Rede von
Fritz
Schäffer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine Damen und Herren! Nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 und der damit folgenden Aufteilung der Hoheit des Reiches auf dem Gebiet der Finanzen sind die einzelnen Länder finanziell verselbständigt gewesen. Sie haben seitdem die in ihrem Gebietsbereich aufgekommenen Reichssteuern für sich vereinnahmt und hatten die in ihrem Gebiet angefallenen Ausgaben aus eigenen Mitteln zu bestreiten, ohne Rücksicht darauf, ob die anfallenden Einnahmen steuerwirtschaftlich den Ländern, in denen sie anfielen, zuzurechnen waren und ob die Lasten ihrem regionalen Verantwortungsbereich wirklich entsprachen. Die Folge dieser „Finanzautarkie" der Länder war eine unsystematische, überwiegend von der Erhebungstechnik beeinflußte Verteilung der zentralen Steuereinnahmen, die in keiner inneren Beziehung zu der sehr ungleichmäßigen Verteilung der zentralen Lasten, insbesondere der Kriegsfolgelasten, stand und dazu führte, daß sich in einzelnen Ländern ein grobes Mißverhältnis zwischen Finanzbedarf und Deckungsmitteln ergab.
Das Grundgesetz grenzt nunmehr die Finanzverantwortung zwischen Bund und Ländern dergestalt ab, daß es die Ausgabelasten, die ihrer Natur nach von der Volksgesamtheit zu vertreten sind und daher nur zentral getragen werden können, in die Ebene des Bundes verlagert. Gleichzeitig weist das Grundgesetz dem Bund die Steuern zu, deren Belastungswirkung vorwiegend die Gesamtbevölkerung trifft, steuerwirtschaftlich also über den Bereich eines einzelnen Landes hinausgreift. Hiernach sind von den Länderhaushalten auf den Bundeshaushalt übergegangen:
a) die folgenden Lasten: die Besatzungskosten und die gesamten sonstigen Kriegsfolgelasten; die Kosten der Arbeitslosenfürsorge und die Zuschüsse an die Träger der Sozialversicherung; die Verwaltung der Bundeswasserstraßen und der französischen Zone; der Bau und die Unterhaltung der Autobahnen und der Bundesstraßen des Fernverkehrs; die Subventionen für eingeführte Lebensmittel und für Düngemittel; die Ausgleichsforderungen der Bank deutscher Länder und der Postsparkassen gegen die Länder der französischen Zone; die Kosten der Bundesfinanzverwaltung; die Lasten der aufgelösten Reichs- und Zonenbehörden, soweit sie Aufgaben wahrgenommen haben, die nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes heute Bundesaufgaben sind. Hiervon sind die Kosten der Verwaltung der Bundeswasserstraßen in der französischen Zone, die Verzinsung der zentralen Aus-
gleichsforderungen gegen die Länder der französischen Zone und die Subventionsausgaben in der britischen und amerikanischen Zone bereits im zweiten Rechnungshalbjahr 1949 auf den Bundeshaushalt übergegangen;
b) die folgenden Deckungsmittel: die Zölle und die Verbrauchsteuern mit Ausnahme der Biersteuer; der Ertrag der Monopole; die Umsatzsteuer; die Beförderungssteuer.
Die Zölle, die Kaffeesteuer, die Teesteuer, die Umsatzausgleichsteuer und die Abgabe Notopfer Berlin sind bereits im Rechnungsjahr 1949 — zweites Halbjahr — dem Bundeshaushalt zugeflossen.
Die Bestimmung der auf den Bund übergehenden „sonstigen Kriegsfolgelasten" ist nach Art. 120 des Grundgesetzes einem Bundesgesetz vorbehalten. Um dieses Gesetz handelt es sich, wenn nunmehr dem Bundestag der Entwurf eines Gesetzes zur Überleitung der Besatzungslasten, sonstigen Kriegsfolgelasten und von Steuern und Monopolerträgen auf den Bund vorgelegt wird. Im Gegensatz zu dem im Mai dieses Jahres als erstem auf dem Gebiet der Finanzverfassung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Finanzverwaltung, das mehr formal-administrativer Natur ist, bedeutet das Überleitungsgesetz die erste materielle Regelung auf dem Gebiet des eigentlichen Finanzausgleichs, und zwar des Finanzausgleichs im vertikalen Sinne; denn es dient dem Vollzug der Bestimmungen des Grundgesetzes, die sich mit der finanziellen Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern befassen.
