Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Einbringung dieses Antrags hat die sozialdemokratische Fraktion des Bundestags nicht die Absicht, in eine grundsätzliche Debatte des Komplexes Saar einzutreten. Es geht uns lediglich darum, einige technische Verbesserungen einzuführen, die einen unerwünschten Zustand beseitigen. Die sozialdemokratische Fraktion hat trotzdem das Bedürfnis, zum Ausdruck zu bringen, daß sie den autonomen Saarstaat, wie er von 1945 an sukzessive gebildet wurde, als eine unglückliche Lösung ansieht. Wir wünschen, daß dieser Zustand so schnell wie möglich beseitigt wird, und zwar gerade im Interesse der deutsch-französischen. Verständigung.
Nach diesem Grundsätzlichen möchte ich über die Grenzverhältnisse an der Saar folgendes sagen. Es gab zwischen Deutschland und der Saar in den Zeiten der Völkerbundherrschaft von 1918 bis 1935 niemals eine hermetisch geschlossene Grenze. Diesem Umstand war es zum Beispiel zu verdanken, daß zu dieser Zeit der Verkehr von der einen nach der anderen Seite sich fast ohne Schwierigkeiten abspielen konnte. Das gilt sowohl für den Personenverkehr wie für den Warenverkehr. Gegenwärtig besteht aber zwischen dem sogenannten Saargebiet und der deutschen Bundesrepublik eine Grenze, die für den Deutschen mindestens schwieriger zu überschreiten ist als alle anderen Grenzen der Länder, mit denen wir nach 1945 wieder in irgendwelche Beziehungen getreten sind.
Es ist natürlich richtig, daß auch der Deutsche mit einem Paß und einem Visum nach der Saar reisen kann; aber es ist für den normalen Sterblichen unglaublich schwierig, ein solches Visum zu bekommen, da für die Einreise ins Saargebiet nicht nur die allgemeinen Bestimmungen gelten, sondern besondere Bestimmungen bei der Erteilung eines Visums angewandt werden. Daraus ergeben sich nicht nur für alle Deutschen, die das Bedürfnis haben, ins Saargebiet zu reisen, außerordentliche Schwierigkeiten, sondern vornehmlich auch für diejenigen, die ganz in der Nähe wohnen. Denn es wurden nicht nur Familien getrennt, die seit Jahrzehnten und Jahrhunderten dort leben, es wurden auch Verkehrswege durch die neue Grenze zerschnitten. Das hat das beteiligte Land, nämlich Rheinland-Pfalz, veranlaßt, sich darüber Gedanken zu machen, wie man auseinandergeschnittene Gebiete wieder dadurch besser zusammenführen kann, daß man neue Verkehrswege schafft. Ich verweise zum Beispiel darauf, daß die Strecke Trier—Zweibrücken deshalb nicht passierbar ist, weil sie durch das Saargebiet geht. Das Land Rheinland-Pfalz trägt sich mit dem Gedanken, eine Umgehungsstraße zu bauen, die etwa 21 Millionen DM kosten soll, nur damit die abgeschnittenen Trierer die Möglichkeit haben, auf dem nicht kürzesten, aber vielleicht nicht allzu schlechten Weg in die Gebiete der Pfalz zu kommen. Hätten sie dagegen die Durchreisemöglichkeit, dann würden sie diese Strecke auf einer sehr guten Straße und bei sehr guten Eisenbahnverbindungen in ganz kurzer Zeit zurücklegen können.
Ich darf vielleicht das Kuriosum anführen, daß es hier im Hause einen Kollegen gibt, der, um seinen
Abgeordnetenverpflichtungen nachzukommen, wenn er von Trier aus reisen will, einen großen Umweg machen muß, der auch in finanzieller Beziehung einige Anforderungen an ihn stellt, während er mit der Eisenbahn durch das Saargebiet reisend in allerkürzester Frist seinen Bestimmungsort erreichen könnte. Hinzu kommt — das mag für die Art und Weise, in der die Visen erteilt werden, charakteristisch sein —, daß dieser Abgeordnete, der sich infolge seiner Beziehungen zu bestimmten Stellen nicht zu den gewöhnlichen Sterblichen zu rechnen braucht, nun schon seit zwei Monaten auf seinen Paß wartet und in der Zwischenzeit nicht weniger als dreizehn Paßfotos abgegeben hat, aber bis zur Stunde noch nicht im Besitz eines Visums ist.
