Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die grundsätzliche Stellungnahme meiner Fraktion zu all den Demontagen — selbstverständlich also auch zu denen in Watenstedt-Salzgitter — ist so bekannt und zu alt, als daß ich darüber ein Wort zu verlieren brauchte. Ich möchte aber in der speziellen Frage doch folgendes sagen.
Solange der Komplex Watenstedt-Salzgitter im Bundestag behandelt wird, ist er durch folgende Tatsache gekennzeichnet: durch einen durch nichts gerechtfertigten Zweckoptimismus von seiten der Bundesregierung,
ganz besonders im Anschluß an Ministerreisen nach Watenstedt-Salzgitter. Das hat begonnen mit dem Interview für den „Industriekurier" im vergangenen Jahre nach dem Petersberger Abkommen; und ich finde diesen durch nichts gerechtfertigten Zweckoptimismus auch heute wieder in den Erklärungen des Herrn Vizekanzlers Blücher. Der Komplex ist weiter, ich möchte einmal sagen, durch eine Vernebelung des Geländes gekennzeichnet, die vor allen Dingen eines verhindert hat, nämlich das rechtzeitige Erkennen der nationalpolitischen Aufgabe, die der Bundesregierung in diesem Grenzgebiet gestellt ist.
Ich habe nicht nur das Gefühl, sondern ich möchte sagen, die Überzeugung, daß diese Aufgabe selbst heute noch nicht erkannt ist, jedenfalls nicht in ihrer ganzen Tragweite.
Weiterhin ist der Komplex durch Versprechungen, durch Bewilligung von Millionen gekennzeichnet, die für den Wiederaufbau und für Neuanlagen, ganz besonders auch auf verkehrstechnischem Gebiet bereitgestellt worden sind, die aber mit den Taten auf diesem Gebiet nicht in Einklang stehen.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Tatsache — es war wohl im Februar, als das Hohe Haus davon Kenntnis nahm —, daß, wenn ich recht unterrichtet bin, 12'/2 Millionen DM für den Bahn-
bau in Watenstedt-Salzgitter bewilligt wurden und daß der erste Spatenstich durch den Herrn Bundes- verkehrsminister vor drei Wochen erfolgt ist. Diese Verspätung läßt sich nicht mit der Tatsache rechtfertigen, daß hier und da auch Vermessungsarbeiten notwendig waren; denn bei der einen Linie lag ja die Trasse bereits vollständig da. Wenn heute der Herr Vizekanzler der Bundesregierung gesagt hat, daß durch die Bemühungen der Bundesregierung die Lage in Watenstedt-Salzgitter bereits entscheidend geändert worden sei, so kann ich das nicht vollinhaltlich anerkennen.
Wir haben seinerzeit, nachdem in WatenstedtSalzgitter die Sprengungen an den Fundamenten zu den bekannten Aufregungen — ich möchte nicht sagen: Krawallen — geführt haben, erfahren müssen, daß der Hohe Kommissar Sir Brian Robertson dem Herrn Bundeskanzler einen Brief geschrieben hat, der so etwas wie eine Entspannung der Situation mit sich brachte. Der Herr Vizekanzler Blücher hat heute gesagt, dieser Brief sei beantwortet worden. Nach den bisher bekanntgewordenen Meldungen aus der Presse — aber nicht nur aus der Presse — warten sowohl der Hohe Kommissar als auch Brigadier Lingham in Hannover immer noch auf eine endgültige Antwort auf diesen Brief. Ich glaube, diese Tatsache rechtfertigt wieder meine bereits ausgesprochene Behauptung, daß hier eine Verzögerungstaktik eingeschlagen wird, deren Gründe ich von mir aus nicht erforschen kann. Ich möchte bloß feststellen die Maßnahmen, die in Watenstedt-Salzgitter dazu geführt haben, daß die Arbeitslosigkeit in den letzten Monaten abgenommen hat, sind in allererster Linie auf die Arbeiten der Direktion der Reichswerke und auf die des Betriebsrats der Reichswerke zurückzuführen. Tatsache ist, daß am 15. Mai dieses Jahres von den versprochenen Millionen erst 800000 DM zur Verfügung. gestanden haben und daß erst vor etwa drei Wochen die Verhandlungen mit den Hausbanken der Reichswerke über das Flüssigmachen der weiter angeblich zur Verfügung gestellten Summen durchgeführt worden sind. Ich möchte auch diese Tatsache unter meine Behauptung subsumieren daß offenbar von seiten der Bundesregierung die dringende Notlage in Watenstedt-Salzgitter nicht rechtzeitig und vielleicht sogar bis zur heutigen Stunde nicht erkannt worden ist.