Da Art. 120 Abs. 2 des Grundgesetzes bestimmt, daß der Übergang der dem Bund zustehenden Dekkungsmittel Zug um Zug mit dem Übergang der Lasten zu vollziehen ist, regelt das Überleitungsgesetz nicht nur den Übergang der im Art. 120 genannten Ausgaben, sondern auch den Übergang der bisher von den Ländern vereinnahmten, nach dem Grundgesetz aber dem Bund zustehenden Steuern. Stichtag des Übergangs der Lasten und der Dekkungsmittel ist der 1. April 1950.
Das Überleitungsgesetz beschränkt den Übergang der „sonstigen Kriegsfolgelasten" im Sinne des Art. 120 des Grundgesetzes zunächst auf die kriegsverursachten Soziallasten, schließt also andere Kriegsfolgelasten, z. B. die Lasten, die aus der Tatsache der Zerstörung von Brücken und Straßen durch den Krieg bestehen, und die sogenannten mittelbaren Flüchtlingslasten — Mehraufwendungen auf den Gebieten des Schulwesens, der Polizei usw. — einstweilen von der Überleitung aus, weil diese Ausgaben begrifflich und größenmäßig nicht so umrissen werden können, daß es möglich wäre, sie als geschlossene Lasteneinheiten unmittelbar aus den Länderhaushalten herauszulösen und auf den Bund zu überführen. Die hier vorgesehene Einschränkung des Lastenübergangs entspricht übrigens auch den Empfehlungen, welche die Ministerpräsidentenkonferenz im Vorjahr der Bundesregierung zur Frage der finanziellen Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern unterbreitet hat.
Die finanzielle Bedeutung des gesamten Überleitungsvorgangs wird durch die Tatsache gekennzeichnet, daß Ausgabelasten im Gesamtbetrag von 10 Milliarden DM ihren Träger wechseln. Die Verlagerung einer Finanzmasse von solchem Ausmaß bedeutet für den Bund und für die Länder finanzwirtschaftlich einen erheblichen Eingriff, der Umfang und Gefüge ihrer Haushalte grundlegend verändert. Während das Gesamthaushaltsvolumen der Länder auf etwa die Hälfte zusammenschrumpft,
erhöht sich die Etatsumme des Bundes um mehr als das Achtfache des Vorjahrsbetrages. Die Ausgabenseite der Länderhaushalte wird künftig in erster Linie von den herkömmlichen und im wesentlichen gleichbleibenden Aufgaben der allgemeinen Staatsverwaltung, insbesondere kulturellen Aufgaben und den Bedürfnissen der gemeindlichen Finanzwirtschaft bestimmt.
Auch die Einnahmenseite der Länderhaushalte unterliegt einem bedeutsamen Wandel. Die Länder verlieren die krisenfesteren Umsatz- und Verbrauchsteuern und werden überwiegend auf Steuern verwiesen, die an das Einkommen, also an ein konjunkturempfindliches Element, anknüpfen. Das Bundessteuersystem hat dagegen den Nachteil, daß es sehr unelastisch ist und daß es Kriegs- und Soziallasten enthält, die ihrer Natur nach auf lange Zeit eine Tendenz zur Steigerung besitzen und den Bundeshaushalt auf lange Zeit schwer belasten werden.
Im Rechnungsjahr 1949 haben die Länder nach den neuesten Erhebungen zur Deckung der nach diesem Gesetz auf den Bund übergehenden Lasten rund 8,2 Milliarden DM aufgewandt. Die auf den Bund übergehenden Steuern haben im gleichen Rechnungsjahr nur rund 7,4 Milliarden DM erbracht. Die Länder mußten deshalb aus ihren eigenen Einnahmen 800 Millionen DM zuschießen. Für 1950 werden die von den Ländern nach diesem Gesetz übernommenen Bundeslasten auf rund 9,7 Milliarden DM ansteigen, während die von den Ländern übernommenen Bundessteuern sich nicht in demselben Verhältnis erhöhen und nur mit 8,1 Milliarden DM anzusetzen sind. Für die Gesamtheit der Länder bedeutet die Überleitung mithin eine starke finanzielle Entlastung. Die korrespondierende Belastung des Bundeshaushalts für 1950 ist höher als die Entlastung der Länder 1949, weil die Entwicklung der von den Ländern übernommenen Steuereinnahmen mit dem Anstieg der von den Ländern übernommenen Kriegsfolgelasten und Sozialausgaben. nicht Schritt hält.
