlich werden in § 6 gewisse Maßnahmen sanktioniert, deren Durchführung seitens der Bundesregierung bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes erforderlich war.
Das ist die rein nüchterne und sachliche Berichterstattung, die ich Ihnen im Auftrage des Ausschusses für Verkehrswesen zu geben habe. Der Ihnen heute gegebene mündliche Bericht ist vom Ausschuß einstimmig gefaßt worden. Gestatten Sie mir aber ausnahmsweise, in diesem Falle einmal von der nüchternen Berichterstattung abzuweichen. Ich darf offen erklären, daß ich nicht ohne eine gewisse innere Bewegung dieses erste Gesetz zum Wiederaufbau der deutschen Seeschiffahrt hier vertrete. In einem Zeitraum von einer Generation ist zweimal eine deutsche Handelsflotte zugrunde gegangen; einmal durch die kurzsichtige Politik der wilhelminischen Ära und zum zweiten durch eine Politik des Irrsinns eines Hitler und aller derjenigen, die dafür verantwortlich sind. Nach 1918 war es uns in relativ kurzer Zeit möglich, im Zuge der damaligen modernen Entwicklung - Sie erinnern sich, damals nahm der Motor seinen Siegeslauf auch in der Seeschiffahrt — eine moderne deutsche Handelsflotte wieder aufzubauen. Nach der Kapitulation 1945 schien es für die nächsten Jahre fast aussichtslos, überhaupt an eine deutsche Flotte zu denken, die wieder über die Sieben Meere der Welt fahren konnte.
Sie alle, meine Damen und Herren, kennen den zähen Kampf, in dem wir uns mit dem Peters-berg befinden, um immer größere Freiheiten für die Lösung dieser Aufgabe zu schaffen. Ich darf in diesem Zusammenhang den Herrn Bundespräsidenten zitieren, der das Wort geprägt hat: „Gerechtigkeit erhöhet ein Volk". Ich darf an die Alliierten die Mahnung richten: Gerechtigkeit gerade auf diesem Gebiet erhöhet den europäischen Gedanken. Es gibt nun einmal gewisse Dinge, die zum Selbstbewußtsein einer Nation gehören; und wenn man ein gesundes nationales Empfinden befriedigt, dann verhindert man dadurch gleichzeitig am ehesten nationalistische Auswüchse. Schließlich lebt dieses Millionenvolk in einem Gebiet, dessen Nordgrenzen fast ganz an den Küsten des Meeres liegen. Bei der Seefahrt handelt es sich um eins der wenigen Dinge, die unsere Jugend noch begeistern können, gleichgültig ob sie im Norden, im Süden, im Osten oder im Westen lebt.
Sämtliche Mitglieder des Ausschusses für Verkehrswesen wären sehr glücklich, wenn im Sinne dieser Ausführungen eine einstimmige Annahme dieses ersten Gesetzes zum Wiederaufbau der deutschen Seeschiffahrt erfolgen würde. Diese einstimmige Annahme würde gleichzeitig eine einmütige Demonstration für den Willen des deutschen Volkes zur Seeschiffahrt bedeuten. Das stolze Wort der Lateiner: „Navigare necesse est" gilt auch für uns. Auch für Deutschland ist Schiffahrt not!