Der Herr Bundesvizekanzler hat davon gesprochen, daß auch mit einem Automobilwerk Verhandlungen zwecks Errichtung einer Automobilwerkstatt in den Räumen der Reichswerke oder überhaupt in Watenstedt-Salzgitter geführt werden. Ich möchte dazu nur feststellen, daß die Pressekampagne, die über Watenstedt-Salzgitter bis in die letzte Zeit hinein geführt worden ist, sehr häufig mit falschen Akzenten versehen war. Das trifft auch auf die Frage der Errichtung eines Automobilwerkes zu. Wir haben seinerzeit durch die Presse erfahren, daß immer und immer wieder Verhandlungen mit der Automobilfabrik Renault geführt worden seien. Tatsache ist, daß mit der Fabrik Renault überhaupt keine Verhandlungen geführt worden sind. Tatsache ist weiter — ich muß das aussprechen —, daß es einer geradezu bestürzenden Ahnungslosigkeit in industriellen Standortfragen entspricht, wenn man mit dem Gedanken einer derartigen Produktion in Watenstedt-Salzgitter überhaupt nur spielt.
Meine Damen und Herren! Was heute in Watenstedt-Salzgitter noch erhalten werden kann, ist der Rumpfbetrieb. Der Rumpfbetrieb der ehemaligen Reichswerke muß unter allen Umständen lebensfähig gemacht werden. Das heißt, der Kampf gegen I die Demontage muß sich auf die Gegenstände und Betriebsteile erstrecken, die tatsächlich noch gerettet werden können und die vor allen Dingen auch tatsächlich in Betrieb sind bzw. in der Lage sind, nennenswerte Zahlen von Arbeitslosen aufzunehmen. Dazu gehört selbstverständlich auch die Krupp-Renn-Anlage, wobei ich allerdings der Wahrheit halber feststellen muß, daß die KruppRenn-Anlage seit 1945 nicht arbeitet, sondern nur von zwei Nachtwächtern bewacht wird. Den Einbringern der Interpellation, dem Herrn Abgeordneten Mühlenfeld und Genossen, ist das offenbar entgangen. Es ist nicht so, daß mit der KruppRenn-Anlage die Wirtschaftlichkeit des Restbetriebes steht und fällt; die Wirtschaftlichkeit des Restbetriebes steht und fällt mit der Möglichkeit des Ausbaus und der Ansiedlung neuer Industrien. Es ist nicht so, daß man von heute auf morgen einzig und allein durch die Wiederherstellung oder auch nur teilweise Wiederherstellung des alten Kornplexes Reichswerke der Not in Watenstedt-Salzgitter steuern kann. Dazu würde dieses Programm viel zu sehr auf lange Sicht abgestellt sein müssen. Was wir brauchen, ist die Unterstützung der Reichswerke, und zwar die sofortige und reichliche Unterstützung der Reichswerke bei ihrem Vorhaben, in den Räumen, die erhalten geblieben sind, und in den Räumen, die wiederaufgebaut werden können, die Ausgleichsindustrien zu schaffen, die im Rahmen der Reichswerke und zum Teil mit den Rohstoffen und Halbfabrikaten der Reichswerke wiederhergestellt werden können.
Selbstverständlich ist auch die Ansiedlung neuer Industrien notwendig, wobei allerdings — das möchte ich zum zweiten Male betonen — auf die Standortbedingungen dieser Industrien Rücksicht genommen werden muß. Denn es ist so, daß von den jetzt noch vorhandenen 9300 Arbeitslosen kaum ein Viertel aus der eisenverarbeitenden oder eisenschaffenden Industrie sind, daß der übergroße Teil der Arbeitslosen — leider muß man das feststellen — angelernte bzw. ungelernte Arbeiter sind. Man würde also auch mit den in Punkt 19 des Sofortprogramms aufgeführten Fertigindustrien in Watenstedt-Salzgitter wahrscheinlich sehr wenig Glück haben, weil es bedeuten würde, daß zum Beispiel für Feinmechanik und Elektroindustrie der größte Teil der Arbeiter, da es Facharbeiter sein müssen, erst in dieses Gebiet hereingeholt werden müßten. Das ist selbstverständlich ebensowenig möglich wie bei einem eventuellen Plan, dort ein Automobilwerk zu errichten.
Ich möchte deshalb zum Schluß der Bundesregierung ganz dringend die Forderung unterbreiten, dafür zu sorgen, daß hier nicht nur Millionen bewilligt werden, sondern daß die Millionen den Werken auch rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden und daß weiterhin den Forderungen der Wirtschaftsvereinigung von Watenstedt-Salzgitter, die alle dort etablierten Industrien umfaßt, auf entsprechende Kreditgewährung an Industrien entsprochen wird, die sich dort neu ansiedeln wollen. Das muß allerdings schnell geschehen. Das muß vor allen Dingen schneller und reichlicher geschehen, als es bisher der Fall gewesen ist.