Zum Ausgleich des Bundeshaushalts sind zwei Wege möglich: die Inanspruchnahme eines Teiles der Einkommen- und Körperschaftsteuer nach Artikel 106 Abs. 3 des Grundgesetzes oder eine Beteiligung der Länder in der Form von Beiträgen an den vom Bund übernommenen Kriegsfolgelasten. Der Gesetzentwurf wählt den zweiten Weg, indem er die Länder an den in ihrem Bereich anfallenden Bundesausgaben mit bestimmten Prozentsätzen beteiligt; hierbei sind die Prozentsätze von 10 % bis 25 % je nach der Intensität gestaffelt, mit der die Länder als Verwaltungsträger auf die Gestaltung der Ausgaben einwirken können.
Bei den Zuschüssen zur Sozialversicherung entfällt eine Interessenquote, weil hier den Ländern jegliche Einwirkungsmöglichkeit fehlt.
Mit dieser Interessenquotenregelung, die dem Bund eine Einnahme von 1,15 Milliarden DM erschließt — eine Einnahme, die aber mit rund 370 Millionen unter dem bleibt, was der Überschuß der Aufwendungen des Jahres 1950 über die vom Bund übernommenen Steuern ist —, wird erreicht, daß die Verwaltungen der Länder, denen praktisch der Vollzug der Kriegsfolgelasten und Sozialausgaben verbleibt, zur größeren Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei der Verwendung der Bundesmittel veranlaßt werden oder doch veranlaßt werden sollen. Die hier vorgesehene Interessenquotenregelung hat sich seit Jahrzehnten insbesondere beim kommunalen Finanzausgleich bewährt; sie entspricht über-
dies den im Vorjahre ausgearbeiteten Vorschlägen der Ministerpräsidentenkonferenz.
In den Verhandlungen des Bundesrats ist von einzelnen Ländern beantragt worden, die Interessenquotenbelastung nach dem. Maßstab der Steuerkraft auf die Gesamtheit der Länder umzulegen. Der Bundesrat hat sich in seiner Mehrheit diesem Antrage nicht angeschlossen und es bei der Regierungsvorlage belassen. Eine Umlage der Interessenquotenbelastung auf die Ländergesamtheit wäre mit dem Gedanken einer echten Lasten-beteiligung unvereinbar; denn wenn die Länder die Möglichkeit hätten, die finanzielle Last ihrer Interessenquoten zum überwiegenden Teil auf die übrigen Länder abzuwälzen — dadurch, daß jedes Land nach seiner Steuerkraft herangezogen wird —, so würde das zur Folge haben, daß die Art und Weise, wie das einzelne Land die Bundesmittel verwaltet, nicht mehr unmittelbar in seinem Haushalt spürbar wird. Der Anreiz zu einer sparsamen Verwaltung wäre infolgedessen genommen.
Eine weitere finanzielle Beteiligung der Länder sieht der Gesetzentwurf insofern vor, als er die persönlichen und sächlichen Verwaltungskosten grundsätzlich bei den Ländern beläßt. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die Verwaltungshoheit auf dem Gebiete der Besatzungskosten und der sonstigen Kriegsfolgelasten bei den Ländern entsprechend dem Grundgesetz verbleibt.
Die Heranziehung der Länder zu den Bundeslasten und die Tatsache, daß den Ländern die Kriegszerstörungslasten und die mittelbaren Flüchtlingslasten verbleiben, mindern den Entlastungseffekt des Überleitungsgesetzes für die Länder, die mit Kriegsfolgeausgaben überdurchschnittlich belastet sind. Diese Ungleichheiten zu mildern, ist Aufgabe des im Artikel 106 Abs. 4 des Grundgesetzes vorgesehenen horizontalen Finanzausgleichs, also eines Finanzausgleichs unter den Ländern allein, nicht zwischen Bund und Ländern. Die Vorarbeiten für diesen Finanzausgleich sind eingeleitet. Da die Finanzausgleichsverhandlungen mit den Ländern erheblichen Schwierigkeiten begegnen und deshalb voraussichtlich nicht in allernächster Zeit zum Abschluß kommen, hat die Bundesregierung für das schwächste der Länder, das Notstandsgebiet Schleswig-Holstein, ein Übergangsgesetz vorbereitet, das bereits die Zustimmung des Bundesrats gefunden hat und in nächster Zeit dem Bundestag vorgelegt werden wird.
