Rede von
Dr.
Hermann Louis
Brill
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Namens des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität habe ich folgenden Antrag zu stellen:
Der Bundestag' wolle beschließen:
Beschlüsse des Bundestages auf Aufhebung der Immunität bedeuten nicht, daß sie auch auf die Strafvollstreckung Anwendung finden. Zur Strafvollstreckung bedarf es eines besonderen Beschlusses des Bundestages.
Die Legitimation des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität zur Stellung eines solchen Antrags ist aus § 120 der Geschäftsordnung herzuleiten. Danach ist der Geschäftsordnungsausschuß berechtigt, jederzeit an den Herrn Präsidenten und an das Hohe Haus selbst mit Vorschlägen, die sich auf die gesamte Geschäftsführung des Hauses beziehen, heranzutreten. Er nimmt somit eine Sonderstellung unter allen Ausschüssen dieses Hauses ein.
Zur Sache selbst ist folgendes zu bemerken. Als im November vorigen Jahres die ersten Immunitätssachen in diesem Hause behandelt worden sind, hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz als Berichterstatter des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität die Grundsätze entwickelt, nach denen verfahren werden soll. Im Verlaufe der Beratungen anderer Immunitätssachen hat sich ergeben, daß diese Grundsätze einer Nachprüfung und Ergänzung bedürfen. Der Ausschuß hat diese Arbeit begonnen und wird dem Hohen Haus in Kürze im Zusammenhang mit dem Entwurf einer neuen Geschäftsordnung eine ausführliche Darstellung des geltenden Immunitätsrechts zur Kenntnisnahme vorlegen, um danach die Grundsätze erneut zu formulieren.
Im gegenwärtigen Augenblick aber erscheint es dringlich, die in diesem Antrag behandelte Frage zu einer Vorentscheidung zu bringen. Die Dringlichkeit ergibt sich aus der Unklarheit der Rechtslage, die dadurch entstanden ist, daß Genehmigungen zur Strafverfolgung von Abgeordneten bisher ohne jede Beschränkung ausgesprochen worden sind. Das war so lange richtig, wie die Verfassung — das hat auch noch die Weimarer Verfassung getan — streng zwischen Gesetzgebungsperioden und Sitzungsperioden oder, wenn man es mit Fremdworten vielleicht deutlicher machen kann, zwischen Legislaturperioden und Sessionen unterschied. Nach dem Schluß einer jeden Session ruhte die Immunität der Abgeordneten, so daß die Justiz freie Hand hatte. Heute aber fallen nach dem Grundgesetz — obgleich diese Frage noch nicht endgültig entschieden sein dürfte, darf ich das doch wohl als Vermutung des Grundgesetzes aussprechen — Legislaturperiode und Session zusammen. Würde also die Genehmigung zur Strafverfolgung eines Abgeordneten im ganzen erteilt, so bestände für das Haus die Gefahr, daß ein kleinerer oder größerer Teil der Abgeordneten für längere und vom Haus nicht zu übersehende Zeit den Arbeiten des Hauses entzogen wird. Das soll verhindert werden. Aus diesem Grunde soll bei Genehmigungen zur Strafvollstreckung unterschieden werden zwischen der Genehmigung zur Durchführung des Verfahrens, d. h. bis zum Erlaß des rechtskräftigen Urteils, und der Erteilung der Genehmigung zur Strafvollstreckung selbst. Da bisher schon einige Beschlüsse gefaßt worden sind, die unter der genannten Unklarheit leiden, erscheint es tunlich, diesen Antrag anzunehmen. Ich bitte das Hohe Haus, dem Antrage des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität zuzustimmen.
Ich darf aber noch eine Bemerkung anschließen, die sich aus der gestrigen Sitzung dieses Ausschusses ergeben hat. Wie dem Hause bekannt ist, schweben zwischen Bundestag und Bundesregierung einerseits und der Hohen Alliierten Kommission andererseits Verhandlungen über die Abgrenzung der beiderseitigen Rechte in Immunitätsfragen. Durch das Obergericht in der britischen Besatzungszone ist ein Landtagsabgeordneter zu einer größeren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Strafe wird zur Zeit vollstreckt. Es erscheint dem Ausschuß wünschenswert, daß auch in diesem Falle nach dem Sinn des vorliegenden Antrags verfahren wird. Deshalb richte ich namens des Ausschusses an die Bundesregierung die Bitte, unverzüglich mit der Hohen Alliierten Kommission in dieser Frage in Verhandlungen mit dem Ziel einzutreten, daß die Strafvollstreckung gegen diesen Landtagsabgeordneten so lange ausgesetzt wird, bis die Rechtslage über die Immunitätsfrage zwischen der Hohen Kommission und der Bundesrepublik Deutschland endgültig geklärt sein wird. Das ist kein Antrag, sondern nur ein Ersuchen an die Bundesregierung, ein Ersuchen, das sich natürlich auf die Voraussetzung stützt, daß das Haus diesen Antrag annehmen wird.