Meine Damen und Herren! Ich habe diese paar Details nur gegeben, um Ihnen zu zeigen, wie unhaltbar dieser Zustand geworden ist. Inzwischen sind natürlich schon Erleichterungen eingetreten. Zum Beispiel können die Saarländer — wenn ich sie einmal so nennen darf, um den Unterschied zwischen ihnen und uns hier herauszustellen — uns, die Deutschen, an bestimmten hohen Feiertagen, die den Toten gewidmet sind, besuchen und für 24 Stunden ungehindert die Grenze passieren. Aber sowohl die Saarländer als die auf der anderen Seite wohnenden Deutschen haben schon häufiger erklärt, daß sie sich nicht nur am Tag der Toten einander sehen, sondern sich ganz gern auch einmal als Lebende einander Besuche machen möchten und daß man zu diesem Zweck die Grenze öffnen möge.
Nun weiß ich, daß einer sofortigen Regelung einige Schwierigkeiten im Wege stehen. Aber diese Schwierigkeiten scheinen bei einigem guten Willen doch überwindbar zu sein. Es kommt nämlich darauf an, zuerst einmal dafür zu sorgen, daß alle in einem engeren Umkreis Wohnenden die Möglichkeit haben, ungehindert mit einem normalen Ausweisschein zu passieren. Dabei können wir uns an ein gutes Vorbild halten, nämlich daran, daß auf der anderen Seite, von Frankreich her, jeder Franzose das Recht hat, ohne ein Visum zu besitzen, nach der Saar einzureisen. Die Saarländer, die sehr viel lieber manchmal nach der Pfalz oder in das übrige Rheinland fahren möchten, können zwar ohne Schwierigkeiten meinetwegen bis nach Casablanca reisen; aber wenn sie ihren Onkel auf der anderen Seite besuchen wollen, geht es ihnen genau so wie diesem deutschen Abgeordneten: dann müssen sie ebensoviele Photos vorlegen und ebenso auf einen Paß warten. Es gibt zwar die Möglichkeit, durch den kleinen Grenzverkehr bestimmte Erleichterungen zu bekommen. Aber darüber hinaus muß gefordert werden, daß nicht nur den engeren Grenzbewohnern, sondern auch allen anderen, die in diesen Bezirken und weit darüber hinaus in ganz Deutschland ihren Wohnsitz haben, die Einreise nach der Saar ohne alle Formalitäten gestattet wird. Es muß ein einfacher Ausweis genügen, wie ihn im modernen Europa jeder Staatsbürger bei sich zu tragen pflegt, um die Einreise in das Saargebiet bewerkstelligen zu können.
Zum Schluß darf ich noch bemerken, daß an der Saar viel von Europa gesprochen wird. Es gibt kaum ein Ländchen nach 1945, das in so auffallender Weise jede Gelegenheit wahrnimmt, sich zum europäischen Gedanken zu bekennen. Wenn es denjenigen, die von der Saar her, und anderen, die außerhalb der Saar für die Saar verantwortlich sind, mit ihrem europäischen Bekenntnis Ernst ist, dann könnten sie dadurch, daß sie allen Europäern die Einreise in das Saargebiet ohne Visum gestatten, einen wertvollen
Beitrag zur Bekräftigung dieses Bekenntnisses liefern. Bis zur Stunde warten wir auf diesen Akt.
Indem ich Ihnen empfehle, den Antrag anzunehmen, wünsche ich, daß diejenigen, an die er gerichtet ist, wissen, daß es sich hier nicht nur um die Erleichterung der Einreise ins Saargebiet handelt, sondern um die Herbeiführung eines europäischen Zustandes. In diesem Sinne glaube ich, daß die Deutschen, die nach der Saar reisen wollen, genau so gute Europäer sind wie die, die von der anderen Seite ohne Paßschwierigkeiten dort hinkommen können.