Der Entwurf des Überleitungsgesetzes beschränkt sich auf den Übergang der Kriegsfolge- und Soziallasten auf den Bund, ändert also nicht das diesen Lasten zugrunde liegende materielle Recht. Seine Vereinheitlichung ist auf Einzelgebieten, zum Beispiel Fürsorge für Heimkehrer und Angehörige von Kriegsgefangenen, bereits mit Gesetzeskraft begonnen; die Vereinheitlichung auf anderen Gebieten steht bevor, zum Beispiel Bundesversorgungsrecht, Gesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes, Überführung der aufgelösten Reichs- und Zonenbehörden usw. Im übrigen trifft das Überleitungsgesetz die erforderlichen Einzelbestimmungen, die sicherstellen sollen, daß sich die Überleitung im ganzen Bundesgebiet gleichförmig vollzieht, insbesondere in allen Ländern die gleichen Finanzvorgänge auf den Bundeshaushalt übergehen.
Die Frage der zeitlichen Abgrenzung des Überleitungsvorganges entscheidet das Gesetz im § 14 nach dem Kassenprinzip. Die im § 14 vorgesehene Regelung soll die Überleitung und Abrechnung vereinfachen. Sie sollte aber nicht zu einer unbilligen Benachteiligung des Bundes führen und den Ländern die Möglichkeit zu einer willkürlichen Vorwegnahme von Einnahmen und Verlagerung von Ausgaben eröffnen. Die im § 16 vorgesehene Einschaltung des Rechnungshofes soll die Verwirklichung dieses letzteren Grundsatzes sicherstellen. Zur Zeit wird noch geprüft, ob darüber hinaus auf Grund der bisherigen Erfahrungen eine Ergänzung des § 14 notwendig ist. Im übrigen wird in den Ausschußberatungen noch Gelegenheit sein, einige weitere Verbesserungen und Klarstellungen am Gesetzestext anzubringen, die sich nach den Erfahrungen der ersten Monate dieses Rechnungsjahres als notwendig oder zweckmäßig erwiesen haben. Insbesondere werden Ergänzungen und Änderungen auf folgenden Gebieten notwendig sein:
a) Der alliierte Unterausschuß für Besatzungskosten beanstandet, daß die sogenannten nicht anerkannten Besatzungskosten gesetzestechnisch mit den Ausgaben des angeordneten Besatzungskostenetats in Zusammenhang gebracht werden. Die Alliierte Hohe Kommission ersucht, daß die im § 5 Abs. 1 Nr. 2 aufgeführten Ausgaben nicht als Besatzungslasten gekennzeichnet werden, wenn es sich auch nach deutscher Auffassung um Ausgaben handele, die durch Anordnungen der Besatzungsmacht verursacht sind und mit dem Besatzungszweck im Zusammenhang stehen.
b) Das Heimkehrergesetz und das Gesetz über Unterhaltsbeihilfen für Angehörige von Kriegsgefangenen müssen in das Gesetz eingearbeitet werden.
c) Das in Vorbereitung befindliche Gesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes macht voraussichtlich eine andere Technik des Lastenüberganges erforderlich, als sie im Entwurf des Überleitungsgesetzes vorgesehen ist.
d) Es wird zu prüfen sein, ob der Übergang der Kosten der Bundesfinanzverwaltung und der Lasten der aufgelösten Reichs- und Zonenbehörden noch in diesem Gesetz normiert werden soll oder einem zweiten Überleitungsgesetz vorzubehalten ist.
In Übereinstimmung mit dem Bundesrat wird nach den Grundsätzen des Entwurfs bereits seit dem 1. April 1950 praktisch verfahren. Da aber die Haushaltsführung des Bundes, namentlich hinsichtlich der Kriegsfolgelasten und der Interessenquoten, alsbald einer einwandfreien Rechtsgrundlage bedarf, erscheint eine baldige Verabschiedung des Gesetzentwurfes geboten, um die ich das Hohe Haus ersuche.